Der Historiker Gerd Krumeich, emiritierter Professor für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, ist Herausgeber des Sammelbandes „Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg“. Das Buch wurde nach einer gleichnamigen Tagung und Ausstellung herausgegeben. Es wird dabei der Anspruch verfolgt eine Verknüpfung zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus herzustellen. Obwohl der Band ein breites Spektrum an Themenbereichen vertritt, sind diese bisher wenig erforscht. Das Buch ist in folgende Themenfelder aufgeteilt: Mentale Mobilmachung, Tradition und Generation sowie Lektionen des Krieges.
Mit der Untersuchung des Inhalts diverser Medien des Zweiten Weltkriegs wird versucht den Diskurs im Dritten Reich nachzuzeichnen. Durch eine kulturpolitische Vereinnahmung und Instrumentalisierung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in der NS-Propaganda wurde pazifistische und kriegsfeindliche Kunst eliminiert. Beispielsweise wurde bereits seit Mitte der 1920er Jahre das „Anti-Kriegsmuseum“ von SA-Schergen verwüstet, entsprechende Literatur wurde 1933 im Zuge der Bücherverbrennung vernichtet. Umso interessanter ist die Betrachtung der diversen Medien, die allesamt von der Ideologie des NS durchwachsen waren und sich zudem auf den Ersten Weltkrieg bezogen haben. So untersucht Gerhard Hirschfeld Tonaufnahmen auf denen Reden von Hitler zu hören sind. Die Tonaufnahmen belegen, wie Hitler seine Entscheidungen mit Bezugnahme auf den Ersten Weltkrieg rechtfertigt. Bernd Sösemann analysiert mithilfe von Tonaufnahmen, wie Göbbels mit meinungsbildenden Begriffen wie „Kriegsschuld“ und „Versailles“ umgeht und sie für seine Zwecke nutzt.
Wie sich das Stereotyp des jüdischen Bolschewiken, der sich nicht nur vor dem Krieg gedrückt haben soll, sondern auch dabei auf der Gewinnerseite stand, wird von Joachim Schröder verfolgt.
Bisher vernachlässigte Medien, wie Museen, Bücher und die NS-Malerei, werden von den Autor/innen Christine Beil, Nicolas Beaupré und Stefan Schweizer behandelt. Dabei veranschaulicht Christine Beil die Inszenierung des Ersten Weltkriegs in privaten wie öffentlichen Museen und Ausstellungen, die massenhaft besucht worden sind.
Rainer Rother und Florian Kotscher widmen sich dem Medium Spielfilm. Am Beispiel des Filmes „Stoßtrupp 1917“ stellt Reiner Rother dar, wie ein Propaganda-Film konstruiert sein muss, um bei den nationalsozialistischen Eliten in der Politik Begeisterung hervorzurufen. Während der Film „Stoßtrupp 1917“ von den Ideologen gefeiert wurde, war der Film „Unternehmen Michael“ für die durchschnittlichen Kinogänger/innen in Deutschland ansprechender. Dieser Film verfolgte eine national-traditionalistische Sicht. Hier wird besonders deutlich, dass zwischen ideologisch geprägten Werken und Filmen, die sich in der nationalistischen Tradition sahen, unterschieden werden muss.
In diesem Teil beschäftigen sich mehrere Autor/innen mit der Transformation der Traditionen aus dem Ersten Weltkrieg in die Zeit danach. Dabei kann festgestellt werden, dass Brüche und Kluften dynamisch überwunden wurden. So stellt Holger Skor, anhand der Außenpolitik gegenüber Frankreich dar, warum die NSDAP eine massentaugliche Partei war. So wurde die Annäherung an Frankreich im Jahr 1936, von der Gesellschaft als innovativ empfunden. Die NSDAP und die nationalsozialistischen Organisationen verkörperten die jugendliche Dynamik der NS-Bewegung und sprachen gleichzeitig Traditionalisten an. Zudem wurden sie international anerkannt. Somit waren sie für die Front-, Kriegs-, und Nachkriegsgeneration anziehend.
Nils Löffelbein und Silke Fehlmann setzen sich mit Gruppen auseinander, die in der Weimarer Republik vernachlässigt wurden, von den Nationalsozialisten jedoch besondere Beachtung bekommen haben. Löffelbein identifiziert dabei die Invaliden als eine der Hauptadressaten Hitlers Politik. Dabei vermutet er, dass er dieser Gruppe aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Kriegsversehrter besondere Aufmerksamkeit widmete. Fehlmann hingegen befasst sich mit den „Heldenmüttern“, den Müttern der Gefallenen. Diese Mütter haben sich in der Weimarer Republik von der Politik allein gelassen gefühlt. Die Nationalsozialisten schafften es die Mütter der gefallenen Soldaten durch ihre Ideologie zu integrieren und sie als Erzeugerinnen der zukünftigen Soldaten gesellschaftlich aufzuwerten.
