Die Wandlungen in den Erinnerungs- und Geschichtskulturen schaffen auch neue Formen der Vermittlung in der historischen und der politischen Bildung. Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hat sich in diesem Zusammenhang der Verbindung von Politik/Geschichte und Theater auf der Bildungsebene gewidmet und das vorliegende Unterrichtsmaterial herausgegeben. Thomas Krüger, der Präsident der BpB, fordert im Vorwort, dass der kulturellen Bildung, also auch der Theaterpädagogik an Schulen in Zukunft mehr Aufmerksamkeit zukommen sollte. Der Fokus der Publikation liegt dabei bei dem politischen Potenzial des Theaters. Dabei geht es nicht um die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Themen, sondern um die Anleitung, Routine aufzubrechen, Emotionen zu fördern, Geschichte zu entdecken und Phantasien zu entwickeln. Diese Verknüpfung aus Politik und Theater ermöglicht auch neue Wege des Lernens für Jugendliche. Zur weiteren Zielstellung schreiben die Autor/innen: „Ihr Ziel ist zum einen das lustvolle Erproben und Ausprobieren verschiedenster theatraler Verfahren; eng damit verbunden ist zum anderen immer auch die Untersuchung politischer Diskurse und Handlungsfelder, die Entdeckung von Politik in ihren Erscheinungs- und Inszenierungsformen.“ (S. 10) Neben der politischen Komponente lassen sich ebenfalls Elemente für das historische Lernen finden.
Das Unterrichtsmaterial besteht aus insgesamt neun Bausteinen zu unterschiedlichen Themenfeldern: Individuum und Solidarität; Historische Wendepunkte nach 1945; Gender-Performances; Politik als Inszenierung; Differenz und Vielfalt; aktuelle Zeitkultur; Theater im öffentlichen Raum; Wechselspiel zwischen Bühne und Publikum und ein Baustein zur Kritikübung. Zudem enthält die Publikation eine DVD mit Video- und Audioausschnitten zu den einzelnen Bausteinen und das Druckwerk als PDF. Jeder einzelne Baustein bietet zuerst Informationen für Lehrende und dann Übungen/Impulse für Lernende.
Das Material wurde für Schülerinnen und Schüler der 7. bis 13. Klasse entworfen und kann nach Angaben der Autor/innen in den Fächern Politik, Geschichte, Deutsch, Kunst und Darstellendes Spiel angewendet werden. Durch die Breite an Themen für die unterschiedlichsten Interessen und Lernstufen erscheinen die jeweiligen Bausteine für verschiedene Schulformen, aber auch unterschiedliche Projekte der historisch-politischen Bildung, geeignet.
Jeder Baustein wurde von anderen Autor/innen konzipiert, so dass auch die Gliederung und die Systematik der Aufgaben unterschiedlich ist. Da die Bausteine unterschiedliche Schwerpunkte setzen, wird im Folgenden ein Kapitel exemplarisch vorgestellt. Dieses hat eine hohe Relevanz für die historisch-politischen Bildungsarbeit in und außerhalb der Schule: Baustein 2 „Historische Wendepunkte nach 1945 – ein Baustein zum biografischen Theater“. In diesem Zusammenhang sind ebenfalls der Baustein zu „Differenz und Vielfalt“ und „Aktuelle Zeitkultur“ als gewinnbringend für die Bildungsarbeit zu nennen.
Ziel dieses Bausteins ist eine biografisch-orientierte Theaterproduktion bzw. die Entwicklung einzelner Szenen in diesem Format. Ausgehend von drei exemplarischen historischen Ereignissen soll eine Auseinandersetzung und Deutung der eigenen Gegenwart entstehen. Die ausgewählten Ereignisse beziehen sich auf wichtige Wendepunkte, die Urgroßeltern, Großeltern und Eltern der Jugendlichen miterlebt haben: 1949 (Grundgesetz und Entstehung von zwei Staaten), 1968 (Studentenbewegung) und 1989 (Mauerfall). Vor allem der Bezugspunkt zur Studentenbewegung 1968 impliziert, dass die Großelterngeneration im damaligen Westdeutschland gelebt haben muss. Die Entwicklungen in der DDR werden nicht explizit herausgestellt, obwohl in der Literaturliste auch wissenschaftliche Bücher zu dieser Thematik genannt werden. Die Thematisierung von zwei deutschen Staaten wird zwar angestrebt, ist aber nicht explizit zu erkennen.
Für den inhaltlichen Hintergrund wurden prägnante Zeitleisten zur Annäherung an das Themenfeld entworfen. Der Ansatz mit diesem Material eine Kommunikation zwischen verschiedenen Generationen zu fördern, wird zum einen durch die Ereignisauswahl, aber auch die Einführung in die Methode der Expert/innen-Interviews gefördert. Grundlage des hier entwickelten Konzepts ist die Verbindung aus Oral History und szenischem bzw. biografischem Theater. Neben einem Fragenkatalog bieten weitere Aufgaben die szenische Auswertung der Interviews. Außerdem gibt es einige Übungen zur Theater-Praxis, unabhängig von der Thematik. Dieser Baustein beinhaltet viele unterschiedliche Aufgabenstellungen und ermöglicht so den Lehrenden die Arbeit zu Biografien und historischen Ereignissen mit einem theatralen Ansatz den jeweiligen Zielgruppen anzupassen.
Neben diesem Unterrichtsmaterial bietet die Bundeszentrale für politische Bildung auf ihrer Internetseite weitere Informationen zur Verbindung von Politik/Geschichte und Theater, indem die Methode Reenactment kurz zusammengefasst wird und Hinweise zur Durchführung gegeben werden. Zudem gibt es eine Projektvorstellung mit dem Titel „Die Schlacht am Tegeler Weg. Ein 68er-Reenactment“, welches von der Universität Hildesheim im Sommer 2010 durchgeführt wurde. Hier war im Rahmen eines Seminars eine geschichtliche Rekonstruktion der Berliner Student/innen-Revolte von 1968 entstanden.