Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Geschichtsbewusstsein – von Schüler/innen ebenso wie von Erwachsenen - speist sich seit dem 20. Jahrhundert wesentlich aus visuellen Medien, insbesondere aus Spielfilmen, wie Lebenserfahrung und Studien belegen. Filme zeigen anschaulich (vermeintliche) historische Vorkommnisse, Zusammenhänge, geben Deutungen und unterschwellig politische Wertungen. Wie transportieren Spielfilme nun historisches Wissen über die DDR? Christoph Hamann greift in seinem hier im Januar 2012 erschienenen Beitrag „Zeitgeschichte, Visual History und historisches Lernen“ die sog. Schroeder-Studie über das DDR-Bild von Schüler/innen (2008) auf und zitiert: „Auf Nachfrage, woher Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse über die DDR haben, gaben die Jugendlichen an, Filme wie ‚Sonnenallee’ und ‚Good bye, Lenin’ gesehen zu haben, die sie für eine objektive Informationsquelle halten.“ (Hamann 2011) Dieser Befund belegt einerseits, wie notwendig es ist, „bei diesen die Kompetenz zu fördern, mit den medial basierten Narrativen reflektiert umzugehen“ (ebda.). Andererseits zeigen die genannten Filmbeispiele, dass populären filmischen Rückblicken der Vorzug vor Spielfilmen der DEFA gegeben wird. Ergänzt werden könnte die Aufzählung um „Das Leben der Anderen“ (2006, R: Florian Henckel von Donnersmarck). Auch dieser Film wurde und wird in der Vermittlung von DDR-Geschichte vielfach eingesetzt. Der filmkünstlerische Blick zurück scheint Schülern – so überzeichnet und aus Oberflächen konstruiert er auch sein mag - objektiv zu sein, auch weil die Inszenierungen Interpretationen und Wertungen enthalten, die weitgehend den gesellschaftlich allseits akzeptierten entsprechen. Die Zuschauenden folgen den Deutungen gern, denn heutige Sehgewohnheiten werden in besonders gelungener Form bedient. Die Filme werden im Geschichtsunterricht häufig zur bloßen Illustration eingesetzt. Übrig bleibt: So war die DDR. Aber: War sie so? Können das Filme überhaupt zeigen? Ausgespart bleiben meist Fragen nach Perspektive und Intentionen der Autor/innen und Regisseur/innen, der Produzent/innen und Geldgeber/innen. Entsprechend unreflektiert bleibt die Filminszenierung selbst.
Um bei Lernenden ein Bewusstsein für die Konstruiertheit von Filmen zu wecken, scheint es sinnvoll, auch Spielfilme aus dem Erbe der DDR einzusetzen. DEFA-Gegenwartsfilme wie „Solo Sunny“ (1980, R: Konrad Wolf), „Berlin - Ecke Schönhauser“ (1957, R: Gerhard Klein), „Der geteilte Himmel“ (1964, R: Konrad Wolf) oder „Die Architekten“ (1990, R: Peter Kahane) eignen sich kaum als Illustration gängiger Bewertungen mit der Formel „DDR = Diktatur = Unrechtsstaat“. Vor allem wirkt ihre verglichen mit heutigen medialen Bildwelten zum Teil deutlich „sprödere“ Bildsprache weniger attraktiv. Aber gerade weil sie sich gewohnten Einfühlungsmustern entziehen, können diese historischen „Konserven“ und medialen Zeugnisse Einblicke in Konfliktkonstellationen, in Alltagswelten und das Wirken von Diktatur liefern.
