Barbara Eichinger, Frank Stern (Hrsg.): Film im Sozialismus – die DEFA. Mandelbaum Verlag. Wien 2009. 17,80 Euro.
Mit der Publikation „Film im Sozialismus – die DEFA“, erschienen 2009 im Wiener Mandelbaum-Verlag und herausgegeben von Barbara Eichinger und Frank Stern, liegt ein Band vor, der mitnichten nur eine allgemeine Historiographie des Films in der DDR darstellt, sondern darüber hinaus geht. Der allgemeine Titel täuscht. In insgesamt 15 Beiträgen bietet diese umfangreiche Publikation im handlichen Format Analysen und Kontextualisierungen einzelner DEFA-Filme, Artikel zu internationalen Bezügen der DDR-Filmproduktion sowie Kommentare zur Verbindung von Kunst und Politik. Eine interessante Ergänzung, die der österreichischen Herausgeberschaft Rechnung trägt bieten zwei Beiträge in einem eigenen Kapitel über Österreich und Österreicher/innen im DEFA-Film.
Barbara Eichinger eröffnet den Band mit einem ungewöhnlichen Vorwort, das das Medium Film als Ausdruck von Gefühlen wie Aufbruch, Sehnsucht und (N)Ostalgie beschreibt. Ausgehend von der Feststellung, dass das untergegangene Land DDR für viele Menschen Realität und nahe Erinnerung ist, stellt sie die wichtige Frage nach der Möglichkeit und Berechtigung von (kollektiver) Erinnerung an dieses, die sich auch im Film ausdrücken kann. Sie betont, dass Filme stets auf die Gegenwart ihrer Entstehung verweisen und so die zeitlich bedingte „künstlerische Reflexion der Erinnerung an die DDR“ (S. 11) widerspiegeln. Die Filme, die um 1990 entstanden, stellen dabei besondere Zeugnisse einer Umbruchsphase dar, in der die Erinnerung beinahe die Gegenwart der schnellen Ereignisse einholte. Dieses „wüste[...] Feld von Erinnerungen“ (S. 19) werde nun nach und nach in der Forschung entdeckt, in der der Film ein ideales Medium sei, um eine „schwarz-weiß Zeichnung der DDR“ (S. 20) zu verhindern. In diesem Sinne identifiziert Eichinger als Ziel der vorliegenden Publikation, „über die künstlerische Verhandlung von gesellschaftspolitischen Themen eine Annäherung an die politischen und kulturellen Verflechtungen dieses Landes zu ermöglichen“ (S. 25) und dies in einem Zusammenspiel von Wissenschaftler/innen sowohl aus der ehemaligen DDR als auch aus anderen Ländern und internationalen Institutionen.
Filme als Spiegel der Gesellschaft
In dem Kapitel „Szenarium: Negative und Positive“ widmen sich die fünf Beiträge jeweils einem Film: Mit dem Thema Antifaschismus in der DDR beschäftigen sich gleich drei Beiträge, allesamt Romanverfilmungen, zu „Nackt unter Wölfen“ (Klaus Davidowicz), zur TV-Serie „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (Elke Schieber) sowie zu „Levins Mühle“ (Lisa Schoß). Der Beitrag über „Der Dritte“ von Bettina Mathes wiederum analysiert die Ebenen der Kritik an einem Überwachungsstaat, wie sie in diesem Film sichtbar werden.
Frank Stern untersucht in seinem Beitrag den Film als Reflexionsmedium seiner Zeit und versteht eine Auseinandersetzung mit Filmen als eine Auseinandersetzung mit den Widersprüchen zwischen Film und Wirklichkeit. Dem Medium weist er dabei vier Analyseebenen zu: Film als künstlerischen Ort, als Ort der Erinnerung, als Medium der Einflussnahme auf die Gesellschaft und als Spiegel der gesellschaftlichen Bedingungen. Ausgehend von und in Bezugnahme auf Konrad Wolfs „Ich war neunzehn“ - eingebettet in zahlreiche Verweise auf andere Filme internationaler Herkunft - zeigt Stern auf wie durch das Medium Film Beziehungen zwischen Gesellschaft, Politik und Kultur sichtbar gemacht werden können und schließt mit Wolf, dass „der große Künstler […] Richter seiner Epoche“ sei (S. 62).