Anke Hoffstadt, Sven Reichardt und Arndt Weinrich beschäftigen sich anhand der Organisationen aus der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ mit dem Generationenkonflikt. Sie kommen dabei zu unterschiedlichen Aussagen. Hoffstadt zeigt anhand des Frontkämpferverbundes aus der Zeit der Weimarer Republik „Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten“, wie der Generationenkonflikt zur Auflösung dieses Verbandes geführt hat. So ist ein Teil der mitgliederstärksten Organisation von der SA vereinnahmt worden. Auch wenn sich die Frontsoldaten teilweise dagegen gewehrt haben, sind sie von den Nationalsozialisten mit den Soldaten des Dritten Reichs gleichgesetzt worden. Reichardt illustriert, dass der Generationenkonflikt innerhalb der SA gemäßigt ausgetragen wurde, bzw. teilweise vermieden wurde. So war innerhalb dieser Bewegung wenig relevant, ob man als „Märtyrer“ der Bewegung beim Straßenkampf im Dritten Reich oder ob man im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Somit wurde eine Kontinuität des Kampfes im Ersten Weltkrieg und beim Straßenkampf gegen Kommunist/innen und Sozialdemokrat/innen hergestellt. Reichardt geht bei seinen Ausführungen zudem auch auf die Riten und Symboliken, die von der SA verwandt worden sind, ein. Arndt Weinrich beschreibt die Entwicklung der Bedeutung des Ersten Weltkriegs bei der HJ. Innerhalb der Organisation wendet sich die Interpretation von einer negativen Sichtweise, bei der sich die Mitglieder als eine Verlierergeneration sehen, hin zu einer positiven, feierlichen Erinnerung an die Errungenschaften während des Ersten Weltkriegs.
Johannes Hürter veranschaulicht schließlich das Verhältnis der kriegserfahrenen Generäle zu Adolf Hitler. Auch wenn Hitler stets betonte, dass die Kriegserfahrung, im Zweiten Weltkrieg keine große Rolle spiele, so waren sich Hitler und die Generäle aus dem Ersten Weltkrieg durch die gemeinsame Erfahrungen häufig einig und gehörten somit zur tonangebenden Gruppe.
Wie die Überschrift verrät, setzt sich dieses Kapitel vor allem damit auseinander, wie auf Erfahrungen, die im Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik gemacht wurden, im Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen wurde.
Jochen Oltmer vergleicht in seinem Beitrag Zwangsmigration und Zwangsarbeit in den beiden Weltkriegen. Er stellt dabei weder in der Organisation der Arbeit, als auch im Personal und den Ministerien Kontinuitäten fest. Während im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen wurden, war das System im Zweiten Weltkrieg perfektioniert. Dort wurde eine Hierarchisierung aufgrund von vermeintlicher nationaler und ethnischer Herkunft praktiziert.
Anders verhält es sich bei der medizinischen Wissenschaft. Cay-Rüdiger Prüll konnte bei der Beschäftigung mit der Pathologie und Psychiatrie eine Kontinuitätslinie feststellen. Schon während des Ersten Weltkriegs, war unter deutschen Medizinern die Deutungsmacht über Krankheit und Gesundheit verbreitet. Das im Ersten Weltkrieg verfehlte Ziel sollte nun realisiert werden: es ging darum „Schädlinge“ auszumerzen sowie die Bevölkerung gesund und kriegsfähig zu halten. Der Medizin wurde demnach spätestens seit 1918 eine wichtige Rolle zugeteilt.
Volker R. Berghahn thematisiert die Frage der Gewalt. Er stellt fest, dass die Schwelle zur Gewaltausübung im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg durch die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, vermindert wurde.
Schließlich stellt Dirk Blasius in einem knappen Beitrag die Frage, ob Hitler von Anfang an mit viel Zuspruch rechnen konnte. Er vermutet dabei, dass insbesondere Sozialdemokrat/innen und Kommunist/innen der nationalsozialistischen Interpretation und Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg widersprochen haben.
Das Buch bietet die Möglichkeit Themen rund um die gesellschaftlichen, kulturellen, politischen oder (medizin-)wissenschaftlichen (Dis-)Kontinuitäten von Phänomenen zu verfolgen. Es kann betrachtet werden inwiefern diese während des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg transformiert wurden. Demzufolge kann festgestellt werden, dass die Nationalsozialisten in vielerlei Hinsicht auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zurückgreifen konnten. Der Erste Weltkrieg nutzte nicht nur der Mobilmachung zum Zweiten Weltkrieg, sondern trug dazu bei eine neue und radikalere Gesellschaft zu entwickeln.