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Interview mit Cathrin Dorner, Schloss Hartheim, zu ungewohnten Akzenten der Debatte über „lebensunwertes Leben“. Das Interview führte Eckhardt Linnenkohl.
Niederbayern, die an der Donau entlang zum Shopping-Erlebnis in das große Einkaufszentrum in Pasching westlich von Oberösterreichs Landeshauptstadt Linz fahren, passieren in Alkoven einen eindrucksvollen Renaissancebau. Unscheinbar, in grünen Lettern, konkurriert am Rand der Durchgangsstraße ein dezenter und doch verstörender Hinweis auf einen Gedenk- und Lernort Schloss Hartheim im Schilderwald der kleinen Gemeinde.
Wer die Shopping-Tour unterbricht und nach rechts abbiegt, erreicht nach einigen hundert Metern ein prächtiges Schloss mit Arkadenhof. Aber erst mit der Ausstellung im Inneren erschließt sich die dunkle Seite des historischen Gebäudes. Zwischen 1940 und 1944 kamen in dem zur Tötungsanstalt umfunktionierten Bau etwa 30000 geistig oder körperlich behinderte Menschen im Rahmen der von der Tiergartenstraße 4 in Berlin aus gesteuerten NS-Tötungsmaschinerie ums Leben.
Cathrin Dorner, Mitarbeiterin des Lern- und Gedenkorts, zeigt sich anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Gedenkstätte Schloss Hartheim im Interview mit Eckhard Linnenkohl, Passau, besorgt über aktuelle Bezüge nationalsozialistischer Erbgesundheitspolitik. Heute bildet das frühere „Mordschloss“ – politisch nicht ganz korrekt - eine Brücke von den Exzessen des Dritten Reichs zur erschreckenden Vorgeschichte von Euthanasie-Debatten in westlichen Demokratien bis zu aktuellen gesellschaftlichen Trends. An den Besucher der Gedenkstätte stellt Dorner dabei hohe und ungewöhnliche Erwartungen.
Dorner: Weil die Beschäftigung mit den Tätern andere Aspekte beinhaltet als die Beschäftigung mit den Opfern. Fragen nach Verantwortung, Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, nach Moral und Ethik kommen hier viel stärker zum Tragen.
Dorner: Es gibt natürlich heute keine Konstellationen, die eins zu eins mit der damaligen Situation vergleichbar sind. Aber es gibt auch heute im Leben vieler Menschen Situationen, in denen sie vor ethischen Dilemmata stehen oder sich fragen müssen, wie weit ihr eigener Handlungs- und Entscheidungsspielraum geht, wo ihre persönlichen Grenzen sind. Zum Beispiel im sehr stressigen Pflege-Bereich, der mit knappen zeitlichen und personellen Ressourcen kämpft und trotzdem einen menschlichen, moralisch hochwertigen Umgang sicherstellen soll. Aber auch die Gesellschaft als Ganzes ist gefragt, ethisch-moralische Entscheidungen zu treffen, z.B. in Fragen der Reproduktionsmedizin.
Dorner: Der Mensch ist ein soziales Wesen und lernt auch aus dem Vergleich des eigenen Verhaltens mit dem anderer. Sich einen Täterlebenslauf anzusehen und sich zu fragen, an welchen Stellen diese Person wie hätte handeln können, welche Optionen sie gehabt hätte, sensibilisiert vielleicht, den Blick dafür nicht zu verlieren, dass es meist verschiedene Möglichkeiten gibt, sich zu entscheiden oder zu handeln. Auch die verschiedenen äußeren Einflüsse auf Entscheidungen und Verhalten von Tätern zu analysieren, kann helfen, äußere Einflüsse auf das eigene Verhalten, auf eigene Meinungen genauer zu betrachten.
Was die Beschäftigung mit den Tätern nicht ist, ist eine „Schutzimpfung“ gegen moralisch falsches Verhalten. Aber das ist die Beschäftigung mit der Shoah nie.
Gibt es einen Punkt im Täter-Leben, an dem man exakt die Entscheidungssituation für moralisch „richtig“ oder moralisch „falsch“ festmachen kann?
