Geschichte in der Gegenwart: Gesellschaftliches Engagement und die Auseinandersetzung mit Familiengeschichte vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen
Zu unserem zweitägigen Forum „Zukunft der Erinnerung“ in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sind Angehörige von NS-Verfolgten, Nachkomm*innen von NS-Täter*innen, erinnerungskulturell Interessierte sowie Mitarbeiter*innen von Gedenkstätten herzlich eingeladen, sich zu Zukunftsfragen der Erinnerungskultur auszutauschen und zu vernetzen.
Das 9. Forum am 15. und 16. November 2023 widmet sich unter dem Titel „Geschichte in der Gegenwart“ schwerpunktmäßig dem gesellschaftlichen Engagement vor dem Hintergrund familiengeschichtlicher Bezüge: Inwiefern beeinflusst die eigene Familiengeschichte während des Nationalsozialismus die persönliche Haltung von Menschen zu den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen? In welchem Zusammenhang steht das eigene Engagement gegen aktuelle Formen von Rassismus, Antisemitismus und anderen menschenfeindlichen Ideologien mit den Erfahrungen und Erinnerungen innerhalb der eigenen Familie?
Am ersten Tag, vor Beginn des öffentlichen Teils des Forums, bieten zwei Mitarbeiterinnen der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte einen Schreibworkshop für Angehörige ehemaliger KZ-Häftlinge an, die Interesse daran haben, etwas über ihre Familiengeschichte zu veröffentlichen. In der Runde erhalten Angehörige zudem die Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen.
Der allgemeine Teil des Forums beginntv am frühen Nachmittag des 15. Novembers mit einem Gespräch mit Yvan Mbomo aus Frankreich. Sein Großvater, geboren in der spanischen Kolonie Guinea, war ein Flugzeugmechaniker, der im Spanischen Bürherkrieg auf der republikanischen Seite kämpfte. Am Ende des Krieges floh er nach Frankreich, wo er sich während der deutschen Besatzung des Résistance anschloss. Er wurde ins KZ Neuengamme deportiert und überlebte Anfang Mai 1945 die Versenkung des "KZ-Schiffes" Cap Arcona.
Beim anschließenden Panel möchten wir 90 Jahre nach der Machtübergabe an die Nationalsozialist*innen mit drei Kindern ehemaliger NS-Verfolgter aus Hamburg über familiäre Erinnerung an Widerstand und Verfolgung in den ersten Jahren des NS-Regimes sprechen. Welche Rolle spielen Widerstand gegen den Aufstieg der NSDAP und die frühe Verfolgung in der NS-Zeit für das politische und gesellschaftliche Engagement von Angehörigen der zweiten Generation? Wie nehmen die Nachkomm*innen den Aufstieg rechtsradikaler Parteien und Positionen in Deutschland und Europa wahr?
Die Kontinuitäten deutscher Geschichte sind auch ein Thema der öffentlichen Abendveranstaltung in Hamburg-Bergedorf. Überlebende und Betroffene sowie ihre Angehörigen kämpfen seit langen Jahren dafür, dass Opfern rechter Gewalt öffentlich gedacht und Antisemitismus und Rassismus, gegen Romn*ja und Sinti*zze und andere Gruppen, entschlossen entgegengetreten wird. Welche Verbindungen lassen sich ausmachen zwischen dem NS-Terror und rechter Gewalt nach 1945 in Hamburg und anderswo in Deutschland? Welches Engagement gibt es von Seiten der Betroffenen und Nachkomm*innen? In einem Podiumsgespräch mit Nachkomm*innen von NS-Verfolgten und NS-Täter*innen werden wir über Kontinuitäten, Erinnerungen und Kämpfe sprechen.
Bereits seit zwei Jahren befasst sich eine Panel-Reihe des Forums mit den Erinnerungskulturen in verschiedenen Ländern. Am Morgen des 16. Novembers wird die Erinnerungskultur in Polen aus der Perspektive von Nachkomm*innen ehemaliger polnischer KZ-Häftlinge beleuchtet. In diesem Zusammenhang fragen wir unter anderem nach dem Verhältnis zwischen polnischer Erinnerungspolitik sowie gesellschaftlicher und familiärer Erinnerung. Inwiefern haben sich die Rahmenbedingungen für die Erinnerung an die politische Verfolgung durch das NS-Regime mit den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen in Polen verändert?
Zum Forum „Zukunft der Erinnerung“ reisen jedes Jahr Vertreter*innen der Verbände ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme und ihrer Angehörigen aus verschiedenen europäischen Ländern an. In einer kurzen Runde stellen sie ihre aktuellen Aktivitäten vor. Danach haben die Teilnehmer*innen des Forums die Gelegenheit, bei einem „Markt der Möglichkeiten“ die Tische der Verbände zu besuchen, sich dort über deren Projekte zu informieren sowie mit den anwesenden Angehörigen ins Gespräch zu kommen.
Nach dem Mittagessen sprechen wir mit der Enkelin eines NS-Täters und der Urenkelin einer Mitläuferin über unterschiedliche künstlerische Zugänge in ihrer Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung ihrer Vorfahr*innen: Solotheater mit Puppe einerseits, szenografische Bearbeitung eines Tagebuchs andererseits. Welche Fragen und Themen stehen im Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung? In welcher Weise und mit welchen Mitteln verhandeln sie darin ihr Verhältnis zu ihren Angehörigen?
In den letzten Jahren sorgte die unerwartete Rückgabe der Habseligkeiten ehemaliger KZ-Häftlinge („Effekten“) – eine Uhr etwa oder ein Ring – in den Familien für große Emotionen. Im letzten Panel des Forums kommen wir mit zwei Angehörigen polnischer bzw. spanischer KZ-Häftlinge über deren Schicksal, die Bedeutung der Rückgabe der Effekten und ihr erinnerungskulturelles Engagement ins Gespräch. Eine Historikerin erläutert den Weg der Effekten und gibt Auskunft über deren Bedeutung für Familien sowie die Erinnerungskultur in Spanien.
Hinweis zum Ort der Verbundenheit: Wer ein Plakat gestaltet hat und dieses gerne im Rahmen der Tage drucken möchte, ist herzlich eingeladen, rechtzeitig im Vorfeld auf uns zuzukommen.
Konzept: Dr. Alexandre Froidevaux, Dr. Susann Lewerenz und Paula Scholz
Ort
KZ-Gedenkstätte NeuengammeStudienzentrum
Jean-Dolidier-Weg 75
21039 Hamburg
Es findet eine Simultanübersetzung in die deutsche und englische Sprache sowie bei Bedarf ins Französische, Polnische und Spanische statt.
Anmeldung
Eine verbindliche Anmeldung ist bis zum 15. Oktober 2023 erforderlich. Bitte benutzen Sie hierfür unsere Online-Anmeldung: eveeno.com/de_anmeldung_forum_2023
Informationen
Bei Fragen zur Anmeldung bis zum 29. September:
Amina Edzards
Email: amina [dot] edzards [at] gedenkstaetten [dot] hamburg [dot] de
Tel: 040-428131-522
Bei Fragen zur Anmeldung nach dem 29. September:
Susann Lewerenz
Email: susann [dot] lewerenz [at] gedenkstaetten [dot] hamburg [dot] de
Tel: 040-428131-515
[Quelle: https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/ankuendigung-9-forum-zukunft-der-erinnerung/, zuletzt am 29.09.2023]