Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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„Noch im September fuhr eine schwarze Limousine mit Gestapo-Männern auf unseren Hof und vor unseren Augen nahmen sie Opa mit. Sie erlaubten ihm nicht, sich umzuziehen oder sich von Oma und uns zu verabschieden. Ich sah ihn zum letzten Mal. Opa sperrten sie ins Gefängnis in Świecie an der Warthe. Von dort wurden die verschleppten Gefangenen mit einem Lastwagen in die Wälder in Górna Grupa gebracht. Alle wurden erschossen, ohne Gericht und ohne Verurteilung.“
Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 baute die deutsche Besatzung in Polen ein Terrorsystem auf, das es in Europa in dieser Form vorher nicht gab. Ziele der Besatzungspolitik waren die Erfassung, Verhaftung und Ermordung der polnischen Eliten durch die mobilen Einsatzgruppen und die Schaffung neuen „Lebensraums“ für das deutsche Volk. Die deutschen Besatzer vertrieben Teile der polnischen Bevölkerung, um Platz zu machen für deutsche Siedler. Millionen von Menschen wurden ins Deutsche Reich verschleppt, darunter auch 2,2 Millionen polnische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. 3,5 Millionen Juden, die in Polen lebten, wurden im Zusammenhang mit der Vernichtungspolitik Opfer der brutalen Okkupation. Bereits direkt nach dem Überfall ermordeten Einsatzgruppen und Wehrmachtsangehörige Teile der jüdischen Bevölkerung. Im weiteren Verlauf des Krieges ermordeten die Nationalsozialisten die Juden Polens und diejenigen aus den besetzten Ländern Europas in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, die in Polen installiert wurden.
Das eingangs erwähnte Zitat stammt von Marysia, die sieben Jahre alt war, als das nationalsozialistische Deutschland im September 1939 Polen überfiel und sie Zeugin davon wurde, wie man ihren Opa verhaftete. Wie Tausende andere Kinder und Jugendliche bekam sie die Besatzungspolitik der Nationalsozialisten, die von rassenideologischen Prämissen geprägt war, direkt zu spüren.
Über die fünfeinhalbjährige nationalsozialistische Besatzung berichten Tausende von Kinderzeichnungen, die im Archiv der Neuen Akten in Warschau aufbewahrt werden. Viele dieser Zeichnungen sind 1946 im Kontext des ersten Jahrestags der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden. In diesem Jahr veranstaltete die polnische Illustrierte Przekrój mehrere Malwettbewerbe für Kinder bis zu 13 Jahren, bei denen die Kinder Zucker und Bonbons sowie Buntstifte gewinnen konnten, damals absolute Mangelware im Nachkriegspolen.
Die Zeichnungen, die im Rahmen des Wettbewerbs entstanden, galten damals polnischen Psychologen und Historikern als wertvolle Quelle, um die nationalsozialistischen Verbrechen an den Kindern in Polen aufzuarbeiten. Die Untersuchung der Zeichnungen gab ihnen Aufschluss über den psychischen Zustand der Kinder und Jugendlichen. Denn durch das Erlebte im Krieg waren viele Kinder traumatisiert. Sie waren nicht nur Zeugen von Verbrechen an der Menschlichkeit, sondern führten jeden Tag einen Existenzkampf. Einige stahlen, bettelten, prostituierten sich oder trieben illegalen Handel, um zu überleben. Andere Kinder und Jugendliche waren im Untergrund tätig und kämpften gegen die deutschen Besatzer.
Cirka 100 Zeichnungen befinden sich im Besitz der polnischen Botschaft in Kopenhagen und bilden die Grundlage für die Wanderausstellung „Kinder im Krieg. Polen 1939 – 1945“ des Berliner Zentrums für Demokratie. Ergänzt wird die Ausstellung durch Erinnerungsberichte und Texte, die die Zeichnungen in den historischen Zusammenhang einordnen. Die Erinnerungsberichte stammen aus dem Bestand des Museums für Polnische Geschichte, das die im Rahmen ihres Projektes „Familien, getrennt durch die Geschichte“ gesammelten Zeitzeugenberichte zur Verfügung gestellt hat, sowie aus dem Archiv des Staatlichen Museums zu Majdanek in Lublin.
Die Gliederung der Ausstellungskapitel ist nach den Motiven der Kinderzeichnungen entstanden. Da die Kinder ihre persönlichen Erlebnisse zeichneten oder Ereignisse, die in ihrem unmittelbaren Umfeld geschahen, erzählt die Ausstellung von dem Überfall auf Polen, von Bombardierungen und Massenexekutionen, von der Willkür, mit der die deutschen Besatzer die polnische Bevölkerung und vor allem die Kinder eingeschüchtert haben. Da die Zeichnungen fast ausschließlich von Kindern stammen, die nach dem Krieg in der Umgebung von oder in Lublin wohnten, wählten die Kinder als Motive für ihre Zeichnungen auch die Vernichtung der Juden und das Konzentrationslager Majdanek. Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung geschah in ihrer Nachbarschaft, das Konzentrationslager Majdanek wurde in dem gleichnamigen Stadtteil Lublins erreichtet. Auch die Aussiedlung der einheimischen Bevölkerung wird im Vergleich zu anderen Regionen, aus denen Zeichnungen 1946 an die Illustrierte eingesandt wurden, auffällig oft thematisiert. Dass die Kinder nicht nur persönliche Erlebnisse malten, sondern auch Ereignisse, die in der kollektiven Erinnerung Polens eine wesentliche Rolle spielen und damals bereits spielten, zeigen die Zeichnungen, die den Warschauer Aufstand darstellen und den Kampf der Partisanen. Dargestellt werden auch die Befreiung und die Niederlage der deutschen Besatzer.
Diese Zeichnungen gemeinsam mit den Erinnerungsberichten sind das erste Mal in Deutschland zu sehen. Konzipiert wurde die Ausstellung vor allem für Schülerinnen und Schüler sowie andere junge Menschen. Themen wie nationalsozialistische Besatzungspolitik, Polen im Zweiten Weltkrieg oder Kinder im Krieg können mittels der Zeichnungen und Berichte bearbeitet werden, aus der Sicht der Kinder, die den Krieg und die brutale deutsche Besatzungspolitik miterleben mussten. Um mit den Inhalten der Ausstellung im Unterricht gezielter arbeiten zu können, haben Karolina Pick von der Warschauer Universität und Florentine Schmidtmann von der Freien Universität in Berlin ein Begleitheft konzipiert, in dem auf Themen der Ausstellung mittels vertiefenden Texten und Arbeitsaufträgen, die im Unterricht benutzt werden können, näher eingegangen wird.
Einige dieser Aufgabenblätter finden Sie in Kürze als PDF-Dateien auf der Homepage. Das Heft und auch die Ausstellung können ebenfalls über die Mailadresse info [at] kinderinkrieg [dot] eu bezogen bzw. ausgeliehen werden.