Auschwitz war das Symbolwort, das direkt nach Kriegsende und dann wieder in den 60er und 70er Jahren für die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen, insbesondere den fabrikmäßigen Massen- und Völkermord, verwendet wurde. Die Berichterstattung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess in den Jahren 1963-1965 vermittelte der Mehrheit der Deutschen erstmals eine konkrete Vorstellung von dem, was bis heute mit dem Wort Auschwitz assoziiert wird und weiterhin als Metapher gebräuchlich ist.
Die Begriffe Holocaust und Shoah sind durch die gleichnamigen Filme in den 80er Jahren in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Sie sind Fremdwörter, die in Israel und Deutschland ausschließlich als Synonym für den Völkermord an den Juden verstanden werden. In der historischen Literatur finden sie als Fachtermini Verwendung, ohne dass ihr Sinngehalt im jeweiligen Kontext noch hinterfragt wird. Beide Begriffe schließen zumeist jedoch andere, für das Gesamtverständnis unerlässliche Teile der NS-Genozidpolitik von der Betrachtung und dem Erinnern aus:
Die Verwendung der Begriffe schließt nicht nur das Gedenken an andere Opfer des Na-tionalsozialismus aus, sondern bewirkt auch eine problematische Hierarchisierung der Opfer. Zugleich verstellt sie die notwendige Erkenntnis über die – trotz der unterschiedlichen politischen Rolle der einzelnen Opfergruppen – gemeinsame ideologische Begründung für den Massenmord.
Völkermord ist per se keine moderne Erfindung. Der als Holocaust bezeichnete Genozid ist dagegen insofern eine moderne Weiterentwicklung, als die Grausamkeit und Un-menschlichkeit dieses Massenmords im Namen von Menschlichkeit und Zivilisation unter Anwendung fortschrittlichster Technologie begangen, ja eigentlich durch sie erst ermöglicht wurde. Er ist der am besten bekannte, am intensivsten erforschte und am heftigsten diskutierte Völkermord, weil er in der Mitte Europas geschah, das einen jahrhundertelangen Zivilisationsprozess durchlaufen hatte.
Das Spezifische an dem nationalsozialistischen Massen- und Völkermord war, dass er durch eine Staatsgewalt geplant und verübt wurde, die die uneingeschränkte Definitionsmacht besaß und ausübte, indem sie Teile der Bevölkerung in ihrem Machtbereich als "ungeeignet", "gefährlich", "unnütz" oder "überflüssig" ausgrenzte, entrechtete und in letzter Konsequenz physisch vernichtete.
In diesem Kontext ist auch die gelegentliche Übernahme des englischen Begriffs Holocaust Education, im Deutschen als Holocaust-Erziehung bezeichnet, ambivalent, selbst wenn diese Begriffe zunehmend auch im Deutschen benutzt werden. Die Geschichte des Nationalsozialismus einschließlich der Verbrechen des Massen- und Völkermords wird in deutschen Schulen als integraler Teil der deutschen Geschichte unterrichtet.
Erziehung nach Auschwitz, der Titel der für die Pädagogik bis heute grundlegenden Abhandlung des Frankfurter Philosophen und Sozialwissenschaftlers Theodor W. Adorno aus dem Jahre 1966, umfasst allerdings weit mehr als die Vermittlung und Aneignung von Wissen über Auschwitz. Es geht ihm dabei vor allem um Erziehung zur Mündigkeit. Sie muss nach Adorno "Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen" entwickeln, damit sich Auschwitz nicht wiederholt. Die pädagogische Auseinandersetzung mit diesem Thema im Land der Täter und der Nachkommen der Täter, wie auf der CD-ROM dokumentiert, erfolgt zwangsläufig aus mehreren Perspektiven und bezieht ein breiteres Themenspektrum ein als in jedem anderen Land. Sie muss vor allem die Auseinandersetzung mit den Tätern, d.h. auch die emotionale Verarbeitung der Täterschaft der Eltern- und Großelterngeneration einschließen.
Die politische Bildung in Deutschland nach 1945 entstand als Reaktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus und wurde in ihren Anfängen wesentlich von den Entnazifizierungs- bzw. Umerziehungskonzepten (re-education) der Siegermächte USA, Sowjetunion, Groß-Britannien und Frankreich beeinflusst. Nach der Kapitulation des Dritten Reiches waren sich die Siegermächte trotz höchst verschiedener Kulturvorstellungen weitgehend einig darüber, dass die Demokratisierung und moralische Umerziehung der Deutschen ebenso wichtig seien wie die grundsätzliche politische und ökonomische Neuordnung Deutschlands. Die Umgestaltung des Bildungswesens war daher von zentraler Bedeutung.
Der kulturpolitische Einfluss der Vereinigten Staaten und der UdSSR konzentrierte sich 1945 bis 1947 zunehmend auf ihr jeweiliges Einflussgebiet. Briten und Franzosen überließen den Vereinigten Staaten in den Westzonen weitgehend die Führungsrolle. Die Entnazifizierung wurde in den Westzonen und in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) auf unterschiedliche Weise realisiert. Wurden in der SBZ alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus den ideologisch besonders relevanten Bereichen des Staatsapparats wie dem Bildungssystem, der Justiz und der Innenverwaltung entlassen und mit Berufsverbot belegt, so konnten in den Westzonen die zunächst entlassenen Beamten nach Entnazifizierungsverfahren und insbesondere nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wieder in den öffentlichen Dienst eingestellt werden.
Mit Einsetzen des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation endete die Gemeinsamkeit. In den beiden deutschen Nachkriegsstaaten – der Bundesrepublik Deutschland, gegründet am 23. Mai 1949 und der Deutschen Demokratische Republik, gegründet am 7. Oktober 1949 – entwickelten sich unterschiedliche politische Kulturen. Orientierte sich das De-mokratieverständnis der Bundesrepublik Deutschland, die die Rechtsnachfolge des Deut-schen Reiches übernahm, in Abgrenzung zu Nationalsozialismus und Kommunismus am Anti-Totalitarismus, so verstand sich die Deutsche Demokratische Republik als Neu-gründung, die ihre staatliche Legitimation rein aus dem antifaschistischen Widerstand herleitete.
