Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Wer heute die Schönholzer Heide, ein kleines Waldgebiet am westlichen Rande des Berliner Bezirks Pankow betritt, wird, insbesondere bei gutem Wetter, auch auf andere Ausflügler/innen treffen. Auf den Wiesen sitzen kleinere und größere Menschengruppen, immer wieder kreuzen Joggende den Weg und auch der Bolzplatz findet regelmäßige Verwendung. Allein zwei Tafeln des Museumsverbundes Pankow deuten auf die wechselvolle Geschichte des Parks hin. Eine kleine Projektgruppe hat sich in den vergangenen zwei Jahren dieser Geschichte gewidmet. Zunächst wurde zusammen mit Pankower Jugendlichen ein Film zum Thema erarbeitet, der nun durch didaktische Materialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit ergänzt wird. Die jüngst im Rahmen des Lokalen Aktionsplan Pankow (LAP) realisierten Materialien gliedern sich in drei thematische Bausteine, die unabhängig voneinander genutzt, aber auch miteinander kombiniert werden können.
Einen historischen Längsschnitt zur Geschichte des Ortes bietet die Heiderallye. Die Nutzungsgeschichte des Waldstücks erstreckt sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute und bietet die Möglichkeit, sich auf unterschiedliche Epochen und Aspekte der Vergangenheit zu fokussieren. Die Anlage selbst wird damit ein erfahrbares historisches Objekt, mit der Besonderheit, dass sich die Zeugnisse der Geschichte, vom sowjetischen Ehrenmahl abgesehen, eher unauffällig präsentieren. In Kleingruppen werden sechs verschiedene Punkte in der Schönholzer Heide erlaufen, an denen chronologisch die Geschichte des Parks durch beigelegte historische Quellen und Fragestellungen sowie Diskussionsanregungen nachvollzogen wird. Die Spurensuche führt so von der Nutzung des Parks als Erholungsgebiet über das stetige Anwachsen des Bezirkes im Zuge der Industrialisierung zunächst zum großen Vergnügungspark „Traumland“ in den 1930er Jahren. Von dem 1940 in der Schönholzer Heide aufgebauten Zwangsarbeiter/innenlager und zeitweilig mit knapp 2500 Bewohner/innen einem der größten Berlins steht heute nur noch ein alter Bunker. Die Suche führt schließlich weiter von der inmitten des Parks gelegenen Kriegsgräberstätte über die Spuren der Nutzung des Parks in der DDR. Die Relikte des großen Freilichttheaters und die zeitweilige Müllkippe verdeutlichen, dass die historische Bedeutung des Ortes keine Rolle spielte.
Im zweiten Baustein wird über die Geschichte des Zwangsarbeiter/innenlagers in der Schönholzer Heide in die verschiedenen Facetten der nationalsozialistischen Zwangsarbeit eingeführt. In vier Modulen werden mit kurzen Texten eingeführte Quellen vorgestellt, die mit Arbeitsaufgaben und Vorschlägen zur methodischen Bearbeitung abgerundet werden.
Bei der Bearbeitung des Einführungsmoduls soll zunächst deutlich werden, dass die nationalsozialistische Politik der Zwangsarbeit sich in einem permanenten Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und nationalsozialistischer Ideologie bewegte. Die rassistischen Bestimmungen, die sich neben den Erlassen der Behörden auch anhand unterschiedlicher lokaler Firmendokumente nachzeichnen lassen, werden im zweiten Modul mit den Erfahrungen der Betroffenen in Form von drei Biografien und Interviewauszügen kontrastiert.
Im Modul zum Thema Widerstand sind verschiedene Handlungsebenen widerständigen Verhaltens dokumentiert. So organisierte Josef Lenzel, Pfarrer einer lokalen Gemeinde, Gottesdienste für die polnischen Zwangsarbeiter/innen und geriet deshalb in das Visier der Gestapo. Nach seiner Verhaftung im Januar 1942 wurde er schließlich in das KZ Dachau deportiert, wo er nach kurzer Zeit umkam. Auch in den Interviews, die der Museumsverbund Pankow mit einigen ehemaligen Zwangsarbeiter/innen vor einigen Jahren geführt hat, werden verschiedene Geschichten über Widerstand gegen die menschenunwürdigen Bedingungen erzählt.
