Neben vielen gelben Ortseingangsschildern stehen zusätzliche, die trotz ihrer gelegentlich kreativen Gestaltung oft übersehen werden. Sie nennen die Partnerstadt oder gar Partnerstädte des Ortes, in den man gerade hineinfährt. Noch in den 1970er Jahren erfreuten sich Städtepartnerschaften einer hohen Popularität, heute ist es um viele recht ruhig geworden. Die Geschichte der Städtepartnerschaften ist auch eine Geschichte der Nachbarschaft, die unter einer Vielzahl von Fragestellungen interessante Einblicke eröffnen kann.
Im Jahr 1985 bestanden 2060 Partnerschaften zwischen bundesdeutschen Städten und Kreisen zu Kommunen in gut 40 Ländern der Welt. Wie entstanden Partnerschaften zu Nachbarstädten und wie wurden sie mit Leben gefüllt? Hier können viele und auch ortsspezifische Fragen entwickelt werden.
An der Spitze der Partnerländer stand Frankreich, unser Nachbar im Westen, mit 1027 Partnerschaften. Die Beziehungen zum französischen Nachbarn konnten sich in Reichweite bzw. Grenznähe abspielen, etwa zwischen Völklingen/Saar und dem französischen Forbach oder zwischen Dudweiler im Saarland und dem französischen St. Avold. Viele Partnerschaftsbeziehungen entstanden aber auch zwischen Städten, die schon ein paar Autostunden voneinander entfernt lagen. Das war sicherlich auch beabsichtigt, denn möglicherweise entwickelte sich das Interesse am Nachbarn umso stärker, je weiter entfernt er sich befand.
Städtepartnerschaften zwischen bundesdeutschen Kommunen zu Städten in Frankreich – aber auch zu anderen Ländern - eignen sich, darüber nachzudenken, wie Menschen aus ehemals verfeindeten Ländern zueinander gekommen sind. Immerhin standen sich beide Länder zwischen 1870 und 1945 in drei Kriegen gegenüber und nicht zuletzt deshalb sprachen beide Länder von einer "Erbfeindschaft". Nicht nur der Zweite Weltkrieg hinterließ in Frankreich tiefe Wunden, vor allem im Ersten Weltkrieg erlitten französische Eisenwerke und Gruben schwere Schäden – ein harter Schlag für Frankreich, das industriell seit dem 19. Jahrhundert weit hinter Deutschland lag und nach dem Ersten Weltkrieg auch demografisch schwere Verluste erlitten hatte.
Städtepartnerschaften sollten nach dem Willen der beiden Staatsmänner Charles de Gaulle und Konrad Adenauer die Menschen beider Länder zusammenführen, persönliche Beziehungen sollten entstehen und daraus auch das Verständnis füreinander wachsen. Ist das gelungen? könnte eine der spannenden Fragen sein. Warum ist es heute so ruhig um manche Partnerschaft geworden? eine andere.
Städtepartnerschaften sind gerade aus Perspektive der östlichen Bundesländer ein besonders reizvolles Thema, berühren sie doch sowohl die Geschichte der DDR wie auch die Entwicklung nach der Wiedervereinigung. Die DDR stand in den 1960er Jahren vor dem Problem, dass sie vom Westen als Staat nicht anerkannt wurde. Der Westen bekannte sich zur Bundesrepublik und zur "Hallstein-Doktrin". Jeder Staat, der die DDR anerkannte, musste folglich damit rechnen, dass Bonn seine Beziehungen zu ihm abbrach. Der DDR gelang es aber trotzdem, diese Doktrin aufzuweichen. Dabei spielten auch Städtepartnerschaften zu französischen Städten eine wichtige Rolle. Für die Hinwendung der DDR zu Frankreich spielten nicht zuletzt die vielen Beziehungen zwischen bundesdeutschen und französischen Städten eine Rolle. So knüpfte die DDR bis zum Jahresende 1965 immerhin 153 Partnerschaften zu Städten und Orten in Frankreich. Geografisch konzentrierten sie sich auf Nordfrankreich und die Pariser Vororte. Die meisten dieser Partnerstädte waren von kommunistischen Bürgermeistern regiert. Beispiele sind etwa die Partnerschaften Apolda und Séclin, Plauen und Lens, Karl-Marx-Stadt und Arras sowie Mulhouse, Leipzig und Lyon, Dresden und Strasbourg, Weimar und Blois, Erfurt und Lille, Berlin und Paris, Cottbus und Montreuil, Görlitz und Amiens, Leipzig und Lyon, Halle und Marseille sowie Halle und Grenoble, Rostock und Dunkerque, Wismar und Calais.
Die Städtepartnerschaften nutzte die DDR-Politik als Bühne, um in der französischen Öffentlichkeit für die DDR als ein antifaschistisches Deutschland zu werben und zugleich den Alleinvertretungsanspruch der BRD zurückzuweisen. Ein Netzwerk von französischen Kommunisten und Angehörigen der Résistance war hier ein wertvoller Partner und die wichtigste Rolle für die Beziehungen spielten Freundschaftsgesellschaften in Frankreich und der DDR. Für die DDR-Gesellschaft fand eine inszenierte und kontrollierte Begegnung statt. Besuchsdelegationen in die französische Partnerstadt blieben der politischen Klasse aus SED, Blockparteien und Massenorganisationen vor Ort vorbehalten – die STASI beobachtete und plante mit.
Als 1990 die Menschen in der ehemaligen DDR endlich ihre Reisefreiheit gewannen, entzündete sich gerade an den Städtepartnerschaften zu Städten im Westen, wie etwa in Frankreich, die Wut über die Jahre des Eingesperrtseins. Das Bewusstsein, dass sie zu DDR-Zeiten von der Partnerschaft ausgeschlossen waren und nur ein auserwählter Kreis von SED-Genossen an dieser Städtepartnerschaft hatte teilhaben dürfen, entwertete für sie die bestehende Partnerschaft.
