Am Beispiel des Ehrenfriedhofs Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis wird Pädagog/innen eine Handreichung geboten, die eine pädagogische Projektarbeit mit Jugendlichen auf Kriegsgräberstätten ermöglicht.
Die vom Volksbund herausgegebene Broschüre „Projektmöglichkeiten auf Kriegsgräberstätten“ erläutert am Beispiel des Ehrenfriedhofs Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis, wie die Projektarbeit mit Schüler/innen auf einer Kriegsgräberstätte organisiert werden kann. Die Handreichung fokussiert sich zwar inhaltlich stark auf den Beispielort, jedoch können die Projektbausteine und vorgeschlagenen Methoden auch auf andere Orte übertragen werden, sodass die Entwicklung eines eigenen Projektes anhand des Materials leicht realisierbar ist.
In verschiedenen Kapiteln bekommt der/die Leser/in einen umfangreichen Überblick über die Arbeit des Volksbundes, die Kriegsgräberstätten im Main-Kinzig-Kreis, historische Hintergrundinformationen und geeignetes pädagogisches Material.
Ziel der Jugendarbeit des Volksbundes ist es, eine fortdauernde Gräberfürsorge auf Kriegsgräberstätten zu gewährleisten und gleichzeitig Jugendlichen vielseitige friedenspädagogische Angebote zu bieten. Bereits in den 1960er Jahren begann die Institution deshalb, die außerschulische Arbeit durch pädagogische Angebote an Schulen zu ergänzen. Hiermit sollte der gesellschaftspolitische Auftrag der „Mahnung zum Frieden“, dem sich der Verein verpflichtet sieht, erfüllt werden.
Bei der Entwicklung eines schulpädagogischen Konzeptes stand die Aufgabe im Vordergrund, für Schüler/innen eine Geschichte lebendig werden zu lassen, zu der die zeitliche Distanz stetig wächst und für die es heute nur noch sehr wenige Zeitzeug/innen gibt. Die Erfahrung des Volksbundes zeigt, dass dies – wider den Erwartungen vieler Pädagog/innen – bei dem Besuch einer Kriegsgräberstätte durchaus möglich ist. Denn die Vielzahl an Gräbern und das Alter der Verstorbenen, die oft nur unerheblich älter waren als die Schüler/innen selbst, veranlasst viele Jugendlichen dazu, sich dem schwierigen Thema zu stellen. Der Besuch einer Kriegsgräberstätte kann somit auch Ausgangspunkt sein für ein Rechercheprojekt, bei dem die Schüler/innen eigenständig die Geschichte ihres Ortes oder ihrer Region erforschen. Anhand eines solchen Projektes können die Teilnehmer/innen außerdem auch Erfahrung mit der systematischen Suche nach Informationen und der Arbeit in Archiven und anderen Institutionen erlangen. Auch ein intergenerationeller Austausch kann durch die Arbeit auf Kriegsgräberstätten angestoßen werden.
Der Ursprung der Kriegsgräberstätten, wie man sie heute aus vielen Städten und Gemeinden kennt, ist auf ein Gesetz aus dem Jahr 1952 zurückzuführen. Darin wurde festgelegt, dass die Grabstätten der sogenannten „Kriegstoten“ dauerhaft erhalten werden sollten. Da dieses Gesetz jedoch jene Toten, die bereits vor Ausbruch des Krieges durch die Folgen des nationalsozialistischen Terrors gestorben waren, nicht berücksichtigte, wurde im Jahr 1965 das Gesetz um die Sicherung des Erhalts der Grabstätten der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erweitert. Im Zuge dessen wurden an den meisten Orten die betreffenden Toten auf einem Sammelfriedhof zusammengebettet. Diese Sammelgrabstätten sind die Orte, die wir heute als „Kriegsgräberstätten“ oder „Soldatenfriedhöfe“ kennen. Letztere Bezeichnung entspricht allerdings in der Regel nicht vollständig den Tatsachen, da sich unter den Toten meistens auch zivile Opfer, Euthanasie-Opfer, KZ- und Gestapo-Häftlinge oder ehemalige Zwangsarbeiter/innen befinden.