Auch zehn Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR, dem Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 und der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten vom 3. Oktober 1990, wirkt dieser Antagonismus noch nach. Der Prozess der kulturellen, politischen und mentalen Wiedervereinigung ist keineswegs abgeschlossen.
Nach Ansicht der Alliierten hatte das deutsche Bildungssystem versagt, weil es der Ideologie des Nationalsozialismus zugearbeitet hatte. Im Zentrum der amerikanischen Umer-ziehungspolitik stand daher die Reform des ihnen fremden dreigliedrigen Schulsystems – eines Produkts des obrigkeitlichen Ständestaats des 18. und 19. Jahrhunderts –, das sie als massives Hindernis für die Demokratisierung analysierte. Partnerschaftliche Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, Kleingruppen- und Projektarbeit, extracurriculare Aktivitäten sowie Partizipation der Schüler und Eltern an Verwaltungsentscheidungen waren in deutschen Schulen nicht oder nur sehr selten vorhanden.
Nach amerikanischem Verständnis war demokratische Pädagogik gleichbedeutend mit egalitärer Erziehung, einem Ansatz, der, im Gegensatz zum elitären deutschen System, dem Tüchtigen die Chance sozialer Mobilität eröffnete. Demokratie verlange weiterführende Bildung, Förderung kritischen Denkens und Grundwertevermittlung für alle Mitglieder der Gesellschaft. Zur Einübung demokratischer Verhaltensweisen sah das amerikanische Schulreformkonzept deshalb ein Einheitsschulsystem nach amerikanischem Vorbild vor, das vorrangig Wert auf Unterrichtsmethoden und soziales Lernen statt der überwiegend intellektuellen Wissensvermittlung legen sollte. Diese Vorstellungen stießen auf vehemente Ablehnung vor allem bei den deutschen Gymnasialpädagogen und dem Bildungsbürgertum.
Da die Reform nicht verordnet, sondern von den Deutschen selbst durchgeführt werden sollte, endete der Konflikt nicht zuletzt auf Grund der veränderten politischen Lage in der Phase des Kalten Krieges damit, dass in Westdeutschland die Schulreform unterblieb und das alte dreigliedrige Schulsystem wiederhergestellt wurde. Der Begriff der Umerziehung wurde von einem Großteil der Bevölkerung als Erniedrigung durch die Siegermächte empfunden, denen sich viele kulturell überlegen dünkten.
Als Zwangseinrichtung wurde anfangs sogar die von der amerikanischen Besatzungsmacht 1948/49 gegründete Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gesehen, die die Achtung anderer Religionen und Kulturen fördern sowie zur Bekämpfung des Antisemitismus und Rassismus beitragen sollte. Heute ist sie in der Bundesrepublik landesweit etabliert und bekannt durch die jährliche Veranstaltung der Woche der Brüderlichkeit sowie die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an Personen und Organisationen, die diese Ideale verwirklichen. Im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKiD) vom 18. /19. Oktober 1945, das Voraussetzung für ihre Wiederaufnahme in die Ökumene und nur nach heftigen Kontroversen zustande gekommen war, fehlte die Erwähnung des millionenfachen Mords an den Juden.
Erst 1948, nicht zuletzt nach Aufforderung durch ausländische Kirchenführer gab die EKiD eine entsprechende Erklärung ab. Während insbesondere der liberal-aufgeklärte Teil der protestantischen Kirche das politische Milieu Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Thematisierung deutscher Schuld und des religiösen Bezugs auf die Singularität von Auschwitz weit über die Konfessionsgrenzen hinaus geprägt hatte, lebte die katholische Kirche bis 1960 von dem Mythos, sie habe sich als stärkste Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus bewährt. Erst am 31. Januar 1979 kam es unter dem Eindruck des Films Holocaust zu einer Stellungnahme des Sekretariats der deutschen Bischofskonferenz zur Judenverfolgung und mit wiederum erheblicher Verspätung, erst Ende der 90er Jahre, setzte sich der Vatikan mit seiner Rolle und seinem Verhältnis zu den Juden in der Zeit zwischen 1933 und 1945 auseinander.
Die bildungspolitischen Ziele der sowjetischen Besatzungsmacht unterschieden sich anfangs bezüglich der Schulreform kaum von denen der Amerikaner. Auch sie strebte eine möglichst lange Phase der Gemeinschaftserziehung an, damit Klassenunterschiede ausgeglichen werden könnten. Dies führte zur Einrichtung der zehnjährigen Polytechnischen Oberschule in der DDR, einer Gesamtschule, die den Einheitsschulgedanken der Reformpädagogik wieder aufgriff. Gleichwohl blieb der Erziehungsstil in Familie, Schule und staatlich organisierter Jugendarbeit im Einparteienstaat der DDR durchweg autoritär. Gleichheit sollte erreicht werden durch Erziehung zu Konformität und Unterordnung der Bedürfnisse des Individuums unter vorgegebene Werte der real-sozialistischen Gesellschaft.
Schon vor dem Ende des NS-Regimes am 8. Mai 1945 waren sich die vier Alliierten darin einig, dass sich die künftige deutsche Staatsordnung nicht durch zentralistische Machtkonzentration auszeichnen dürfe. Nur folgerichtig einigten sich die Siegermächte (außer Frankreich) im Potsdamer Abkommen vom August 1945 auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und die Entwicklung örtlicher und regionaler Selbstverantwortung. Für den staatlichen Aufbau West-Deutschlands bedeutete dies die Schaffung eines Bundes deutscher Länder, wie im Grundgesetz, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, am 8. Mai beschlossen und offiziell am 23. Mai 1949 verkündet. Gemäß der föderativen Ordnung ist die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat.