Dorner: Ich persönlich glaube, dass es solche Punkte im Leben gibt, wo Dinge die falsche Richtung nehmen, weil sich der Betreffende – bewusst oder unbewusst – für eine Sache entscheidet. Aber als Beobachter der Vergangenheit werden wir diese Punkte nicht mehr finden können. Vielleicht könnte das ein Täter, eine Täterin in der Rückschau über das eigene Leben festmachen, aber von außen geht das nicht.
Welche Erfahrungen haben Sie mit verschiedenen Berufsgruppen aus Österreich und Bayern – Schülern, Pflegepersonal und Polizei- bei deren Besuchen in Hartheim gemacht?
Dorner: Sehr positive. Die Gruppen sind im Allgemeinen sehr interessiert und aktiv dabei. Wir bieten für die genannten Gruppen eigene Vermittlungsprogramme bzw. –schwerpunkte an, die den Besuchern helfen, einen Bezug zu sich selbst herzustellen und damit die Sinnhaftigkeit des Besuchs über das reine Gedenken hinaus zu erkennen.
Dorner: Wie gesagt, haben wir bereits ein Vermittlungsprogramm für Lernende in Pflege- und Sozialberufen im Angebot, das sehr gerne gebucht wird. Es geht dabei konkret um zentrale Fragen dieses Berufsalltages wie Verantwortung, Scham, Sprache, Macht/Ohnmacht.
Auch Ärzte sind diesen Fragestellungen in ihrem Berufsalltag ausgesetzt, sind aber mehr noch als Pfleger in Entscheidungssituationen. Sich vor dem Hintergrund dieser Anforderungen in der Ausbildung verstärkt mit ethisch-moralischen Fragen auseinander zu setzen, macht da aus meiner Sicht sehr viel Sinn. Denn gerade im Arztberuf ist nicht nur das handwerkliche Können gefragt, sondern auch soziale und moralische Kompetenz.
Dorner: Ganz klar: Verstehen darf nicht zu Verständnis werden. Darum kann die Auseinandersetzung mit den Tätern immer nur ein Teil des Lernens über die Shoa sein. Die Opfer dürfen da nicht aus dem Blickfeld geraten. Die Ungeheuerlichkeit und das Ausmaß des Terrors und Verbrechens ist etwas, das man am ehesten erfassen kann, wenn man sich mit Opfern auseinandersetzt. Und diese Auseinandersetzung ist sehr zentral in der Vermittlungsarbeit. Aber Opfer und Täter waren beide Teil dieses historischen Ereignisses, das unsere Gesellschaft so sehr geprägt hat. Und einen Teil davon komplett auszusparen, wäre der sinnvollen Auseinandersetzung damit abträglich. Die Täter wegzulassen, würde die Gewalt anonymisieren und „aus dem Nichts“ kommen lassen. Es ist aber wichtig zu wissen, dass nicht irgendeine ominöse Macht die Menschen verfolgt und vernichtet hat, und auch, dass „die Nazis“ nicht eine anonyme Masse, nicht „die anderen“ waren. Sondern konkrete Personen, die konkrete, geplante, absichtliche Handlungen aktiv gesetzt haben, die direkt zu Qual und Tod sehr vieler einzelner, konkreter Menschen geführt haben.
Dorner: Der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim widmet sich in der Ausstellung „Wert des Lebens“ auch aktuellen Fragestellungen zu Biomedizin, Bioethik und Ethik in der Medizin. Es sollen Kontinuitäten in der Bewertung menschlichen Lebens, aber auch Chancen und Risiken von Entwicklungen in der modernen Medizin aufgezeigt werden. Besucher sollen dazu angeregt werden, eigene Standpunkte zu reflektieren.
Zu allererst betrachte ich die Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin mit Sorge, vor allem hinsichtlich des Umgangs mit der vorgeburtlichen Diagnostik. Screenings werden als vernünftige Vorsorgemaßnahme präsentiert. Ergibt sich dann eine positive Diagnose, stehen die Eltern unvermittelt vor der Frage, ob sie dieses Kind bekommen wollen. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hängt an der Frage, ob es genetisch der Norm entspricht. Die Schwangerschaft läuft generell unter Vorbehalt. Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr geboren werden – was bedeutet das für die weitaus mehr Menschen, die ihre Behinderung im Laufe des Lebens erwerben? Wie wird das Leben in unserer Gesellschaft für sie?
