Wenn Lernende, ob in der Schule oder in der Hochschule, sich im Fach Geschichte in ein Projekt einbringen und sich zugleich mit der eigenen Geschichte vertraut machen können, dann sind beste Voraussetzungen für Interesse und Engagement gegeben sowie die ersten Hürden für die Entwicklung historischer Wissbegierde genommen.
Ein solches Angebot konnte mit dem Projekt "Studenten machen Schule" des Kulturforums Östliches Europa in Potsdam im Zeitraum von Oktober 2010 bis Mai 2011 umgesetzt werden. Hierbei wurden Studierende aufgerufen, im Rahmen von Projekttagen Schülerinnen und Schülern ausgewählter grenznaher Schulen ihre östlichen Nachbarländer Polen und Tschechien näher zu bringen.
Hintergrund dieses Vorhabens war die Tatsache, dass den Lernenden in Deutschland, gleich in welche Himmelsrichtung man sich begibt, oft der Blick über die nationalen Grenzen hinweg fehlt. Dabei lassen sich gerade an der Grenze von Staaten Geschichten entdecken, die interessant und spannend sind, die zum Beispiel die Veränderbarkeit nationaler Staatsgrenzen aufzeigen. Spuren und Zeugnisse bilden einen Spiegel der Vergangenheit, der aufzeigt, welche Veränderungsprozesse eine Region durchlaufen hat. Damals wie heute stilisierten sich auch auf dem "eigenen" Territorium regionale Unterschiede heraus, die sich beispielsweise in unterschiedlichen Traditionen und Dialekten äußern. Nicht zuletzt gibt es an Grenzen viel zum Thema Nachbarschaft zu entdecken und zu erforschen.
Mit dem Projekt „Studenten machen Schule“ und dem Schwerpunkt auf die östlichen Nachbarn, bezogen auf die Regionen Neumark und Schlesien in Polen sowie Böhmen in Tschechien, wurde nach meinem Empfinden der Nerv der Zeit getroffen. Gründe für die bislang vernachlässigende Behandlung, die zugleich ein Stück deutscher Geschichte betrifft, lassen sich womöglich in den belastenden Ereignissen des 20. Jahrhunderts finden. Viel zu selten, so hatte ich es in meiner Rolle als Geschichtsstudent und Vertretungslehrer festgestellt, finden Polen und Tschechien Einzug in den deutschen Geschichtsunterricht. Dabei gab und gibt es gerade hier sehr viel zu entdecken, um die eigene Kultur und Geschichte anschaulich, greifbar und verstehbar zu machen.
Im Rahmen des Projektes haben sieben Gruppen von Studierenden für sieben Schulen in den oben erwähnten Grenzregionen Projekttage erarbeitet und durchgeführt. Diesen Projekttagen ging eine mehrmonatige Qualifizierungsphase voraus, in der die Studierenden im Rahmen zweier Seminare in Potsdam und Tschechien bzw. Polen mit möglichen grenzüberschreitenden Themenkomplexen vertraut gemacht wurden. Dabei haben sie Projektarbeiten kennen gelernt und wurden didaktisch geschult. Bei der Erarbeitung ihrer Konzepte wurden die Studierenden zudem von Pädagoginnen und Pädagogen aus der historischen Bildungsarbeit mit hilfreichen Ratschlägen unterstützt. Die Projekttage fanden in den Orten Deggendorf, Bad Kötzting und Tirschenreuth in Bayern, Sebnitz in Sachsen, Guben in Brandenburg, Demmin in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Berlin statt und widmeten sich unterschiedlichen Aspekten lokaler Geschichte des Grenzraumes. Auf der Homepage des Kulturforums finden sich Berichte, die während der Projekttage vor Ort entstanden sind.
In dem Projekt "Landsberg an der Warthe – eine Stadt und zwei Geschichten" erarbeiteten wir eine Themenwoche für eine 10. Klasse einer Berliner Schule. Der Projekttitel lässt sich aus der Stadtgeschichte selbst ableiten. Die Stadt Landsberg an der Warthe (heute: Gorzów Wielkopolski) war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, d.h. bis zur Einnahme und Besetzung der Stadt durch die Rote Armee, Teil des deutschen Staatsgebiets. Mit dem Kriegsende wurden die bisherigen Bewohner/innen enteignet und vertrieben bzw. zwangsausgesiedelt. Die an ihrer Stelle neu angesiedelte Stadtbevölkerung stammte überwiegend aus Zentralpolen.