Seinen 16 Bundesländern steht nach Art. 70 des Grundgesetzes auch die Zuständigkeit zur Regelung von Aufgaben des Bildungswesens (die sogenannte Kulturhoheit der Länder) zu. Daher gibt es in Deutschland – anders als etwa in Frankreich, in England und Wales, die dem National Curriculum folgen oder in der ehemaligen DDR mit ihrem Prinzip des demokratischen Zentralismus – 16 verschiedene Schulgesetze mit 16 unterschiedlich ausgeprägten Curricula für die historisch-politische Bildung (u.a. in den Fächern Geschichte, Sozialkunde, Gesellschaftskunde, Politik. Dennoch arbeiten die Bundesländer über die 1948 gegründete "Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland" (KMK) zusammen, um etwa die Gleichwertigkeit der erreichten Schulabschlüsse (z. B. der mittleren Reife oder des Abiturs) zwischen den Ländern sicherzustellen. Neben der Kulturpolitik einschließlich der Bildungspolitik haben die Länder das Recht, die kommunale Selbstverwaltung zu gestalten, wozu – für die Bürger am deutlichsten sichtbar – auch die Regelung von Polizei- und Ordnungsangelegenheiten gehört.
§1 des Berliner Schulgesetzes, der in seiner Kernaussage auf die unmittelbare Nach-kriegszeit und die Intentionen der Re-education zurückgeht, verdeutlicht, was auch in allen anderen Bundesländern Konsens war und ist:
"Ziel muß die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit und der Menschenwürde zu gestalten. Diese Persönlichkeiten müssen sich der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewußt sein, und ihre Haltung muß bestimmt werden von der Anerkennung einer grundsätzlichen Gleichberechtigung aller Menschen, von der Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung und von der Anerkennung der Notwendigkeit einer fortschrittlichen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie einer friedlichen Verständigung der Völker."
Die Kultusministerkonferenz (KMK) wirkt insofern auf die Bildungspolitik der Länder ein, als sie gemeinsame Empfehlungen beschließt, zu denen seit 1950 immer wieder solche zur politischen Erziehung und Bildung gehörten. Nach Auffassung der KMK sind die intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen eine zentrale Aufgabe der Schule und insbesondere des Geschichts- und Politikunterrichts.
So verabschiedete die KMK unter dem Eindruck öffentlicher antisemitischer Vorfälle 1959/60 im Februar 1960 eine nachdrückliche Empfehlung zur "Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichts- und gemeinschaftskundlichen Unterricht an den Schulen". Diese wurde wiederholt und im April 1978 erweitert durch die Empfehlung zur "Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht" und nochmals ergänzt im Dezember 1980 durch die Empfehlung zur "Behandlung des Widerstands in der NS-Zeit im Unterricht".
Als Begründung für die Notwendigkeit der gründlichen Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte führt die KMK stets an, dass damit gemäß den grund-gesetzlich festgelegten Wertmaßstäben die "Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat" entscheidend verbunden sei. "Alle Länder tragen Sorge dafür, daß die Erinnerung an den Holocaust wachgehalten wird" (1991).
Als exemplarisch für die Rolle der Kultusministerkonferenz mag die im Anhang der CD-ROM unter "Zusatzinfo" dokumentierte Übersicht "Zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Schule" am Beispiel der Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen sowie Sachsen als neuem Bundesland angesehen werden.
Anlässlich einer Sitzung vom 28. /29. September 1995 in Halle/Saale stellte die KMK fest: "Der Nationalsozialismus mißbrauchte nationale und soziale Ideen und brach radikal und programmatisch mit den demokratischen Traditionen. Seine verbrecherische Politik führte in die Katastrophen des Zweiten Weltkrieges und in den Holocaust. Eine mehr als 40jährige Teilung Deutschlands war die Folge. (...) Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler mit den wesentlichen Momenten der Entwicklung Deutschlands vertraut zu machen und dabei auf Kontinuitäten und Brüche besonders der neueren deutschen Geschichte einzugehen... "
Im Kontext des Themas "Das Grundgesetz als normativer Orientierungsrahmen für die innere Vereinigung" erwartet die KMK von der jungen Generation Auseinandersetzung und Identifikation mit den Prinzipien und Wertvorstellungen des Grundgesetzes. Insbesondere solle ihr bewusst gemacht werden, dass keine noch so negative Erfahrung mit der Demokratie totalitäres Denken oder Handeln sowie Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung rechtfertige.
Die Überlegungen der KMK finden ihre Entsprechungen in den Rahmenrichtlinien und Curricula für den historisch-politischen Unterricht der einzelnen Bundesländer bis hinein in die sogenannten Runderlasse einzelner Kultusministerien, wie beispielsweise in jenem aus Nordrhein-Westfalen zur vierzigsten Wiederkehr des 8. Mai 1945, in dem "Ausbeutung, Völkermord und Holocaust durch das Dritte Reich als eine wesentliche Ursache für Bedrohtheitsvorstellungen und Sicherheitsbedürfnisse west- und osteuropäischer Länder" bezeichnet wird.
Anfang 1996 beschloss die KMK, die inhaltliche Gestaltung des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz) den Ländern und den einzelnen Schulen zu überlassen. Zentrale Vorgaben hat es auch auf Länderebene in aller Regel nicht gegeben.
Die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit im historisch-politischen Unterricht sieht in den allermeisten Fällen auch vor, dass Gedenkstätten für die Opfer des Na-tionalsozialismus aufgesucht werden. Das Beispiel des Hamburger Lehrplans "Politik" für die Gesamtschule aus dem Jahre 1991, der in diesem Falle auch den Geschichtsunterricht mit abdeckt, verdeutlicht, wie der lokalgeschichtliche Bezug – in den Projekten auf der CD-ROM häufig beschrieben – realisiert werden kann. Hier wird vorgeschlagen, bei der Behandlung dieser Thematik Realbegegnungen zu ermöglichen:
"Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Mahnmale, Gebäude, Dokumentenhaus)
Mahnmal der Stadt Hamburg für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und Totenmal für die Hamburger Bombenopfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof,
Gedenkstätte der Kinder vom Bullenhuser Damm Auseinandersetzung mit dem Denkmal für das Infanterieregiment Nr. 76 (1936) und dem von Alfred Hrdlicka geschaffenen Gegendenkmal am Dammtorbahnhof."