In diesem Zusammenhang stellen sich für das forschende Lernen die Fragen, wie die Städtepartnerschaften unter oder trotz Kontrolle "gelebt" worden waren und wie sie sich nach 1990 weiterentwickelten. Manche zerbrachen, andere bestehen bis heute weiter – hier gilt es zu fragen, welche Diskussionen damals über das Fortbestehen der Partnerschaft geführt wurden und was sich wie verändert hat. Es lohnt nachzufragen, wie sich die französische Seite in der neuen Situation verhielt und zu prüfen, wer die neuen Akteur/innen waren und ob sie die gesamte Öffentlichkeit an der Partnerschaft teilhaben ließen. Entstand nun anstelle einer auch von der Stasi kontrollierten Beziehung eine Städtepartnerschaft, in der sich die Nachbarn frei kennenlernen und austauschen konnten?
Mit Blick auf die geografische Nachbarschaft der DDR zu Polen eröffnet sich ein weiteres Themenfeld, das hier ganz bewusst nur angedeutet werden soll, da Städtepartnerschaften nur Teil eines komplexeren Themas sind. Antipolnische Denkmuster und Polenhass aus der NS-Zeit lebten in weiten Teilen der DDR-Gesellschaft weiter und wurden in einem gewissen Maße bewusst von der SED gefördert, vor allem nach den ersten Erfolgen der polnischen Oppositionsbewegung 1980 und der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981; sah die DDR doch in der polnischen Solidarność eine Bedrohung auch ihres Systems. Diese Propaganda fiel auf fruchtbaren Boden, da die DDR-Bürger/innen im Alltag ihrer Mangelgesellschaft in polnischen Vertragsarbeiter/innen Konkurrent/innen sahen. Hinzu kamen manche negative Erfahrungen mit polnischen Schwarzmarkthändler/innen in der DDR . Bestehen diese Vorurteile bis heute weiter? Was hat sich im Verhältnis beider Länder geändert, wie wird die Nachbarschaft in der Grenzregion wahrgenommen? Viele spannende Fragen!
Grundsätzlich ist die Quellenlage zu Städtepartnerschaften ausgezeichnet. Vor Ort kann im jeweiligen Stadtarchiv recherchiert werden. Informativ dürften folgende Bestände sein:
Es sollte versucht werden, mit Chroniken zu den Partnerschaften zu beginnen. Meist wurde nach 10 oder 20 Jahren Partnerschaft eine "Geschichte der Beziehungen" erstellt, mit genauen Datumsangaben zur Unterzeichnung der Verträge und der gegenseitigen Besuche und Aktivitäten. Dies erleichtert, sich einen Überblick zu verschaffen und Schwerpunkte in der weiteren Recherche zu setzen. Darüber hinaus ist mit Hilfe einer ggf. vorhandenen Chronik eine gezielte Sichtung der Tagespresse möglich. Das kann man sich u.U. sparen, wenn es in den Akten eine Pressedokumentation gibt.
Möglichst frühzeitig sollte nach den Akteur/innen der Partnerschaft recherchiert werden, hier dürfte es in den Stadtverwaltungen Ansprechpartner/innen geben, die diese benennen und Kontakte herstellen können. Diese Akteur/innen können als Zeitzeug/innen oder Expert/innen befragt werden. Dies empfiehlt sich aber erst nach Sichtung und Auswertung der Akten, um gezielter fragen und kritisch nachhaken zu können. Diese Überlieferungsstruktur gilt natürlich auch für die jeweilige Partnerstadt.
Eine weitere Gruppe für lohnenswerte Recherchen bilden die Freundschaftsgesellschaften; mit Blick auf die deutsch-französischen Städtepartnerschaften ist zu prüfen, ob es örtliche Freundschaftsgesellschaften gibt. (Dachverband in Deutschland: "Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e. V.", auf französischer Seite "Fédération des Associations Franco Allemande pour l’ Europe".)
Für die Partnerschaften zwischen Städten der DDR und Frankreich ergibt sich ebenfalls eine sehr gute Quellenlage. Auch wenn es eine kommunale Selbstverwaltung in der DDR nicht gegeben hat und die Partnerschaften zentral vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, dem ZK der SED, mit der Abteilung Internationale Verbindungen und der Liga für Völkerfreundschaft vorbereitet wurden, so findet sich in den Stadtarchiven eine Fülle von Unterlagen, meist im Rat der Stadt und den für internationale Verbindung zuständigen Abteilungen. Man muss ferner recherchieren, in welchem Bezirk die jeweilige Stadt gelegen hat und dann im zuständigen Staatsarchiv den Bestand Rat des Bezirkes, Abteilung/Sektion Internationale Beziehungen überprüfen. Auch die Bestände der SED-Bezirksleitung können in den Staatsarchiven herangezogen werden(sie enthalten aber vergleichsweise weniger Informationen zum Thema als der Rat des Bezirkes).
Wie dargestellt, sind die Städtepartnerschaften auch vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet worden, dazu sind die bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) vorgehaltenen Unterlagen heranzuziehen. Deren zeitnahe Ermittlung und Bereitstellung könnte ein Problem werden, eine Hilfe und Beratung über die Außenstellen lohnt sich sicher. Für den Zeitraum nach 1990 wird Unterstützung benötigt. Ansprechpartner/innen sind die Kommunalverwaltungen, was schwierig werden kann. Hilfreich ist die Lokalpresse, hier sind am besten Journalist/innen, die die Zeit nach 1990 mit begleitet haben, Ansprechpartner/innen.
Im Katalog der Deutschen Bücherei/Nationalbibliothek sind zum Thema