Der polnische Comic-Künstler "Trust" über historische Comics
Ein Gespräch über deutsch-polnische Geschichte, den Zweiten Weltkrieg und neuere polnische Geschichte im Comic.
Lernen aus der Geschichte (LadG): Wie würden Sie das Betätigungsfeld des polnischen historischen Comics beschreiben?
Przemek Truscinski (PT): Die Polen lieben Geschichte. Sie können sie einerseits rational angehen, andererseits können sie aber genauso gut sehr emotional dabei werden. Letzteres hat manchmal zur Folge, dass viele geschichtliche Fakten unbekannt bleiben und niemals das Tageslicht erblicken. Die polnische Bevölkerung kann schlecht über die Rolle Polens in der europäischen oder Weltgeschichte sprechen.
Und da setzt der Comic ein, der sog. historische Comic. Seine „Fähigkeit“, eine Geschichte zu erzählen, sowie seine attraktive grafische Gestaltung machen diese Gattung der künstlerischen Erzählung zum wichtigen Vermittler in der Diskussion über das wahre Gesicht der polnischen Geschichte. Die polnischen Comickünstler haben dank der reichen Geschichte des Volkes ein breites Betätigungsfeld. Die Zeiten des Ruhmes, der europäischen Macht, der Siegesschlachten und Kriege, sowie das ungeheure Leid inspirieren zum Erzählen vieler Geschichten.
LadG: Können Sie die Entwicklung des historischen Comics in Polen in den letzten Jahrzehnten darstellen? Inwieweit machte er die deutsch-polnische Geschichte zu einem inhaltlichen Schwerpunkt?
PT: Schon in den 1980er Jahren wurden mehrere Comics herausgegeben, die die Jahrhunderte andauernden deutsch-polnischen/polnisch-deutschen Konflikte zum Thema hatten. Der Kern dieser Comics war selbstverständlich der II. Weltkrieg. Die Ereignisse wurden jedoch immer im Sinne der kommunistischen Propaganda dargestellt. Wir können aus diesen Comics u.a. erfahren, dass die Polen gegen den Nationalsozialismus kämpften, dass sie allerdings ohne den „großen roten Bruder“ nichts geschafft hätten. Es gab nur wenige Comics über den Warschauer Aufstand oder über die Rolle der polnischen Armee an der Westfront.
Die 1990er Jahre sind durch eine große Krise auf dem polnischen Comicmarkt gekennzeichnet. Wenige Titel sind hier erwähnenswert, der thematische Schwerpunkt lag auf Science-Fiction und Fantasy. Der historischer Comic wurde komplett zur Seite gelegt. In den Jahren 1997-99 spricht man über den sog. „Comicboom“, d.h. es wurden sehr viele Comics herausgegeben, auch wenn es großenteils Reprints von Comics aus dem westlichen Ausland waren.
Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts brachten sehr viele historische Comics polnischer Autoren mit sich. Auf dem Markt entstehen kleine, aber starke, alternative Verlagshäuser, die den Ansprüchen ihrer Leser nachgehen möchten. Die in diesen Comics dargestellten Geschichten sind mehrdimensional und die Künstler erzählen sie auf eine hervorragende grafische Art. Zu diesem Zeitpunkt wurde u.a. der Comic „Maus“ von Art Spiegelmann herausgegeben, der für einen medialen Skandal sorgte: Der Holocaust wird in Form eines Comics dargestellt, die Polen wurden ambivalent, auch als Schweine gezeigt.
Ich bin der Meinung, dass dies die polnischen Comicautoren dazu gebracht hat, ihre Stimme in der Diskussion über ihre Sicht der wahren polnischen Geschichte, über ihre Rolle in der europäischen Geschichte, zu erheben. Es war an der Zeit, jene Ereignisse darzustellen, die auch sehr schmerzhaft für Polen sind. „Westerplatte“, „Solidarność“, die Anthologie „September“, „Popiełuszko“ sind Titel einiger Comics, die entstanden sind. Auf dem Comicsfestival in Łódź (Lodz) werden immer mehr Comics vorgestellt, die sich mit der wahren Geschichte Polens befassen und diese kompromisslos darstellen wollen, was immer wieder heftige Diskussionen hervorruft.
LadG: Wie reagiert die polnische Gesellschaft auf diese Art von Comics?
PT: Die historischen Comics bewirken v.a. ein großes Interesse der Medien für die Themen, die die Comicautoren in ihren Alben darstellen. Beinahe jeder neue Comic wurde und wird in den Medien rezensiert.
LadG: Wo können polnische historische Comics in der Praxis eingesetzt werden? Können Sie ein Beispiel nennen?
PT: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde in Warschau das Museum des Warschauer Aufstands eröffnet. Das war ein großes Museums- sowie Kunstereignis. Es dokumentiert die heldenhaften und tragischen Ereignisse aus dem Jahr 1944. Das Museum dokumentiert, wie die Einwohner Warschaus sowie die Armee der jungen Aufständischen gegen die nationalsozialistische Kriegsmaschine kämpfen. Das Museum ist offen für moderne künstlerische Lösungen, was sich in der sehr guten Zusammenarbeit mit Künstlern, u.a. Comickünstlern, widerspiegelt. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist die, meiner Meinung nach, ausgezeichnete Anthologie „44“, in der die besten Comickünstler über den Warschauer Aufstand erzählt haben.
Wir [Comickünstler] konzentrierten uns auf das Schicksal eines Individuums, das in die Wirren des Krieges verwickelt ist. Wir haben sowohl Heroismus als auch Gräuel dargestellt. Wir haben das schematische, lange Jahre in Polen verbreitete Pole-Deutscher-Verhältnis vermieden. In den Comics kommt die Frage nach dem „Warum?“ vor. In Zusammenarbeit mit dem Museum des Warschauer Aufstands arbeiten wir an weiteren Comics. Sie sollen die Kriegszeiten sowie die Zeiten danach und davor in Polen thematisieren.
LadG: Sind die polnischen historischen Comics im Ausland bekannt?
PT: Es ist der neuste Trend, dass polnische Comics, die über die politische sowie gesellschaftliche Rolle Polens in der Weltgeschichte berichten, im Westen herausgegeben werden. Wir, die über verschiedene Medien über die deutsche Geschichte erfahren, würden uns sehr freuen, wenn die Deutschen aus unseren Comics etwas über unsere Geschichte erfahrt.