Gerade Gespräche mit Zeitzeug/innen eignen sich besonders, um Jugendlichen verschiedene Kapitel der Geschichte anschaulich und verständlich näher zu bringen. Auf dem Portal www.deinegeschichte.de finden sich Interviews mit zwei wichtigen Mitgliedern der oppositionellen Friedensbewegung der DDR – Rainer Eppelmann und Karsten Dümmel – die sich in verschiedenen Friedens- und Umweltkreisen engagierten und so für eine friedliche Revolution kämpften.
In dem Interview mit Rainer Eppelmann erzählt dieser von seinem Leben als Regimekritiker und Pfarrer in der DDR und setzt sich mit der schwierigen Rolle der Kirche innerhalb eines diktatorischen Systems auseinander. Eppelmann, der als junger Mann Wehrdienst und Fahneneid verweigerte, verbrachte zur Strafe acht Monate im Zuchthaus. Aus der Haft entlassen wurde er als protestantischer Pfarrer zu einem der wichtigsten und engagiertesten Kritiker des SED-Regimes. In dem Interview beschreibt er den Weg von der Gründung der verschiedenen Friedenkreise im Schutze der Kirche bis zur deutschen Vereinigung im Jahr 1989. Er erläutert, dass die Gottesdienste, die in den Kirchengemeinden stattfanden, die einzigen Versammlungen von Bürger/innen in der DDR waren, die nicht bei der Staatsführung angemeldet werden mussten. Dass dieser Umstand zu einer – wie Eppelmann es nennt – „kreativen Auslegung“ des Begriffes Gottesdienst führte, scheint dem/der Zuhörer/in nur sinnvoll und klug. Die Veranstaltungen, die in jener Zeit in den Gotteshäusern stattfanden, seien daher an die Wünsche und Bedürfnisse der Bürger/innen angepasst gewesen, von denen etliche erst über die Friedensbewegung und deren oppositionelle Arbeit zur Kirche gefunden hätten.
Eppelmann, der schließlich zum Minister für Verteidigung und Abrüstung in der ersten gewählten Regierung der DDR ernannt wurde, berichtet außerdem von der Schwierigkeit, die es ihm bereitete, von der Seite des unabhängigen Staatskritikers auf die Seite der Politiker/innen zu wechseln. Er erzählt von den Fallstricken der Wiedervereinigung und räumt im Gespräch offen Fehler und Fehleinschätzungen von ihm und anderen Verantwortlichen der deutschen Vereinigung ein. Trotz der kritischen Reflexion resümiert er allerdings, dass die Vorgänge der Jahre 1989/90 nicht hätten anders verlaufen können.
Auch Karsten Dümmel berichtet in dem Interview, das von Schüler/innen eines Gymnasiums geführt wurde, auf sehr persönliche Weise von seinen Erfahrungen in und mit der Friedensbewegung in der DDR. Bis zu seinem Freikauf durch die Bundesrepublik im Frühjahr 1988, stellte der junge Mann 56 Ausreiseanträge, von denen keiner bewilligt wurde. Im Laufe der Jahre hatte er bei der Entstehung verschiedener oppositioneller Gruppen und Friedenskreise mitgewirkt, unter Anderem hatte er die Umweltbibliothek in Gera mit aufgebaut, in der unerwünschte Literatur gelesen und entliehen werden konnte. Aufgrund seiner oppositionellen Aktivitäten wurde ihm der Besuch einer EOS (Erweiterte Oberschule) verwehrt, weshalb er eine Tätigkeit als Reinigungskraft von Zügen und Bürogebäuden annahm. Ähnlich wie Rainer Eppelmann beschreibt auch Karsten Dümmel in dem Interview die Schwierigkeit und Wichtigkeit des Besiegens der eigenen Angst. Beide Männer sehen die Überwindung der Angst vor Überwachung, Denunziation und staatlicher Repression als bedeutenden Schritt hin zur persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit.
Die beiden Interviews eignen sich sehr gut als Einstieg in eine Diskussion über persönliches Engagement, Courage und die oppositionelle Arbeit innerhalb eines autoritären Systems. Anhand der verschiedenen Erzählungen und Beschreibungen der beiden Zeitzeugen können die Jugendlichen versuchen, sich selbst in eine ähnliche Situation zu versetzen und ihr eigenes Handeln kritisch zu reflektieren. In Kleingruppen können weiterführende Informationen recherchiert und verschiedene Standpunkte diskutiert werden. Die Position der Kirchengemeinden, die in der Friedensbewegung der 1980er Jahre eine bedeutende Rolle spielten, kann mittels der Erfahrungen der Schüler/innen mit der heutigen Situation verglichen werden.
Gewiss ist die Gelegenheit, selbst mit Zeitzeug/innen über deren Erfahrungen sprechen zu können, für Schüler/innen sehr attraktiv. Dennoch bieten die Interviews eine gute Möglichkeit, Jugendlichen eine individuelle Perspektive auf die Geschichte zu geben, wenn ein persönliches Gespräch mit Zeitzeug/innen nicht realisierbar ist. Eppelmann und Dümmel, die beide in ihrer Funktion als Vernetzungs- und Leitungspersonen innerhalb der Friedensbewegung wichtige Kommunikationspunkte darstellten, bieten sich daher an, um im Unterricht Wissen über den Ablauf der Friedensbewegung und der friedlichen Revolution 1989 zu vermitteln und gleichzeitig den Blick auf die Geschehnisse aus der persönlichen Perspektive der Erzählenden zu eröffnen.