„Zuviel Zukunft hieß für sie keine Zukunft.“ Ein systemtreuer Lebenslauf in der DDR versprach Sicherheit und soziale Überversorgung und diente so als Totschlagargument gegen den Vorwurf der Unterversorgung mit Grundrechten. Wem die obligatorischen Stationen Pionier, FDJ, NVA und Beschäftigung in der sozialistischen Produktion nicht zusagten, der konnte in der Underground-Szene der Punks eine alternative Heimat finden.
„Too much future“ bezeichnet somit die Opposition gegen die durchgeplante Vereinnahmung des eigenen Lebens durch den sozialistischen Staat und ist der Titel eines Projektes, das sich mit Subkultur, und speziell mit Punk, in der DDR beschäftigt. Aktivisten, die in der DDR gegenkulturell engagiert waren, dokumentieren in Buchform, in Ausstellungen und in einem Film ihre eigene Vergangenheit, aber auch die Fortführung der Aktivitäten in der DDR-Subkultur in ihren heutigen Biografien.
Die Internetseite toomuchfuture.de ist Sammelbecken und Informationsplattform des Projektes. Die Seite greift in Ästhetik und Sprache den Stil der Punkbewegung auf. Unter „Zur Klärung eines Sachverhaltes“(nach der Angabe des Grundes für polizeiliche Vorladungen zu Vernehmungen von Punks) findet man einen geschichtlichen Abriss über Punk in der DDR, dessen Spezifik in seiner Ausprägung als politisches Phänomen mit popkulturellem Hintergrund lag (im Gegensatz zur Bundesrepublik, in der der Punk als popkulturelles Phänomen mit politischem Hintergrund beschrieben wird). Unter der Rubrik „Chaos in Zahlen“ verbirgt sich eine Chronologie der Punkbewegung in der DDR ab 1977, die auch den weiteren Weg der Underground-Aktivisten nach 1990 nachverfolgt. Der Beantwortung der Frage, inwieweit Punk und generell die Underground-Szene der DDR sich am Westen orientierte oder nicht, diente unter anderem die Berliner Ausstellung „ostPUNK! Too much future“ 2005.
Einen Zyklus von drei Ausstellungen in Berlin, Dresden und Halle eröffnete die Berliner Ausstellung im Jahre 2005. Auf drei Etagen einer alten Fabrik in Prenzlauer Berg sahen 16 Tage lang etwa 5.000 Besucher Hinterlassenschaften wie Malerei, Musik und Fotografie aus der Ostpunk-Szene. Die Ausstellung dokumentierte auf der einen Seite die bizarren Ausprägungen der Punkszene und deren Willen zur Selbstbestimmung und auf der anderen Seite die einsetzende Verfolgung durch die Staatsmacht. Diese Verfolgung wird dabei als Reaktion auf das Entstehen der Szene inszeniert, deren Beginn also nicht als Antwort auf Repressionen zu verstehen ist, sondern als das Einfordern von Freiheiten, die bis dahin in der DDR undenkbar waren. Auf die Berliner Ausstellung folgten Neuauflagen, 2007 in Dresden und 2008 in Halle.
In Zusammenhang mit der Ausstellung entstand ebenfalls ein Katalog mit gleichnamigem Titel. Inhaltliche Schwerpunkte der Darstellungen bilden Ostberlin und Leipzig, unter Einbeziehung von Punk außerhalb seiner Zentren. Der Katalog verbindet Fakten und Anekdoten, um der reinen "Aufarbeitung" die bizarre Seite von Ost-Punk entgegenzusetzen. Alle Autoren waren der Szene direkt oder indirekt verbunden. Die Texte behandeln den Beginn der Bewegung, die Beziehungen zwischen Punk und Kirche, die Repressionsgeschichte sowie die Verbindungen zwischen Punk und Kunst-Underground. Teil des Kataloges ist außerdem ein Bandregister von beinahe 100 DDR-Punkbands. Der Katalog kann direkt auf der Seite toomuchfuture.de bestellt werden und kostet knapp 15 Euro.
Als weitere Präsentationsform entstand ein Dokumentarfilm, der 2007 in die Kinos kam. Der Film porträtiert zwei Frauen und vier Männer der frühen Ostpunk-Bewegung aus Berlin, Leipzig und Dresden und dokumentiert ihre Biografien bis über das Ende der DDR hinaus. Er soll somit das Porträt einer Subkultur darstellen, die er nicht nur als politisches, sondern auch als ästhetisches Phänomen begreift. Konsequenterweise findet die Auseinandersetzung mit Punk auch stilistisch statt: Es entstand ein Materialmix aus aktuellen Filmaufnahmen, Original-Super-8-Material, DDR-Propagandafilmen und Animationen.
Der Film kann für knapp 12 Euro auf DVD bestellt oder als Google-Video online angeschaut werden. Der Filmemacher Michael „Pankow“ Boehlke erzählt in einem 7-minütigen Videobeitrag auf NDR über die Entstehung des Films und seine eigene Punkzeit in der DDR.
Bei der Bundeszentrale für politische Bildung ist ein Filmheft zu „too much future“ erschienen, das für einen Euro auf der Homepage der BpB bestellt oder kostenfrei als pdf-Version herunter geladen werden kann. Das Filmheft richtet sich an Pädagoginnen und Pädagogen, die den Einsatz des Filmes in der Bildungsarbeit vorbereiten möchten. Es bietet Charakteristiken der sechs Hauptpersonen, Erklärungen zentraler Begriffe und zeigt Problemstellungen wie Punk und Jugendpolitik, Opposition aus der Subkultur und staatliche Repressionen auf. Ein weiteres Kapitel behandelt die Verwendung von Punk als Stilmittel in der Zusammenstellung des Bild- und Musikmaterials sowie Erzählperspektive, Montage, Kamera und Dramaturgie. Zudem bietet das Heft eine exemplarische Sequenzanalyse, zeigt mögliche Fragestellungen für die Bildungsarbeit auf und gibt Unterrichtsvorschläge für verschiedene Schulfächer. Ein umfangreicher Materialteil stellt das Sequenzprotokoll des Films, Quellenmaterial wie Bandtexte, Auszüge aus Akten der Staatssicherheit, ein Gespräch mit Mitgliedern einer DDR-Punk-Band und einen Text zu Punk in der DDR-Presse sowie eine Link- und Literaturliste zur Verfügung. Das Heft bietet so zahlreiche Hintergrundinformationen, Denkanstöße, mögliche Themen und Materialien zur Verwendung in der Bildungsarbeit.