Der Hamburger Lehrplan verwirklicht damit den didaktischen Grundsatz "Grabe, wo Du stehst". Die Unterrichtseinheit "Der deutsche Faschismus und der Zweite Weltkrieg" für die 9. /10. Jahrgangsstufe bildet den Bezugsrahmen für die genannten methodischen Hinweise. Neben der Entwicklung der faschistischen Herrschaft in Deutschland bilden Judenverfolgung und Völkermord, einschließlich der Vernichtung von Slawen, "Zigeunern", körperlich und geistig Behinderten und Homosexuellen sowie der Zweite Weltkrieg, der Widerstand gegen die Diktatur und das Beispiel der Hitlerjugend, stellvertretend für das Leben unter der Diktatur, inhaltliche Schwerpunkte dieser Unterrichtseinheit.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich zur "Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht" in der Vergangenheit häufig geäußert. So hieß es etwa 1978, es sei eine wichtige Aufgabe der Schule, "die Schüler zu politischer Urteilsfähigkeit zu führen und diese durch solide Kenntnisse, insbesondere auch der Geschichte unserer jüngeren Vergangenheit, zu untermauern." (KMK-Beschluss vom 20.04.1978)
Ähnlich verhält es sich mit Runderlassen der Kultusministerien der Bundesländer, die, oft aus aktuellem Anlaß, in die konkrete Unterrichtsgestaltung hineinwirken. So bittet beispielsweise der Bremische Senator für Bildung und Wissenschaft im Jahre 1989 im Zusammenhang mit der Bürgerschaftsdebatte über den anwachsenden Rechtsextremismus "alle Lehrerinnen und Lehrer, den Besuch von Gedenkstätten für KZ-Opfer curricular im Unterricht im Rahmen des Gesamtkomplexes ‘Faschismus – Neofaschismus – Fremdenfeindlichkeit‘ aufzubereiten und entsprechende Besuchsfahrten... durchzuführen." Die Bremischen Schüler sollen im Laufe ihrer Schulzeit wenigstens einmal eine Gedenkstätte für KZ-Opfer besuchen. Ähnliche Empfehlungen sprechen zahlreiche weitere Bundesländer aus. Alle Bundesländer stellen solchen Empfehlungen immer auch Angebote der Lehrerweiterbildung zur Seite. Entsprechende Programme können bei den Lehrerweiterbildungseinrichtungen der Bundesländer (Adressenliste im Fundus der CD-ROM) abgerufen werden.
Die Regelungsbefugnisse des Staates in der Bildungspolitik bedeuten konkret, dass die 16 Bundesländer durch jeweils unterschiedliche Schulgesetze und entsprechende Rahmen-richtlinien für den historisch-politischen Unterricht, abhängig von der politischen Entwicklung des einzelnen Bundeslandes nach dem Zweiten Weltkrieg, Vorgaben für den Unterricht in Geschichte und Sozialkunde machen. Dazu gehören Ziele, Stundenzumessungen sowie Unterrichtsinhalte. Curricula haben Verordnungscharakter und sind damit Weisungen der vorgesetzten Behörden, die den Rahmen abstecken, aber dem Lehrer dennoch pädagogischen Freiraum lassen.
Der Unterricht über den Nationalsozialismus wird dabei in jedem Falle in den Zusammenhang der Vermittlung demokratischer Grundwerte, wie sie das Grundgesetz der BRD vor allem in seinen ersten Artikeln ausweist, gestellt. Diese beziehen sich auf englische Menschenrechtserklärungen des 17. Jahrhunderts, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Die Vorstellungen darüber, was die Schüler im historisch-politischen Unterricht lernen sollen, sind in bezug auf die Themen Nationalsozialismus und Holocaust relativ einheitlich. Alle 16 Bundesländer beschreiben "Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg" mit den Stichwörtern "Konzentrationslager", "Vernichtungslager" oder "Holocaust" als verbindlich für die neunte oder zehnte Jahrgangsstufe. Dafür stehen im Durchschnitt in der Sekundarstufe I (5. bzw. 7. -10. Klasse) rund 20 Wochenstunden zur Verfügung. Auf der Sekundarstufe II, d. h. in Berufsschulen und Schulen, die das Abitur als Abschluss vergeben (z. B. Gymnasien), wird die Thematik des Nationalsozialismus, etwa im Vergleich zu anderen totalitären Herrschaftsformen, noch einmal aufgegriffen und vertieft. Häufig wird in den Curricula auch auf fächerverbindende und fächerübergreifende methodische Möglichkeiten aufmerksam gemacht, die das Thema im Deutschunterricht, in Ethik, in Biologie, im Fach Religion oder etwa Musik bietet. Entsprechende Beispiele auf der CD-ROM belegen diese interdisziplinären Ansätze.
In einigen Bundesländern, wie z.B. in Niedersachen und Berlin, wird bereits in der Grundschule bzw. der sog. Förderstufe (5. /6. Schuljahr) auf Einzelschicksale während der Zeit des Nationalsozialismus eingegangen. So schlägt das niedersächsische Kultusministerium im Fach "Welt- und Umweltkunde" zum Thema "Kinder und Jugendliche zur Zeit des Nationalsozialismus" vor, sensibel und altersgemäß und unter Beachtung regionalgeschichtlicher Gegebenheiten, "erste Einsichten" anzubahnen und bei den Schülern die Bereitschaft zu wecken, sich mit dem Thema zu beschäftigen [siehe CD-ROM: Projektbericht: "Damals war es Friedrich"] Der Berliner Rahmenplan für Sozialkunde in der 5. und 6. Klasse schlägt folgende Themen vor: "Hitler errichtet eine Diktatur und verfolgt deren Gegner", "die Judenverfolgung, die SS und Konzentrationslager", "Mai 1945, das zerstörte Deutschland".
