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Brita Heinrichs beschreibt Annäherungen an das Thema Zwangsarbeit über einen Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.
Ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora wird zumeist mit dem Gang in die Stollenanlage in Verbindung gebracht. Der unterirdische Bereich gilt als Spezifikum der Gedenkstätte.
Aus dem Blickwinkel der Besichtigung der historischen Überreste des Ortes ist dies zweifellos richtig. Thematisch gesehen greift die alleinige Betrachtung der mit dem Stollen verbundene Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie aber zu kurz. Der Umzug der Raketenmontage von Peenemünde in das Stollensystem bei Nordhausen, bedingt durch die Bombardierung der Heeresversuchsanstalt auf der Insel Usedom, war der Grund für die Errichtung des KZ Dora. In den folgenden Monaten wurden die Häftlinge dieses KZ aber vor allem im Stollenvortrieb und bei Straßen- und Gleisbauarbeiten eingesetzt. Daher liegt es auf der Hand, dass sich die Gedenkstätte dem Themenbereich „KZ-Zwangsarbeit“ verschrieben hat.
Erst im August 1943 gegründet, ist Mittelbau-Dora ein KZ des, ein halbes Jahr zuvor durch Propagandaminister Goebbels verkündeten, „Totalen Krieges“. Die damit einhergehende nochmalige Entgrenzung betrifft nicht nur die eingesetzte Gewalt durch die KZ-Wachmannschaften, sondern auch die territoriale Ausdehnung des KZ.
Ein dichtes Netz von Außenlagern überzog v.a. den Südharz und brachte mehr denn je eine enge Verflechtung von Konzentrationslagern und sogenannter ziviler Welt mit sich. Untergebracht mitten in den Orten, zumeist Dörfern - oft in Sälen von Gastwirtschaften, im Schafstall oder anderen Gebäuden, die große Räume boten - lebten die Häftlinge und ihre Bewacher umgeben von der Ortsbevölkerung. Vor allem die territoriale Entgrenzung von KZ und die damit einher gehende räumliche Nähe zur Bevölkerung der entsprechenden Orte, in denen sich Außenlager befanden, greift die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte auf. Somit fällt es schwer, den KZ-Terror ausschließlich zu den großen bekannten Konzentrations- und Vernichtungslager, wie Auschwitz oder Dachau, zu verorten. Vielmehr rückt er nun vor die eigene Haustür und wird zur Lokalgeschichte.
Diese Tatsache ist ein fester Bestandteil der historischen Vermittlung in der Dauerausstellung und in den Führungen. Das KZ Mittelbau wird beschrieben als ein Komplex aus 40 Lagern, die miteinander inhaltlich und organisatorisch eng zusammen hingen und zwischen denen ein Verschiebemechanismus in Bezug auf die Häftlinge, je nach Bedarf aufgrund einer fachlichen Qualifikation und Grad der Entkräftung, existierte.
Für mehrtägig in der Gedenkstätte anwesende Gruppen oder auch öffentlich angeboten für interessierte Bürgerinnen und Bürger bietet die Gedenkstätte außerdem Fahrten zu mehreren ehemaligen Außenlagerstandorten an. Neben der historischen Vermittlung bieten diese Fahrten ausreichend Gelegenheit, den sehr unterschiedlichen Umgang der Kommunen mit den ehemaligen KZ, mitten in ihrer Ortslage, zu zeigen. Die Bandbreite reicht von umfassenden Informationsangeboten bis hin zu der Unmöglichkeit, die Orte wiederzufinden, da sie überbaut sind oder jeglicher Hinweis auf sie verweigert wird.
Der späte Entstehungszeitpunkt des KZ Dora birgt eine weitere Herausforderung für die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte. Die Herausbildung der deutschen Diktatur mit ihrem umfassenden Terrorapparat, die Entrechtung, Ausgrenzung und Ermordung der als rassisch minderwertig Angesehen, die Bildung und Gestaltung der sogenannten Volksgemeinschaft und auch das Einschwören auf einen Kampf bis zum Letzten – all jene Prozesse waren im Sommer 1943 weitgehend abgeschlossen.
