"Diese Geschichte fand auch in Sulzbach-Rosenberg statt, das sollen die Schüler nicht nur im Unterricht oder aus Büchern erfahren, sondern praktisch erforschen."
Realschulrektor Wolfgang Pfeiffer (Sulzbach-Rosenberger Zeitung vom 12.02.2012)
In diesem Beitrag wird das pädagogische Konzept des deutsch-tschechischen Schulprojekts vorgestellt, das kürzlich im Rahmen der Ausstellung "Sulzbach-Rosenberg unterm Hakenkreuz – NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum" von der Projektgruppe „Zwangsarbeit“ e. V. umgesetzt wurde.
Die Projektgruppe "Zwangsarbeit" e. V. ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin. Anlass der Vereinsgründung war das offensichtliche Fehlen von objektiven Informationen zum Thema NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum und die anhaltende, öffentliche Ehrung des in Nürnberg u. a. wegen "slavery" verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick. Ziel des Vereins ist es, zu informieren und die lokale Bevölkerung dort zu erreichen, wo bisher in Blick auf die lange überfällige Aufarbeitung aus verschiedenen Gründen wenig getan wurde. Dies geschieht bei der Erarbeitung und Umsetzung von wissenschaftlich fundierten Ausstellungsprojekten zur lokalen Zwangsarbeitsgeschichte durch die Einbeziehung bzw. Unterstützung der Aktiven vor Ort. Die Projekte sollen die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit und dem heutigen Umgang damit anstoßen. Binationale Schulprojekte sollen darüber hinaus zur Sensibilisierung gerade der jüngeren Generationen beitragen. Damit stellen die Seminar- und Ausstellungsprojekte einen aktiven Beitrag zur antirassistischen und antifaschistische Bildungsarbeit in ländlichen Regionen dar und dienen der Stärkung demokratischer Strukturen vor Ort.
"Das Projektthema und die Teilnahme am Projekt hat mir viel Spaß gemacht und ich fand es sehr toll. Ich mochte daran, dass es ein Thema aus unserer Umgebung ist und dass wir etwas Interessantes erfahren haben und noch immer erfahren. Das Projekt war gelungen und ich bin froh, dass ich mit meinen Mitschülern daran teilgenommen habe." Vastimil (15 Jahre), Schüler aus Holýšov (CZ)
Für die Teilnahme an dem Schulprojekt, das im Rahmen der Ausstellung "Sulzbach-Rosenberg unterm Hakenkreuz – NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum" stattfand, konnten auf deutscher Seite zwei 10. Klassen der Walter-Höllerer-Realschule aus Sulzbach-Rosenberg und auf tschechischer Seite eine 9. Klasse der Základní škola aus Holýšov gewonnen werden.
Das Schulprojekt soll deutschen und tschechischen Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, sich mit der NS-Geschichte ihrer Heimatregion und der vor Ort gelebten Erinnerungskultur selbstständig auseinanderzusetzen. Der pädagogische Ansatz beruht auf der direkten Konfrontation der Lernenden mit Zeitzeug/innen, Gedenkorten sowie teilweise mit originalen und oftmals noch unausgewerteten Archivmaterialien. Dies versetzt die Schüler/innen in die Lage, die NS-Geschichte ihrer Heimat aus dem Blickwinkel der Forscherin und des Forschers kennenzulernen, direkte Bezüge herzustellen und sich ein Bild über den heutigen Umgang mit der Geschichte zu machen. Die bilaterale Begegnung im Rahmen des deutsch-tschechischen Seminars bildet einen weiteren Schwerpunkt: Neben dem privaten Kennenlernen der deutschen und tschechischen Jugendlichen steht hierbei der Vergleich der Erinnerungskulturen auf Grundlage der jeweiligen Schulprojekte im Mittelpunkt.
Das Schülerprojekt ist alltagsnah, fördert das soziale Miteinander und stärkt Handlungskompetenzen im Bereich der historischen und politischen Bildung.
Für die Durchführung eines solchen Projekts sind geschichtliche Kenntnisse der Schüler/innen über die Zeit des Nationalsozialismus von Vorteil. Eine Teilnahme ab Klasse 9 erscheint sinnvoll.
Im Vorfeld hat die Projektgruppe "Zwangsarbeit" e. V. den beiden Schulen Material zum Thema NS-Zwangsarbeit bereitgestellt und Zeitzeug/innen vermittelt. Zudem wurde den beteiligten (Geschichts-)Lehrer/innen ein individuell zugeschnittenes Unterrichtskonzept – sowohl für die Interviews mit den Zeitzeug/innen als auch zum Thema Erinnerungskultur – an die Hand gegeben. Die konkrete Durchführung lag jedoch hauptsächlich bei den verantwortlichen Lehrer/innen.