Die Notwendigkeit einer Umorientierung nach dem 2. Weltkrieg wurde auch von Deutschen selbst erkannt, insbesondere von Politikern der neu entstehenden politischen Parteien. Die erfolgreiche Entwicklung zu einer demokratischen Gesellschaft hing entscheidend von der Akzeptanz ihrer Institutionen ab. Nach 1945 war die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zur Demokratie nicht positiv eingestellt. Noch 1955 bescheinigte der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen in seinem Gutachten zur politischen Bildung und Erziehung weiten Teilen der Bevölkerung mangelndes Identifikationsgefühl und Distanz zu Politik und politischer Partizipation.
Um "den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volk zu festigen und zu verbreiten", war am 25. November 1952 die dem Bundesministerium des Innern unterstellte Bundeszentrale für Heimatdienst als staatliche Bildungsbehörde gegründet worden. In Anknüpfung an die nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtete "Reichszentrale für Heimatdienst" sollten die Bundeszentrale und die vergleichbaren Einrichtungen der Landeszentralen in den Bundesländern der Bevölkerung demokratische Spielregeln und das Funktionieren der neuen staatlichen Institutionen vermitteln. Die besondere Stellung dieser Einrichtungen kommt darin zum Ausdruck, dass sie direkt den Staatskanzleien bzw. Senatskanzleien unterstellt sind. Die theoretische und praktische Arbeit der Bundeszentrale und analog der Landeszentralen für politische Bildung werden von einem wissenschaftlichen Beirat beratend unterstützt. Die politische Ausgewogenheit kontrolliert ein mit Mitgliedern der im Bundestags bzw. der in den Landesparlamenten vertretenen Parteien besetztes Parlamentarisches Kuratorium.
Am 18. Mai 1963 kam es zur Umbenennung in Bundeszentrale für politische Bildung auf Grund der inzwischen erhöhten Sensibilität gegenüber dem durch den Nationalsozialismus negativ belasteten Begriff "Heimat", der zudem nicht mehr dem bildungspolitischen Anspruch der 60er Jahre entsprach. Die durch die erste Wirtschaftskrise 1966/67 und die Studentenbewegung von 1967/68 ausgelöste Politisierung der westdeutschen Gesellschaft erforderte die Entwicklung neuer Konzeptionen für die schulische und außerschulische Bildung.
Das System der staatlich und parteipolitisch angebundenen politischen Bildung, der "Reform von oben", geriet mehr und mehr in die Kritik, weil es im Widerspruch zu einer veränderten Konzeption der politischen Bildung an den universitären Fachbereichen für Sozial- und Politikwissenschaften und zu den entsprechenden Fachdidaktiken stand. Die verstärkte Ausrichtung auf die Förderung der Bereitschaft des mündigen, selbstbewussten Staatsbürgers zur politischen Mitarbeit führte in den 70er und 80er Jahren zu einer Verlagerung der Bildungs- und Fortbildungsangebote auf freie Träger der politischen Bildung. Die Angebote der Bundeszentrale und der Landeszentralen richten sich vor allem an erwachsene Multiplikatoren der politischen Bildung wie Lehrer, Dozenten, Journalisten und Vertreter gesellschaftlicher Organisationen. Ihnen werden Medien, Seminare und Studienreisen angeboten.
Eine der Aufgaben der Bundes- und Landeszentralen ist weiterhin die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus, mit Geschichte, Kultur und Politik des Staates Israel und seit 1980 auch die Dokumentation der Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik.
Geschichtsunterricht und politische Bildung sind stets abhängig von dem, was die wis-senschaftliche Forschung an Fragestellungen und Erkenntnissen hervorbringt. Davon gehen mit zeitlicher Verzögerung wiederum nur konsensfähige Deutungen als politische Vorgaben in Curricula und Lehrbücher ein. Von Schulunterricht und Lehrbüchern, die unter staatlicher Kontrolle stehen, kann nichts grundlegend anderes oder mehr erwartet werden, schon gar nicht eine Vorreiterrolle hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderung.
Eine Ausnahme hinsichtlich dieser Feststellung ist nur für die kurze Zeit zwischen 1945 und 1949 vor der Konstituierung der beiden deutschen Staaten festzustellen:
Unter dem Eindruck der moralischen Katastrophe und unter den Leitideen Demokratisierung und Antifaschismus gingen Geschichtsdidaktiker in West und Ost zunächst mit päd-agogischem Enthusiasmus an die Neukonzeption von Schulbüchern und Unterricht. Her-vorzuheben ist auch hier die damals noch weitgehende Übereinstimmung zwischen den Westzonen und der SBZ über die Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit und den nationalistischen Traditionen der preußisch-deutschen Geschichte. Sie hoben sich damit positiv von führenden westdeutschen Universitätshistorikern der Nachkriegszeit ab, die sich zwar vom NS-System distanzierten, aber die alten historisch-politischen Traditionen und Wertvorstellungen nicht wirklich in Frage stellen wollten.
Diese ersten demokratischen Bestrebungen wurden zum Teil ungewollt durch die Reeducation und Entnazifizierungspolitik der Besatzungsmächte behindert bzw. nicht gerade gefördert. Verschiedentlich wurde der Geschichtsunterricht in den Westzonen zunächst sogar verboten oder auf die Zeit vor 1933 beschränkt. Ein Erfolg der Reeducation-Politik in den Schulen war jedoch die Einführung eines neuen Fachs politische Bildung bzw. Sozialkunde zusätzlich zum Geschichtsunterricht in Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein schon 1946, später auch in anderen Bundesländern, wie beispielsweise ab 1956 in Nordrhein-Westfalen.