Die DEFA international
Das zweite Kapitel unter dem Titel „Szenarium: International – Gestern und heute“ weitet den Blick und verdeutlicht verschiedene Aspekte internationaler Filmbeziehungen und die Rezeption der DEFA in anderen Ländern. Der Beitrag „DEFA auf Amerikanisch“ von Skyler Arndt-Briggs berichtet von den Aktivitäten der DEFA Film Library und der University of Massachusetts und damit von den Schwierigkeiten und Erfolgen der länderübergreifenden Forschungen zum DDR-Film und der Rezeption der DEFA-Filme in den USA. Ralf Dittrich wiederum gelingt in seinem Beitrag „2007: DEFA goes (Middle) East“ anschaulich von den Erfahrungen mit der Organisation und Durchführung der ersten DEFA-Retrospektive in Israel zu berichten. Deutlich werden dabei das gespannte Verhältnis vieler Israelis zur DDR, deren Regierung die meiste Zeit ihres Bestehens eine antiisraelische und proarabische Linie propagierte, sowie die Skepsis eines israelischen Filmpublikums gegenüber Filmproduktionen aus einer „„kommunistischen“ Diktatur“ (S. 165). So erfährt der Leser dieses anschaulich geschriebenen Beitrags von den Eigenheiten des israelischen Filmmarktes und -publikums, den Schwierigkeiten der Organisation eines Festivals zu einem - mindestens - skeptisch betrachteten Gegenstandes und der überraschend begeisterten Aufnahme durch das israelische Publikum. Zwei weitere Beiträge in diesem Kapitel wiederum verdeutlichen in einer historischen Perspektive internationale Kontakte der DDR-Film-Produktion, erstens in Form von Dreharbeiten in anderen Ländern und zweitens anhand der Filmbeziehungen zwischen Jugoslawien und der DDR.
Österreich und der DEFA-Film
Ein internationaler Fokus des Bandes ist die filmische Verbindung zwischen Österreich und der DDR. Anhand der Fernsehserie „Gefährliche Fahndung“ illustriert Klaus Kienesberger das Österreichbild des DDR-Fernsehens der 70er Jahre, das zur Funktion hatte, die DDR selbst im Vergleich als möglichst positiv darzustellen. Sabine Fuchs wiederum stellt ihr Forschungsprojekt „Österreichische Lebensläufe in der DDR“ vor und schreibt über das Wirken des Österreichers Wolfang Heinz als Künstler in der DDR sowie thematisiert in einem Interview mit dem Filmkomponisten Andre Asriel die Musiklandschaft der DDR.
Die beiden abschließenden Beiträge thematisieren das Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik unter anderem am Beispiel der Goya-Filme – ein Lebensbild des spanischen Malers Goyas nach einem Roman von Lion Feuchtwanger - von Konrad Wolf. Abgerundet wird dieses Kapitel mit einer Vorstellung der Aktivitäten der DEFA-Stiftung.
Fazit
Insgesamt bietet die Publikation eine interessante Mischung aus intensiven Betrachtungen einzelner Filme auf der einen Seite und Beiträgen zu internationalen Kontakten und künstlerischen Aspekten auf der anderen Seite. Dieses erfrischend mosaikhafte Bild bietet so Einblicke in unterschiedlichste Themen der aktuellen DEFA-Forschung. Für Pädagoginnen und Pädagogen kann der Band ein Ideengeber für Themen und Analyseansätze sein. Nicht zuletzt gehören die meisten der analysierten Filme zu den Standardwerken der Beschäftigung mit dem DDR-Film und die Aufsätze bieten so eine vertiefende Auseinandersetzung zu dem bereits zahlreich vorhandenen Unterrichtsmaterialien zu den jeweiligen Filmen.
Die meisten Artikel sind mit zusätzlichen Literaturangaben sowie Fotos von Filmausschnitten versehen. Ein Überblick über Institutionen zur DEFA, eine Filmografie sowie ein Personen- und Sachindex runden den Band ab. Zudem ist die Publikation mit einem Preis von 17,80 Euro für ihren umfangreichen Inhalt recht günstig.