Die teilnehmenden Schüler/innen setzten sich zunächst inhaltlich mit dem Thema NS-Zwangsarbeit im Nationalsozialismus auseinander – u. a. mit Hilfe des Films "Das Heimweh des Walerjan Wrobel". In einem zweiten Schritt wurden Interviews mit den Zeitzeug/innen und der Ausflug zu den Erinnerungsorten vorbereitet. So galt es, die Schüler/innen in den Themenbereich der Oral History einzuführen, einen Fragenkatalog zu entwerfen und die Denkmäler des jeweiligen Ortes, die an die NS-Zeit erinnern, zu recherchieren. In der dritten Projektphase wurden die Zeitzeug/innen im Rahmen eines Projekttages interviewt und/oder die Erinnerungsorte aufgesucht. Der Projekttag bildete das Kernstück der Schülerarbeit, weil die Erfahrungen und Ergebnisse wichtige Elemente für die Ausstellung liefern und die Basis für den abschließenden bi-nationalen deutsch-tschechischen Workshop bildeten. Die Ergebnisse des Projekttages wurden von den Lernenden hierfür aufbereitet (z. B. Zitate der Zeitzeugen, Fotos und Informationen zu den einzelnen Denkmälern zusammengetragen etc.). Abgeschlossen wurde das Schulprojekt mit dem erwähnten deutsch-tschechischen Workshop in Sulzbach-Rosenberg. Die deutschen und tschechischen Jugendlichen tauschten sich über die gemachten Erfahrungen aus und verglichen die jeweiligen Erinnerungskulturen ihrer Städte. Beim Schülerworkshop nahmen zudem deutsche und tschechische Zeitzeug/innen teil, so wurde ein generations- und grenzübergreifendes Gespräch über die NS-Zeit ermöglicht.
Die jeweilige Durchführung und der Umfang des Projekts wurden individuell auf die einzelnen Klassen zugeschnitten, da die Umsetzung des Projekts stark vom Alter der Schüler, der Klassenstärke, dem zeitlichen Rahmen sowie von der Verfügbarkeit von Zeitzeug/innen und historischen Materialien abhing. Das deutsche und das tschechische Schulprojekt entwickelte dadurch seine eigenen Schwerpunkte und Besonderheiten.
Die Ergebnisse der Schulprojekte flossen auf unterschiedliche Weise in die Ausstellung ein. So wurden Zitate der Zeitzeugeninterviews auf einzelnen Ausstellungstafeln abgedruckt und ergänzten den wissenschaftlichen Teil der Ausstellung in Sulzbach-Rosenberg. Zudem wurden die Erkenntnisse der deutschen und tschechischen Schüler/innen jeweils in Form einer Mappe zur Sulzbach-Rosenberger und Holýšover Erinnerungskultur aufbereitet und in der Ausstellung ausgelegt.
Die Základní škola Holýšov publizierten ihre Mappe im Anschluss an die Projektarbeit aus eigener Initiative mit Hilfe der Stadt und schufen so nicht nur für die teilnehmenden Schüler/innen eine bleibende Erinnerung, sondern ermöglichen eine über den Workshop und die Dauer der Ausstellung hinausgehende Nachhaltigkeit. Vorangegangen Projekte zeigten zudem, dass das Engagement der Schüler/innen auch ein Anstoß zur öffentlichen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der Stadt bewirken kann.
Die drei bisher durchgeführten Schulprojekte haben gezeigt, dass eine Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren einen Mehrwert in der Bildungsarbeit schaffen kann. Die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der eigenen Stadt wirkt motivierend auf die teilnehmenden Schüler/innen, da durch den direkten Bezug zur eigenen Lebenswelt auch ein persönliches Interesse besteht bzw. geweckt wird. Zudem setzt die Einbettung des Projekts in ein großes wissenschaftliches Ausstellungsprojekt Kräfte und Kompetenzen frei, weil die Arbeit der Schüler/innen öffentlich sichtbar und wertgeschätzt wird. Nicht zuletzt beinhaltet der binationale Charakter des Workshops die Möglichkeit, andere Perspektiven kennenzulernen und Kontakte ins benachbarte Ausland zu knüpfen. Die gemeinsame Projektarbeit der deutschen und tschechischen Schüler/innen leistet einerseits einen Beitrag zur komparativen Erforschung nationaler Erinnerungskulturen. Andererseits fördert sie den interkulturellen Austausch, was zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der Nachbarn und Nachbarinnen führt.
Natürlich bringt ein solch ambitioniertes Schulprojekt auch einen gewissen Arbeitsaufwand für die teilnehmenden Schulen mit sich. Zwar unterstützt die Projektgruppe "Zwangsarbeit" e. V. die Lehrenden und Schüler/innen bei der Vorbereitung, Planung, Recherche und Nachbereitung so weit wie möglich, trotzdem ist ein Engagement von Seiten der beteiligten Schule notwendig.
"Das Thema hat bei mir großes Interesse geweckt, denn ich finde, dass man diese Zeit nicht vergessen und offen darüber sprechen sollte. Außerdem bin ich stolz, bei diesem Projekt selbst mitgewirkt und etwas Sinnvolles auf die Beine gestellt zu haben." Simon (16 Jahre), Schüler aus Sulzbach-Rosenberg
Die Schulprojekte sind Bestandteil eines Ausstellungsprojekts, bei dem die Zwangsarbeitergeschichte einzelner deutscher Orte wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich präsentiert wird. Dabei wird versucht, Schulen aus dem jeweiligen Ort und der näheren Umgebung einzubinden und teilnehmende Schulen vor Ort für die Projektarbeit zu gewinnen. Die nächsten Ausstellungen und dazugehörigen Schulprojekte werden 2013/2014 in Bückeburg und Extertal stattfinden. Die Beteiligung von tschechischen oder polnischen Schulen ist geographisch hingegen nicht so stark eingegrenzt.