Die positiven Ansätze dieser Zeit wurden in der Geschichtsdidaktik und der Schulbuch-produktion in der Bundesrepublik der 50er Jahre nicht weitergeführt. Vielmehr setzte in den gemeinhin als Phase der "Restauration" charakterisierten Jahren 1951-1960 eine rückläufige Entwicklung ein, die problematische Fehlentwicklungen in der Schulbuchproduktion zur Folge hatte. Statt einer Aufdeckung von Ursachen des Nationalsozialismus und der Mitverantwortung der Eliten bestimmten Rechtfertigungsthesen die Darstellungen. In der politischen Bildung beschäftigte man sich hauptsächlich mit den Umständen des Zusammenbruchs der Weimarer Republik, der "Machtergreifung" und den Fragen nach (Kollektiv-) Schuld und Verantwortung unter dem Leitbegriff des "Totalitarismus".
Kennzeichnend für die 50er Jahre war zudem die kollektive Verdrängung und teilweise auch Vernebelung der Dimensionen der NS-Verbrechen. Dies geschah trotz eines individuell vielfach beträchtlichen Wissens, denn Zeitzeugen mehrheitlich mit konkreter Erfahrung als Täter, Mitwisser und Zuschauer gab es im öffentlichen Leben und in allen Familien. So konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte entweder in personalisierender und dämonisierender Betrachtungsweise auf die Hauptexponenten der "Hitlerdiktatur", oder die Schuld an den Verbrechen wurde anonymen Mächten zugeschrieben wie dem "Abfall von Gott" durch die Konservativen oder dem "Militarismus" und dem "Kapitalismus" durch die Linken – Leerformeln, mit denen sich die konkrete Verantwortung der ihre Karrieren in Politik und Verwaltung fortsetzenden Täter und Mitläufer verschleiern ließ.
Der Nationalsozialismus wurde in den 50er und 60er Jahren im Geschichtsunterricht durchaus behandelt, jedoch im Vergleich zur älteren Geschichte unverhältnismäßig marginal.
Immerhin wurde in vielen Schulen den Jugendlichen die Perspektive der Opfer durch die Lektüre des "Tagebuchs der Anne Frank" nahegebracht, das aber nicht die Leidensgeschichte in den Konzentrations- und Vernichtungslagern zum Gegenstand hat. Bei den dargestellten jüdischen Opfern handelte es sich vor allem um deutsche Juden der assimilierten bürgerlichen Schicht. In diesem Zusammenhang wurde der "Verlust für die deutsche Kultur" durch die Vertreibung der Literaten, Künstler und Nobelpreisträger beklagt. Über die zerstörte jüdische Kultur in Osteuropa, aber auch über die Gründe für die Diskriminierung, Verfolgung sowie den Massenmord an anderen Gruppen wie den politisch Oppositionellen, den geistig und körperlich Behinderten, den Sinti und Roma oder Teilen der russischen oder polnischen Zivilbevölkerung erfuhren die Schüler so gut wie nichts.
Erst nach der Welle antisemitischer Vorfälle 1959/60 (allein im Februar 1960 kam es zu 500 Ausschreitungen), nach Schändungen jüdischer Friedhöfe und Hakenkreuzschmierereien, die auch im Ausland Beunruhigung hervorriefen, reagierte das Bildungssystem Anfang der 60er Jahre mit einer Reihe von Reformmaßnahmen wie der Einführung des Pflichtthemas "Nationalsozialismus" in die Curricula des historisch-politischen Unterrichts.
Die Rede des damaligen Innenministers Gerhard Schröder (CDU) in der Bundestagsdebatte vom 8. Februar 1960 zu den Vorfällen ist ein klassisches Beispiel für das den öffentlichen Umgang bestimmende Geschichtsverständnis jener Zeit. Schröder bedauerte, dass "ein allgemeinverbindliches pädagogisches Leitbild" fehle und ein "allgemeingültiges deutsches Geschichtsbild", das die "größte Unsicherheit des [westlichen] deutschen Schulwesens" ausmache, nicht vorhanden sei. Im Weimarer Staat habe "die deutsche Demokratie leider kein überzeugendes Gesicht gewinnen können." Folglich sei es "leider mehr als schwierig, den Begriff der Freiheit, selbst den Begriff der staatsbürgerlichen Freiheit, im Schulunterricht zur verlebendigen".
Eingeräumt wurde in diesem Zusammenhang, dass Lehrer aus "Bequemlichkeit, Mangel an Mut oder Einsicht oder heimlicher Sympathie mit dem Nationalsozialismus ihre Aufgabe vernachlässigten", aber "viele Lehrer auch unter dem Druck der Eltern" stünden, "die es nicht wünschen, daß ihre Kinder die Wahrheit über den Nationalsozialismus erfahren". Die Abwehr manchen Elternhauses führe dazu, dass "die Ergebnisse des Unterrichts in Zeitgeschichte zu Hause wieder demontiert werden." Zur Behebung der Defizite empfahl der deutsche Innenminister moralische und religiöse Erziehung in und außerhalb der Schule, um "den jungen Menschen gegen die Verführung zur Intoleranz, zur politischen Maßlosigkeit und Unmenschlichkeit des nazistischen und kommunistischen Totalitarismus zu schützen".
Die konkrete Darstellung des gesamten Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses setzte in der Bundesrepublik um 1960 auf Grund jener Vorfälle und der wachsenden Kritik an der unzureichenden politischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen ein. Doch blieb in den 60er und 70er Jahren die Beschreibung des jüdischen Schicksals mit Akzentverschiebung auf die Ideologie- und Strukturgeschichte des Nationalsozialismus überwiegend im Kontext der "Endlösung", d.h. der Täter-/Verfolgerperspektive. Wie diese Beispiele zeigen, konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen weiterhin fast ausschließlich auf die Verfolgung und Ermordung der Juden. Es fehlte die konkrete Benennung von Tätern. Die in Deutschland betriebene Endlösung der Judenfrage wurde oftmals als schicksalhaft hereinbrechende Katastrophe gedeutet und damit aus den spezifisch nationalgeschichtlichen Zusammenhängen herausgelöst.
