Viele Gedenkstätten stehen vor der Herausforderung an Mehrfachnutzungen ein- und desselben Lager- oder Gefängnisgeländes zu unterschiedlichen Zeiten deutscher Geschichte und vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher politischer Systeme erinnern zu müssen. Lernen aus der Geschichte hat in einem Beitrag bereits einige Gedenkstätten mit doppelter Vergangenheit vorgestellt, die an die Verbrechen der beiden deutschen Diktaturen erinnern. An dieser Stelle möchten wir Ihnen die sich im Aufbau befindenden Gedenkstätten „Grenzdurchgangslager Friedland“ und „Lager Sandbostel“ vorstellen. Die Gedenkstätte im ehemaligen Notaufnahmelager Marienfelde dagegen erinnert an die Fluchtbewegungen im geteilten Deutschland.
Das Grenzdurchgangslager Friedland im Landkreis Göttingen diente seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Aufnahmestelle für Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. An den Grenzen der britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone liegend fanden bis Ende des Jahres 1945 mehr als 500.000 Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrer hier Aufnahme; zunächst provisorisch in den Viehställen des Versuchsgutes Friedland der Universität Göttingen, später in neu errichteten Blechbaracken. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier auch heimkehrende Kriegsgefangene aufgenommen, sowie Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern und Übersiedler aus der DDR.
Heute befindet sich im Lager Friedland das Niedersächsische Zentrum für Integration. Es dient weiterhin als erste Aufnahmestelle für alle nach Deutschland einreisende Spätaussiedler und Flüchtlinge und richtet Integrations- und Sprachkurse aus 2006 beschloss der Niedersächsische Landtag die Einrichtung eines Museums, das unter Einbeziehung vorhandener Objekte und Gebäude die Zuwanderung der etwa vier Millionen Menschen dokumentieren soll. Zu diesem Zweck wurden drei Gremien – ein Arbeitskreis Friedland, das Kuratorium und ein wissenschaftlicher Beirat – eingerichtet und enge Kooperation mit dem Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück sowie mit der Universität Göttingen (Zeitzeugenprojekt und Objektrecherche) und mit der Universität Oldenburg geschlossen. Im Dezember 2011 wurden die Mittel für das Museum bewilligt, es soll voraussichtlich im Sommer 2014 eröffnet werden. Weitere Informationen finden Sie in der Presseberichterstattung vom November und Dezember 2011.
Ebenfalls im Aufbau ist die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag X-B in Sandbostel nordöstlich von Bremen. Bereits jetzt steht eine vorläufige Gedenkstätte Schulklassen und anderen interessierten Besuchenden zur Verfügung. Das Lager Sandbostel wurde seit dem Bau 1932/33 von verschiedenen Machthabern für unterschiedliche Zwecke benutzt. Die vielen Schichten der Geschichte stellen eine besondere Herausforderung für die Musealisierung des Geländes dar.
Zwischen 1939 und 1945 waren mehrere Hunderttausend Kriegsgefangene aus über 70 Nationen im Lager inhaftiert. Kurz vor der Befreiung im April 1945 wurde das Lager von der SS als Durchgangslager bei den so genannten Todesmärschen aus dem KZ Neuengamme und anderen Konzentrationslagern verwendet. Nach dem Krieg richtete die britische Besatzungsbehörde das No. 2 Civil Internment Camp für SS- und NS-Führer sowie Mitglieder von KZ-Wachmannschaften ein, nach 1948 diente es als Strafgefängnis-Lager. Zwischen 1952 und 1960 wurden die Baracken dann als Durchgangslager für männliche DDR-Flüchtlinge im Alter von 14 bis 24 Jahren verwendet. Danach diente das Lager als Depot der Bundeswehr sowie als Gewerbegebiet des Landkreises. 2004 wurde die Stiftung Lager Sandbostel gegründet, die einen Teil des ehemaligen Lagergeländes erwarb, auf dem noch historische Gebäude stehen.
Bisher befindet sich die Gedenkstätte Lager Sandbostel mit einer Dauerausstellung provisorisch in einem angemieteten Gebäude auf dem Lagergelände; 2013 wird diese in einer sanierten Baracke neu eröffnet. Bis dahin werden zwei neue Dauerausstellungen erarbeitet, die die Lagergeschichte von 1939-1945 beziehungsweise in der Nachkriegszeit thematisieren. Eine weitere Aufgabe ist die umfangreiche Restaurierung der historischen, bundesweit einmaligen Gebäude.
Die Gedenkstätte ist Montag bis Freitag von 9.00 bis 15.00 Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenfrei. Für Schulklassen werden unterschiedliche, thematische Rundgänge angeboten, sowie Studien- und Projekttage durchgeführt. Zudem werden zurzeit Materialhefte zu verschiedenen Themen erarbeitet.
Das Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde diente knapp vierzig Jahre lang – von 1953 bis 1990 – als erste Anlaufstelle für insgesamt 1,35 Millionen Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR. Sie wurden hier untergebracht und durchliefen das Aufnahmeverfahren für eine Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik. Das Notaufnahmelager war ein politisch aufgeladener Schauplatz in den Auseinandersetzungen des Kalten Kriegs und hatte als „Tor zur Freiheit“ einen hohen Symbolwert. Seit 1964 kamen auch verstärkt Aussiedler aus Polen und später aus der ehemaligen Sowjetunion nach Marienfelde.
Heute befindet sich am historischen Ort das Museum zur Flucht und Ausreise im geteilten Deutschland. Eine Ausstellung erinnert an Ursachen, Verlauf und Folgen der deutsch-deutschen Fluchtbewegung. Mitte 2012 wird die Sonderausstellung "Freikauf aus der DDR" eröffnet.
Ein umfangreiches Bildungsprogramm bietet Angebote für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Lehrer von zweistündigen Kurzprojekten bis zu ganztägigen Veranstaltungen. Die Erinnerungsstätte besitzt außerdem ein Archiv mit Geschichten und Erinnerungen von DDR-Flüchtlingen und Übersiedlern, die für Forschung und Bildungsarbeit zur Verfügung stehen. Für Lehrer/innen gibt es Fortbildungen, Projekttage, kostenloses Unterrichtsmaterial zur Flucht im geteilten Deutschland und Materialien zur Vor- und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs. Eine ausführliche Vorstellung und Reflexion des Bildungsangebotes von Marienfelde bietet der Beitrag von Kathrin Steinhausen (link), wissenschaftliche Mitarbeiterin der Erinnerungsstätte.