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„In unregelmäßigen Abständen informierten sich die Abgeordneten des zuständigen Kulturausschusses des Brandenburger Landtages über die Entwicklung der in der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zusammengefassten Einrichtungen. Am 17. Januar 2007 tagte der Ausschuss vor Ort, in der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen. Nach einem ausführlichen Rundgang beschäftigten sich die Parlamentarier mit den Problemen des Gedenkens an Orten zweifacher Vergangenheit. Dazu erarbeitete der Stiftungsdirektor die nachfolgende schriftliche Vorlage, in der er in wenigen Thesen versuchte, einige Grundsätze den Abgeordneten aus allen Fraktionen des Landtages zu erläutern. Seine Thesen wurden mit Interesse und Zustimmung von den Ausschussmitgliedern aufgenommen.“
1. Die Erinnerungskultur in Deutschland muss vor allem eine Angelegenheit der Zivilgesellschaft bleiben, darin liegt ihre spezifische Stärke. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit einem politisch instrumentalisierten Antifaschismus sollte sich Politik darauf beschränken, die Rahmenbedingungen demokratischer Erinnerungskultur allgemein zu schaffen. Die Inhalte der Erinnerungskultur dagegen sollten weitestgehend durch Wissenschaft und Zivilgesellschaft im demokratischen, pluralistischen, freien und öffentlichen Diskurs ermittelt, konzeptualisiert und kommuniziert werden.
2. Seit der Einrichtung der sowjetischen Speziallager im April 1945 gibt es einen heftigen Streit um ihren Charakter und ihre Bewertung. Dieser dauert, was seine Inhalte und Mechanismen anbelangt, vielfach bis heute an. Die Instrumentalisierung der Speziallager im Konflikt zwischen den beiden deutschen Staaten begünstigte einseitige und verkürzte Darstellungen. Systemkonkurrenz und Opferkonkurrenz verdichteten den Streit zu einem mit moralischen und gegenseitig verletzenden Vorwürfen belasteten „Kampf um die als absolut gesetzte historische Wahrheit“.
3. In Anlehnung an eine Formulierung der Brandenburger Expertenkommission 1992, versuchte Ende der neunziger Jahre eine Bundestagsenquetekommission, eine beiden Lagern gerecht werdende Formel zu finden, die von Vielen, insbesondere auch den allermeisten Bundestagsabgeordneten, geteilt wurde. Diese findet sich weitgehend in folgendem Leittext des Museums zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 7/Nr. 1 wieder: „Im August 1945, gut drei Monate nach Kriegsende und nach der Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Herrschaft, verlegte der sowjetische Geheimdienst NKWD das Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in den Kernbereich des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Bis zu seiner Auflösung im März 1950 hielt die sowjetische Besatzungsmacht etwa 60.000 Personen in den Baracken gefangen: Männer und Frauen, Junge und Alte, Schuldige und Unschuldige, Nationalsozialisten und Demokraten, unpolitische und politische Gegner. Mindestens 12.000 Menschen starben zwischen 1945 und 1950 an Hunger, Krankheiten und Seuchen in diesem Lager, in dem neues Leid und Unrecht geschah, das selbst vor dem Hintergrund der Völker- und Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus nicht zu rechtfertigen ist. In Sachsenhausen, wo auf das nationalsozialistische Konzentrationslager das sowjetische Speziallager folgte, darf das eine durch das andere weder relativiert noch bagatellisiert werden.“
4. Vergleiche zwischen den Lagern sind als wissenschaftliche Instrumente der historischen Forschung nicht nur legitim, sondern auch unverzichtbar. Vergleiche und Aufrechnungen von Leid und Tod dagegen verletzen die Würde und die Gefühle der Opfer sowie der Angehörigen, denn erfahrenes Leid und Trauer sind immer nur subjektiv und individuell und lassen sich nicht mit einer Messlatte objektivieren. Sie werden von der jeweiligen „Gegenseite“ zumeist als eine Herabsetzung empfunden. Daher muss das Gedenken an die Opfer des KZ und die Opfer des Speziallagers getrennt bleiben. Versöhnung ist ein langjähriger, von vielen Rückschlägen und Konflikten begleiteter, schwieriger, fragiler Prozess, der nur auf der Basis von Gespräch und Verständnis wachsen und nicht angeordnet oder politisch gesteuert werden kann.