Weitere gesellschaftliche Trends, die ich kritisch betrachte, sind aber auch Themen, die das Lebensende betreffen, wie z.B. Sterbehilfe, vor allem für einwilligungsunfähige Personen, oder das Hirntodkriterium in der Transplantationsmedizin, das mittlerweile wieder vermehrt in der Diskussion ist.
Dorner: Zuerst einmal möchten wir unsere Besucher darüber informieren, was sich während des Nationalsozialismus im Schloss Hartheim zugetragen hat, welche Vorgeschichte diese Geschehnisse haben und wie unsere Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung umgegangen ist und umgeht. Unser Wunsch an die Besucher oder unser Idealbild eines Besuchs ist darüber hinaus, dass die Besucher darüber nachdenken, was die Informationen, die sie im Haus erfahren haben, mit ihnen zu tun haben. Dass sie kritisch eigene Einstellungen und Werte reflektieren.
Dorner: Der Schwerpunkt eines Gedenkortes ergibt sich natürlicherweise aus den Geschehnissen, die dort stattgefunden haben. Der authentische Ort gibt die Ausrichtung vor. Es würde nicht gut passen, an einem Ort der Vernichtung hauptsächlich über deren Verwaltung zu berichten. Darüber hinaus sind ja gerade die Opferorte auch Gedenkstätten im eigentlichen Wortsinne, Plätze der Trauer, des Andenkens für die Hinterbliebenen, der Ehrung der Opfer. Diese Funktion ist ja die ursprüngliche, die Funktion der pädagogischen Vermittlung, der politischen Bildung kam erst danach und wird zunehmend wichtiger, da Überlebende und direkte Opferangehörige immer weniger werden.
Ich sehe einen Trend dazu, zunehmend auch an Opferorten über die jeweiligen Täter zu berichten, also am authentischen Ort zusätzlich zum Gedenken an die Opfer auch über die Geschehnisse in ihrer Gesamtheit zu berichten, und dazu gehören auch die Täter. Orte wie ehemalige Konzentrationslager oder ehemalige Tötungsanstalten, wie Schloss Hartheim eine ist, sind so gesehen beides – Opfer- und Täterort.
Darüber hinaus müssen sich die Gedenkstätten eben durch die Abnahme der Zeitzeugen und die Zunahme des zeitlichen Abstandes in ihrem Zugang zu dem Besucher verändern. Überlebende oder Kinder von NS-Opfern betreten eine Gedenkstätte eben anders als Jugendliche, deren Urgroßeltern Opfer, Täter, „Zuschauer“ im Nationalsozialismus waren.
Dorner: Teilweise wird Täterschaft ja bereits in der Ausstellung dargestellt und ist in den Vermittlungsprogrammen enthalten, und zwar in der ausführlichen Erklärung des Ablaufs und der Verwaltung/Organisation der T4 und der „Sonderbehandlung 14f13“. Ich glaube aber, dass wir stärker mit einzelnen Biografien arbeiten werden, um z.B. auch die verschiedenen Formen von Täterschaft näher zu thematisieren.
Eine große Herausforderung dabei ist, die Verantwortung einzelner Menschen zu beleuchten, ohne ganze Berufsstände in Misskredit zu bringen. Wenn sich z.B. Lehrende in der Polizeiausbildung einen Schwerpunkt zur Rolle der Polizei in der Verwaltung der „Euthanasie“-Morde wünschen, müssen wir sehr gut aufpassen, wie dies für die Lernenden in der Polizeiausbildung aufbereitet wird. Wir möchten diesen Menschen nicht das Gefühl vermitteln, sich in einem „Täter-Beruf“ ausbilden zu lassen. Das genaue Herausarbeiten, wo es Abgrenzungen oder Kontinuitäten gibt, welchen Anteil Einzelne oder „das System“ haben und wie wiederum Einzelne für die Wirkungsweise „des Systems“ verantwortlich sind, ist hier ganz wichtig.