Das Gruppenziel für die Projekttage war es, mit den Schüler/innen auf Spurensuche zu gehen, hier in eine für sie unbekannte Stadt. Hierzu entwickelten die Gruppenmitglieder Themenschwerpunkte zur Stadtgeschichte – die sowohl die deutsche als auch aus die polnische Perspektive berücksichtigen sollten. Diese Schwerpunkte wurden an zwei Tagen – gespickt mit Aspekten der Geschichte Polens – mit differenzierten Arbeitsmethoden in der Schule vermittelt und erschlossen. Um die Themenfelder hinreichend zu erschließen, wurde Kontakt zu dem Stadtarchiv in Gorzów Wielkopolski aufgenommen. Dabei wurden ausgewählte Schriften gesichtet, die einen Einblick in die Themenschwerpunkte gewährten.
Eine sehr große Hilfe für uns war der Kontakt zur Stiftung Landsberg an der Warthe. Die Stiftungsmitglieder sind ehemalige Bewohner der Stadt, die sich bis heute für die "Förderung der Kunst und der Kultur sowie die Völkerverständigung zwischen Deutschen und Polen", insbesondere in dem Gebiet der ehemaligen Stadt Landsberg (Warthe)“ engagieren. Die Stiftung gewährte uns ein Grundkapital, das es uns ermöglichte, mit den Schüler/innen in die Stadt zu fahren, um Spuren der deutschen Vergangenheit aber auch der gegenwärtigen polnischen Tradition vor Ort ausfindig zu machen. Mit Stadtplänen ausgerüstet wurden ausgewählte Strecken erarbeitet, um die einzelnen Themenschwerpunkte hinreichend und anschaulich zu erfassen. Ein Mitglied der Stiftung fungierte als Zeitzeugin. Sie stellte sich den Fragen der Schüler/innen, die so die Möglichkeit bekamen etwas über Leben und Traditionen in der Stadt, den Vorgang der Vertreibung und den Erlebnissen der Aufnahme in einer neuen Stadt zu erfahren.
Das Projekt bot nicht nur den Schüler/innen die Möglichkeit ein Stück deutsch-polnischer Lokalgeschichte neu zu erfassen, sondern auch den Studierenden, die aus unterschiedlichen Studienrichtungen kamen. Auch in meinem Studium der Geschichte gab es lange Zeit keine Angebote im Blick auf die Geschichte der östlichen Nachbarn. Daher entschloss ich mich an dem Projekt ehrenamtlich teilzunehmen. Vor allem lockte mich die Tatsache, die deutsche Kulturgeschichte in Polen selbst zu erkunden und zugleich für Lernende und Interessierte vermittelnd und unterstützend aufzutreten.
Der Gruppe gelang es, das oft als trocken und langweilig empfundene Fach Geschichte adressatenorientiert und vielfältig aufzubereiten. Den Schüler/innen war anzumerken, dass sie diese Tage, die eine unkonventionelle Illustration von Geschichte darstellten, in vollen Zügen genossen. Sie erarbeiteten eigenständig und zielstrebig Themenschwerpunkte und waren voller Freude bei der Entdeckungstour vor Ort dabei. Der Höhepunkt der Schülerarbeit war der Entwurf eines Stadt-Reiseführers, den die Gruppe mit Hilfe der gewonnen Kenntnisse und Eindrücke entworfen hat.
Es ist lohnenswert mehr studentische Projekte für den schulischen Bereich zu initiieren, zumal sie frei von vielen Vorgaben und Reglements sind, denen Lehrkräfte im Unterrichtszusammenhang verpflichtet sind. Studierende haben Zeit, gemeinsam mit Schüler/innen Ideen und phantasievolle Umsetzungen zu erarbeiten, wobei gleichzeitig auf die Erfahrungen von Lehrkräften zurückgegriffen werden kann. Schlussendlich war dieses Projekt ein Gewinn für alle Personengruppen.
Ein Teil der erarbeiteten Unterrichtskonzepte mit einem detaillierten Ablaufplan, einem Erfahrungsbericht sowie praktischen Hinweisen und Literaturtipps stehen auf der Homepage des Deutschen Kulturforums östliches Europa zur Verfügung. Weitere Konzepte sollen nach und nach ergänzt werden. Zudem findet man auf der Homepage eine detaillierte Projektdokumentation mit Berichten und Fotos der einzelnen Seminare in Potsdam, Ústí nad Labem, Krzyżowa sowie Berlin. Auch einzelne Projekttage sind nachvollziehbar.