Wie kann mit ihnen eine Annäherung an politische Dimensionen gelingen? Was zeigen sie, was blenden sie aus? Voraussetzung für eine gelingende Dekonstruktion der filmischen Behauptungen ist zunächst ihre zeitgeschichtliche Einordnung: die Benennung der politischen und kulturellen Umstände ihrer Entstehung und ihrer Rezeption. Ebenso notwendig ist es, die Absichten ihrer Macher in den Blick zu nehmen. Die DEFA, die einzige Kinofilmproduktionsfirma der DDR brachte, obwohl staatlich finanziert, kontrolliert und gelenkt, keineswegs ausschließlich propagandataugliche Filme hervor. Filmkünstler/innen bewegten sich in einem Spannungsfeld zwischen Anpassung und künstlerischem Eigensinn und wollten vor allem dem Publikum einen guten und glaubwürdigen Film liefern. Hin und wieder gelang dies. Die heftigen politischen Auseinandersetzungen, von denen insbesondere Gegenwartsfilme mitunter begleitet waren, sieht man den Filmen nicht an – ihre Entschlüsselung bedarf der Vermittlungsarbeit.
Geschichtsunterricht, der sich auf DEFA-Gegenwartsfilme einlässt, könnte mit großem Gewinn eben diese zeitgenössischen Diskussionen thematisieren. Neben Filmkritiken, Sitzungsprotokollen oder Leserbriefen, die den Film flankierten, könnte er Zeitzeugen oder am Film Beteiligte in die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen einbeziehen. Auch von der Bundeszentrale für politische Bildung oder dem LISUM bereitgestellte Begleitmaterialien bieten fundierte Gesprächsgrundlagen. Eine weitere Dimension der Auseinandersetzung könnte eher filmorientiert sein. Dass auch und gerade ein realistischer Film absichtsvoll konstruiert ist, kann anhand der dargestellten Konflikte besprochen werden. Welche Handlungsspielräume haben die Protagonisten des Films angesichts der gesetzten Realitäten? Wie werden sie durch die Kamera gezeigt? Warum so? In den Blick kommen könnten dabei auch filmische Mittel wie Räume, Requisiten und Kostüme. Die in ihnen enthaltenen Botschaften sind insofern nicht leicht zu entschlüsseln, als die enthaltenen kulturellen und auch ideologischen Konnotationen heute kaum noch gegenwärtig sind. Macher/innen und ursprüngliche Adressat/innen hatten Freude an versteckt platzierten Pointen und ihrer hoch qualifizierten Fähigkeit zum Schreiben und Lesen zwischen den Zeilen.
Kann bereits in der Grundschule eine Begegnung mit DEFA-Gegenwartskinderfilmen im Zusammenhang mit erster DDR-Geschichtsvermittlung gelingen? Im Rahmen des Projekts „Treffpunkt Geschichte“ besuchten einige Grundschulklassen das Kino des Filmmuseums Potsdam. „Das Schulgespenst“ (1986, R: Rolf Losansky) und „Moritz in der Litfaßsäule“ (1983, R: Rolf Losansky) – Filme, die sich Kindern zuwenden, die nicht den von Schule, Eltern und Gesellschaft gesetzten Normen entsprechen – fanden bei den Schülerinnen und Schülern viel Anklang. In anschließenden Gesprächen in Kleingruppen, an denen u.a. der Regisseur und die Autorin Christa Kozik beteiligt waren, stellte sich auf die Frage: „Was war im Film anders als heute?“ u.a. heraus: „Die hatten andere Schultaschen.“, „Das Klassenzimmer sah anders aus.“, „Es gab viel weniger Autos.“ Die geschilderten Konflikte jedoch, etwa mit Eltern und Geschwistern, mit Lehrern und Freunden, schienen ihnen keineswegs fremd. Ein dem Thema gemäßer Lerneffekt ergab sich aus der Beobachtung heute befremdlich wirkender Rituale wie des Pioniergrußes. Der jedoch war schon vorab von der Lehrerin eingeführt worden. Der Kino-Vormittag begann bereits mit einem laut fröhlichen „Seid bereit!“- „Immer bereit!“. In dem Land, in dem dieser Gruß zum Schulalltag gehörte, haben Eltern oder Großeltern der jungen Kinozuschauer gelebt. Sie, ihre Erfahrungen und damit ihre heutigen Haltungen besser verstehen zu können, ist der Mühe wert. Das Geschichtsbild der Nachwachsenden ergibt sich aus vielen Erlebnissen und es wächst durch Einübung in kritische Reflektion.