Auf Grundlage der Arbeit des „Forschungsprojektes zur historischen Aufarbeitung ausgewählter Kriegsgräberstätten in Hessen“ wird in der Broschüre ein ausführlicher Überblick über die Kriegsgräberstätten in Hessen und speziell jene im Main-Kinzig-Kreis gegeben. Anhand der Nennung von Nationalitäten und Sterbegründen werden die strukturellen Begebenheiten der insgesamt 1.052 Stätten erläutert. Für die regionale Forschung im Main-Kinzig-Kreis wird außerdem eine Auflistung der Recherchemöglichkeiten und der entsprechenden Stellen (Archive, Geschichtsvereine, Ämter, etc.) bereitgestellt. Schließlich wird anhand des Ehrenfriedhofs Schlüchtern beispielhaft die Geschichte eines solchen Ortes nachgezeichnet. Es wird sowohl auf Umbettungsmaßnahmen als auch auf die Sicherung der regelmäßigen und dauerhaften Grabpflege eingegangen. In einem weiteren Kapitel werden die auf dem Friedhof Bestatteten nach Gruppen geordnet vorgestellt: Soldaten des Ersten Weltkriegs, Zwangsarbeiter/innen, sowjetische Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zivile Opfer, Angehörige des NS- Militärs. Ihre jeweilige Geschichte wird dabei nach Möglichkeit nacherzählt. Beispiele einzelner Toter führen in die biographische Recherchearbeit im Kontext von Kriegsgräberstätten ein.
Zusätzlich zu den Informationen über die Grabstätte und die dort bestatteten Toten bietet die Broschüre außerdem ergänzende historische Hintergrundinformationen zu verschiedenen Themen. So wird beispielsweise die Struktur des nationalsozialistischen Konzentrationslagersystems und der Waffen-SS dargestellt, der Kriegsverlauf und das Kriegsende nachgezeichnet und die Situation polnischer Zwangsarbeiter und sowjetischer Kriegsgefangener erläutert.
Im letzten Teil der Broschüre werden schließlich konkrete Methoden für die Projektarbeit mit Schüler/innen auf Kriegsgräberstätten am Beispiel des Ehrenfriedhofs in Schlüchten vorgestellt. Die angebotenen Materialien sind teilweise auch auf andere Kriegsgräberstätten anwendbar und können von den Lehrkräften bei Bedarf variiert und erweitert werden. Da sich eine vorherige thematische Einführung der Schüler/innen im Unterricht eignet, bietet sich die Projektarbeit in diesem Themenbereich ab Klassenstufe 9 an. Besonders geeignet sind Kurse, die einen Rahmen bieten können, in dem die Schüler/innen Zeit für eigene Recherche und Auseinandersetzung haben, wie beispielsweise Wahlpflichtkurse oder ähnliches.
Zu Beginn der Projektarbeit können sich die Teilnehmer/innen mithilfe verschiedener vorgegebener Fragen einen Überblick über den Ort verschaffen und damit beginnen, nach Antworten auf diese und ihre eigenen Fragen zu suchen. Anhand eines Fragebogens werden die Jugendlichen auf Besonderheiten des Ortes hingewiesen und dazu veranlasst, intensiver in das Thema einzusteigen. Der Fragebogen, welcher in der Broschüre enthalten ist, kann ohne großen Aufwand für andere Grabstätten nutzbar gemacht werden. Schließlich können die Schüler/innen durch eigene Recherchearbeit zu einzelnen auf dem Friedhof Bestatteten oder durch Bürgerbefragungen eigene Forschungen anstellen. Es besteht außerdem die Möglichkeit, über den Volksbund ein Gespräch mit einem/einer Zeitzeug/in aus der Region zu organisieren (Hessische Landeszentrale. Tel: 0611/99197-23. E-mail: hlz [at] hlz [dot] hessen [dot] de). Eine Adressliste von möglichen Personen findet sich auf der Webseite.
Die Broschüre bietet einen guten Einblick in die pädagogische Projektarbeit auf Kriegsgräberstätten. Anhand des vielseitigen Materials haben auch Lehrer/innen aus anderen Regionen die Möglichkeit, ein Projekt zu erarbeiten und durchzuführen. Die Methodenvorschläge beinhalten hilfreiche und detaillierte Informationen über den vorgesehenen Zeitrahmen und das benötigte Materialien. Außerdem wurden der Publikation umfangreiche Zusatzmaterialien wie Landkarten, Weblinks und Literaturhinweise zugefügt.
Die Broschüre kann kostenlos als PDF auf der Homepage des Volksbundes heruntergeladen werden.