Auch die unreflektierte Verwendung der Sprache des Dritten Reiches blieb noch bis weit in die 70er Jahre charakteristisch für die Darstellung der NS-Verbrechen in Lehrwerken. Das sprachliche Unvermögen war zugleich Ausdruck der emotionalen Distanz zu den Opfern.
Im Juli 1962 erließ die Kultusministerkonferenz (KMK) Empfehlungen zur Gestaltung der Lehrbücher für den Unterricht in neuester Geschichte und Zeitgeschichte zusammen mit "Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus", wonach "Bolschewismus und Nationalsozialismus als weithin ähnliche Phänomene" behandelt werden sollten.
Schulbuchanalysen für die 60er Jahre belegen trotz feststellbarer Erweiterungen und Differenzierungen der Kapitel über den Nationalsozialismus durch Einarbeitung neuerer Forschungen, insbesondere der des Instituts für Zeitgeschichte in München, weiterhin erhebliche Mängel. Der Unterricht veränderte sich kaum, da noch immer die Generation der selbst in den Nationalsozialismus verwickelten Lehrer unterrichtete, die dieses Thema scheuten. Die didaktischen Diskussionen der 60er Jahren kreisten hauptsächlich um me-thodische Probleme: die Bewältigung der Stofffülle und die personalisierende Darstellung von Geschichte. Konsequent wurde übersehen, dass Faktenwissen noch keine Erkenntnis beziehungsweise keine Einstellungsveränderung bewirkt.
Erst gegen Ende der 60er Jahre finden der Einfluss der Sozialwissenschaften und mit Ver-spätung die Kritische Theorie der Frankfurter Schule (Adorno und Horkheimer) ihren Niederschlag in der Didaktik des Geschichts- und Politikunterrichts. Im Zuge der Stu-dentenbewegung von 1968 und des Regierungswechsels durch die sozialliberale Koalition kam es zur Politisierung und Polarisierung der Didaktik der politischen Bildung. Während die "linken" (sozialdemokratischen) Didaktiker und Bildungspolitiker als Zielvorstellung "Emanzipation und Demokratisierung" auf ihre Fahnen schrieben und Handlungsbereitschaft zur Gesellschaftsveränderung anstrebten, startete das christlichkonservative Lager die Gegenstrategie zur sozialliberalen Bildungspolitik, indem es die politische Bildung zum Feld der Oppositionspolitik machte und als Instrument zur Rückgewinnung der politischen Macht einsetzte. Die Auswirkungen dieses Eingriffs der Parteipolitik in die politische Bildung sind noch bis heute auf Länderebene in unterschiedlichen Zielsetzungen und Schulbuchausgaben nachweisbar.
Die Rahmenrichtlinien des Bundeslandes Hessen leiteten durch die Einrichtung des interdisziplinären Faches Gesellschaftskunde die radikalste Reform des Geschichtsunterrichts ein. Anstelle des chronologischen und nach Ländern geordneten Durchgangs durch die Geschichte gingen diese Rahmenrichtlinien von aktuellen Fragestellungen und Themenkomplexen aus. Das Modell wurde heftig bekämpft und blieb letztlich auf Hessen beschränkt. An der Diskussion um eine Neuorientierung des Geschichtsunterrichts, die sich immer mehr von den Vorgaben der Geschichtswissenschaft löste, beteiligten sich fast alle bekannten Geschichtsdidaktiker der alten Bundesrepublik. Trotz vieler positiver Ansätze der emanzipatorischen Geschichtsdidaktik führte die zuletzt von den Unterrichtspraktikern selbst als frustrierend und defizitär empfundenen Abstraktheit der empirischen Sozialgeschichte zur Kurskorrektur, d.h. 1977 zur "pragmatischen Wende" und zu einem Konsens über die politischen Gräben hinweg.
Der lehrer- und gegenstandsorientierte Unterricht wurde als "technokratische Form ent-fremdeten Lernens" verworfen und an seiner Stelle eine praxisnahe "schülerorientierte politische Bildung" propagiert, die am Interesse und den spezifischen Lernvoraussetzungen der Schüler ansetzte.
Die Suche nach Materialien, die den Interessen der Schüler entgegenkamen, legte die Hinwendung zur Lokal- und Alltagsgeschichte nahe und als Folge dieses Ansatzes in den 80er Jahren die Entwicklung projektorientierter Arbeitsformen durch lokale Spurensuche, Zeitzeugenbefragung und Exkursionen zu Gedenkstätten. Das Schulbuch als Grundlage des Unterrichts verlor an Bedeutung. An dem Schülerwettbewerb "Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten" unter dem Thema "Alltag im Nationalsozialismus" beteiligten sich Anfang der 80er Jahre 18 000 Schüler aus Schulklassen und Arbeitsgemeinschaften mit eigenständigen lokalgeschichtlichen Recherchen zur Geschichte jüdischer Gemeinden,
vergessener Konzentrations- und Arbeitslager und zur Lebens- und Leidensgeschichte vergessener Opfer [siehe CD-ROM: Zusatzinfo: Hintergrundinformation].
Lehrer und Jugendliche beteiligten sich auch an der Arbeit der seit Ende der 70er Jahre in vielen Orten entstandenen Geschichtswerkstätten, welche die Spuren der NS-Geschichte am Heimatort freizulegen und in Erinnerung zu bringen zum Ziel hatten. Daraus entwickelten sich zahlreiche Initiativen zur Einrichtung von Gedenkstätten und Mahnmalen.
Diese konnten vielfach erst in langwierigen und zum Teil von erheblichen politischen Widerständen begleiteten Prozessen verwirklicht werden. Von den damit verbundenen Lernprozessen gingen für viele Jugendliche oft entscheidendere Impulse zur Entwicklung historischen Bewusstseins aus als vermutlich durch das in formalem Unterricht erworbene Faktenwissen.