Kernstücke des letzten Moduls zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft sind ein (gescheitertes) Klageverfahren einer ehemaligen Zwangsarbeiterin aus dem Lager sowie ein relativ aktueller Schriftwechsel eines ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters mit Institutionen bzw. Vertreter/innen der deutschen Politik.
Der dritte Baustein widmet sich unter der Überschrift „Erinnern und Gedenken“ in vier Modulen der neueren Geschichte des Bezirks.
In der Einführung wird zunächst die historische Entwicklung des Erinnerns und Gedenkens an den Nationalsozialismus in seinen verschiedenen Facetten in den beiden deutschen Staaten vorgestellt. Anhand von Quellen können die Jugendlichen herausarbeiten, welche Funktionen die unterschiedlichen Formen des Gedenkens sowohl für einzelne Menschen, aber auch Institutionen oder eine ganze Gesellschaft haben können, um anschließend eine eigene Position zu entwickeln.
Die Beschäftigung mit der Kriegsgräberstätte in der Schönholzer Heide ermöglicht es, neben einer Auseinandersetzung mit gestalterischen Elementen und den damit verbundenen Intentionen des Gedenkens auch auf aktuelle Facetten rechtsextremer und neonazistischer Geschichtsinstrumentalisierung und der Rolle, die diese für die Konstituierung rechtsextremer Ideologie einnimmt, zu schauen.
Sicherlich am bekanntesten ist das Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide, das derzeit aufgrund von Restaurierungsarbeiten nicht besichtigt werden kann. Der Vergleich des Ehrenmals mit dem Ehrenmal im Treptower Park ermöglicht es, grundlegende Elemente des Gedenkens zu thematisieren. Über die Analyse der zwei zentralen Figuren der Denkmäler lässt sich herausarbeiten, dass das Treptower Ehrenmal vor allem als Symbol des Sieges gebaut wurde, während das Schönholzer Ehrenmal hingegen der Trauer gewidmet ist. Das bei der Ikonografie auch Geschlechterstereotype eine zentrale Rolle spielen ist ebenfalls Bestandteil des Moduls. Insbesondere die Gedenkfeierlichkeiten am Schönholzer Ehrenmal zu Zeiten der DDR ermöglichen es, in den komplexen Zusammenhang von Gedenkpolitik und ihrer Rolle für das gesellschaftliche Selbstverständnis einzusteigen.
Das Modul Gedenken im Bezirk Pankow wirft einen Blick auf die jüngste Geschichte des Erinnerns im Bezirk. Die neu entstandenen Erinnerungsorte verdeutlichen eine Ausdifferenzierung auf verschiedenen Ebenen: Zum einen steht, anders als in der DDR, nicht mehr allein der kommunistische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime im Fokus. Neben dieser thematischen Ausdifferenzierung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus sind auch Erinnerungsorte an andere Ereignisse der Lokalgeschichte, wie dem Fall der Mauer hinzugekommen. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage nach der geschichtspolitischen Funktion des Gedenkens auch heute aktuell.
Obwohl die Materialien vorrangig für die Bildungsarbeit im Bezirk konzipiert wurden, lassen sie sich in lokal angepasster Form auch an anderen Orten verwenden. Schließlich gehören die behandelten Themenkomplexe „NS-Zwangsarbeit“ und „Erinnern und Gedenken“ vielerorts zur Lokalgeschichte und sind somit auch, offensichtlich oder versteckt, im Stadt- oder Landbild präsent, so dass über die Materialien eine lokale Spurensuche und Auseinandersetzung der Jugendlichen mit ihrer eigenen Position zum Thema Erinnern und Gedenken angestoßen werden kann.
Die Materialien und der Film können in digitaler Form sowie als Ordner mit Kopiervorlagen gegen Spende bestellt werden.
Kontakt: heidefilm [at] gmx [dot] de