5. Im Hinblick auf den historischen Vergleich kommt es immer noch zu falschen Gleichsetzungen der sowjetischen Speziallager mit NS-Konzentrationslagern und Vernichtungslagern. Für Konzentrations- und Vernichtungslager war der geplante Mord und Massenmord an Häftlingen oder Häftlingsgruppen konstitutiv. Die historische Singularität der Vernichtung der europäischen Juden sowie der Sinti und Roma steht ohnehin außer Frage. Ein solcher justiziabler Mordvorsatz lässt sich trotz der hohen Sterberate in den Speziallagern nach der gegenwärtigen Forschungslage nicht feststellen. Auch lässt sich die Entstehungsgeschichte der Speziallager von der NS-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg als Ursachen nicht abkoppeln. Andererseits sind die sowjetischen Speziallager mindestens ebenso ein Ergebnis der jahrzehntelangen Praxis kommunistischen/stalinistischen Terrors. Diesen Dualismus der Ursachen, der zu vielen Widersprüchen führte, gilt es anzuerkennen und auszuhalten.
6. Die Erinnerung an das in den Speziallagern erlittene Leid und Unrecht darf nicht die Heterogenität der Speziallagerhäftlingsgesellschaft überdecken. Der Anteil an NS-Unbelasteten, auch politischen Gegnern des kommunistischen Systems, sowie NS-Belasteten, darunter Schwerbelastete wie Angehörige der NS-Terrorapparate, schwankt stark sowohl zwischen den verschiedenen Speziallagern als auch nach unterschiedlichen Einlieferungsphasen. Die genaue Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft konnte noch nicht genügend erforscht werden. Andererseits sind die bereits vorliegenden Forschungsergebnisse immer noch nicht in genügendem Maße im historischen Bewusstsein von Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik verankert. Insbesondere die Opfer des sowjetischen Speziallagers leiden nach wie vor unter der mangelnden Anerkennung. Es ist gerade im Interesse der vielen unschuldigen Opfer der sowjetischen Speziallager, wenn die öffentliche Würdigung und das Gedenken nur denjenigen gilt, die keine Täter waren.
7. Das dezentrale Gesamtkonzept der Gedenkstätte Sachsenhausen versucht, die unterschiedlichen Phasen der Geschichte des Ortes ohne Hierarchisierung einerseits und Vermischung andererseits durch seinen ortsbezogenen Ansatz vollständig zu integrieren und damit beide Lagerphasen fair und ausgewogen darzustellen. Zahlreiche Gedenk- und Bildungsveranstaltungen, Sonderausstellungen und Publikationen, Pädagogik- und Forschungsprojekte ergänzen die musealen Angebote im Rahmen der Möglichkeiten der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Die drei Massengräberstätten der Toten des Speziallagers wurden mit Mitteln der Bundesregierung vom Land Brandenburg würdig gestaltet.
8. Das Land Brandenburg hat durch die erfolgreiche Neukonzeption und Neugestaltung der Gedenkstätten große nationale und internationale Anerkennung erfahren. Die der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zugrunde liegenden und vom Brandenburgischen Landtag beschlossenen, in der Stiftungssatzung formalisierten Prinzipien und Grundsätze gelten den anderen Bundesländern als ein Vorbild, an dem sie sich orientieren. Insoweit ist die weitere Ausgestaltung der Erinnerungskultur in Brandenburg im Hinblick auf den Umgang mit den verschiedenen Phasen der Geschichte an den Orten mit zweifacher Vergangenheit nicht unmaßgeblich für die gesamtdeutsche Entwicklung, sie wird vielmehr national und international stark beachtet. Brandenburg hat damit eine große Verantwortung.