Das Wissen zu diesen umfangreichen Themenbereichen ist für das Verständnis des KZ Mittelbau-Dora gewissermaßen Vorwissen, das vorausgesetzt werden kann, oder eben auch nicht.
Die Dauerausstellung zur KZ-Geschichte setzt thematisch im Jahr der Gründung 1943 mit der Goebbels-Rede zum „Totalen Krieg“ ein und benennt lediglich summarisch Verbrechen, die die Nationalsozialisten bis dahin bereits begangen hatten. Im Vermittlungskanon der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielt deshalb die Erklärung dieser Prozesse eine große Rolle. Es gilt immer wieder abzutasten, wie viel von jenem Vorwissen tatsächlich von den Besucherinnen und Besuchern mitgebracht bzw. benötigt wird, um das KZ Mittelbau Dora nicht lediglich als außer Kontrolle geratene Gewaltorgie, sondern als Ergebnis einer langjährigen Entwicklung der NS-Diktatur zu verstehen. Für mehrtägige Seminare oder Projekte besteht zudem ein inhaltlicher Baustein, der bei Bedarf die Ausgrenzungs- und Entrechtungsprozesse der ersten Jahre nach 1933 vermittelt.
Die Fokussierung auf das Thema KZ-Zwangsarbeit bietet einige Möglichkeiten, den Blick für die Tragweite der deutschen Täterschaft bzw. die Bandbreite von Tätern, Mittätern, Mitwissern oder Zuschauern zu schärfen. Neben den unzweifelhaft als Tätern zu benennenden Wachmannschaften des KZ rücken all jene Nutznießer von KZ-Zwangsarbeit in den Fokus, die aus der Anforderung und Ausbeutung von Häftlingsarbeitskraft Profit gezogen haben oder ihre persönlichen Ziele (weiter-) verfolgen konnten, seien es die führenden Peenemünder Wissenschaftler um Wernher von Braun oder all jene Betriebsleitungen, die Häftlinge im SS-WVHA anforderten. Das betrifft auch die deutschen zivilen Angestellten, all die Meister und Vorarbeiter, die direkten Umgang mit Häftlingen hatten und tägliche Entscheidungsmöglichkeiten besaßen, wie sie den Häftlingen begegnen wollten, sich mitschuldig machten oder den Häftlingen im Rahmen ihrer Möglichkeiten korrekt begegneten.
Schließlich sei auf ein drei- bis fünftägiges Seminar der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora mit dem Titel „Zwangsarbeit und Konzentrationslager“ verwiesen. Das an beiden Orten der Stiftung stattfindende Seminar richtet sich an Teilnehmende, die bereits mit Grundwissen zu Konzentrationslagern ausgestattet sind und speziell das Thema „KZ-Zwangsarbeit“ mit all seinen Facetten sowohl inhaltlich als auch räumlich ausloten wollen.
So wird etwa am Steinbruch in Buchenwald die Dominanz der „Erziehung“ durch Zwangsarbeit in der Anfangsphase des Konzentrationslagers deutlich, während anhand der Gustloff-Werke, die sich in Weimar und Buchenwald befanden, die Beteiligung vieler Deutscher dargelegt werden kann. In Mittelbau-Dora steht die Stollenanlage für den gescheiterten Versuch, qualifizierte Tätigkeiten für die Rüstungsindustrie durch Häftlinge ausführen zu lassen, ohne die mörderischen Existenzbedingungen zu verändern.
Eine Fahrt zu mehreren Standorten ehemaliger Außenlager, durch die sogenannte „KZ-Landschaft“, macht die Allgegenwart sämtlicher Formen der Zwangsarbeit in den letzten Kriegsjahren sichtbar.