Bereits unmittelbar nach Kriegsende wandten sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), damals noch nicht zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereint, an das deutsche Volk und forderten als Grundlage einer demokratischen Schulreform:
"Die heranwachsende Generation des deutschen Volkes, berufen, die demokratische Erneuerung Deutschlands zu festigen und zu Ende zu führen, muß frei von nazistischen und militaristischen Gedanken, in einem neuen Geiste, im Geiste einer kämpferischen Demokratie, der Freundschaft unter den friedliebenden Völkern, zum selbständigen, aufrechten, freiheitlichen und fortschrittlichen Denken und Handeln erzogen werden."
Seit ihrer Gründung am 7. Oktober 1949, rund vier Monate nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949), verstand sich die Deutsche Demokratische Republik als "Krönung des Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung" und als "Hort des Antifaschismus". Im "ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden" übernahmen unmittelbar nach Kriegsende überwiegend diejenigen Führungspositionen, die im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gestanden hatten bzw. von der sowjetischen Besatzungsmacht in leitende Positionen der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) eingesetzt worden waren.
Die Partei- und Staatsführung der DDR erklärte sich und die DDR zu "Siegern der Geschichte" insofern, als man in der "Großindustrie", dem "Junkertum" sowie dem Militär die Hauptschuldigen für die Naziverbrechen ausgemacht hatte. Mit der Enteignung des Großgrundbesitzes und des "Großkapitals" ein Jahr nach Kriegsende hielten die Politiker Ostdeutschlands ihr Ziel für erreicht, den Geist des "Nazismus" und "Chauvinismus" "ausgerottet" zu haben. Von gesellschaftlicher Schuld und moralischer Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus sprach man die Arbeiterklasse insofern frei, als ihr uneingeschränkt antifaschistisches Verhalten zugeschrieben wurde.
Der Begriff des Antifaschismus wurde zur wichtigsten Grundlage in der gesellschaftlichen und politischen Legitimation der DDR. Er durchzog als Leitlinie nicht nur politische Reden, Abschlussdokumente von Parteitagen und Losungen im DDR-Alltag, sondern bestimmte auch die Schulgesetzgebung und die Rahmenpläne der Schulen in der DDR. Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses wurde der Arbeiterschaft "Immunität" gegenüber dem Nationalsozialismus bescheinigt. Eine Auseinandersetzung mit individuellen biographischen Verwerfungen und eigenen historischen Brüchen während der Zeit des Nationalsozialismus fand, anders als in Westdeutschland der späten 60er Jahre als Gespräch zwischen den Generationen, nicht statt. Der "kapitalistischen BRD" als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches wurde die historische Verantwortung zugeschoben.
Antifaschismus, Grundprinzip auch für Bildung und Erziehung in Schule und außerschu-lischer Freizeitgestaltung bei den Thälmann-Pionieren, in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oder der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), durchzog die Unterrichtsfächer aller Stufen der DDR-Schule und prägte auch die Vorbereitung auf die Jugendweihe im Alter von ca. 14 Jahren, die die christliche Konfirmation bzw. Firmung fast vollständig ablöste.
Der "heldenhafte Kampf der deutschen Arbeiter unter Führung der Kommunisten gegen Unterdrückung, Krieg und Faschismus", wie in der faktischen Gleichstellung des kommunistischen mit dem historischen antifaschistischen Widerstand zum Ausdruck gebracht, begleitete die Schüler von der Unterstufe bis zum Schulabschluss. In dem Leitbild der "allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit" war nicht der kritische Umgang mit Autorität, sondern die Anpassung an das Bestehende gefragt. Kritik war nur erlaubt, wenn die Normen des Systems nicht in Frage gestellt wurden. Die genuine Bedeutung des Begriffes "Antifaschismus" zur Beschreibung des Kampfes gegen Diktatur, nationalistischen Rassenwahn und staatliche Brutalität in der Verfolgung Andersdenkender und politischer Gegner ist in der DDR verfremdet und zutreffend als "Amtsmißbrauch" gegeißelt worden.
Zahlreiche Schulen richteten Räume als kleine Museen ein, die "antifaschistische Traditi-onskabinette" hießen. Sie sollten ebenso wie die "Nationalen Mahn- und Gedenkstätten" auf dem Boden der ehemaligen Konzentrationslager dazu beitragen, die Identifikation der Jugendlichen und Erwachsenen mit ihrem Staat zu festigen.
Zentraler Gegenstand der Darstellungen in den KZ-Gedenkstätten war das "Heldentum des antifaschistischen Widerstandskampfes" der KP-Mitglieder in den Konzentrationslagern. Die Bezeichnung "Opfer des Faschismus" (OdF) kam fast ausschließlich kommunistischen Opfern zu. Andere Opfergruppen, darunter Zeugen Jehovas, Homosexuelle oder Sinti und Roma, wurden marginalisiert.
Die Begriffe Holocaust und Shoah gab es in der DDR-Geschichtsschreibung und den Schulgeschichtsbüchern nicht. Sie wurden erst Ende der 80er Jahre gelegentlich benutzt. Nach Lehrmeinung der DDR-Historiker war der Völkermord an den Juden eines der schwersten Verbrechen des Faschismus, sie wichen jedoch der Klärung der Frage nach der historischen Besonderheit sowie der nach den national- und kulturgeschichtlichen Wurzeln des Antisemitismus aus.
Für den Umgang mit der Judenverfolgung in der DDR lassen sich drei Phasen unterscheiden:
Hinter diesem Prozess stand nicht allein das Interesse des Staates an internationaler Anerkennung. Die Gedenkfeiern 1986 zum 200. Todestag Moses Mendelssohns z. B. ließen eine, wenn auch verspätete und für viele DDR-Bürger nicht mehr ganz glaubwürdige Bereitschaft der DDR-Führung erkennen, sich der Verantwortung für die ganze deutsche Geschichte zu stellen.
Für den Geschichtsunterricht in der DDR gab es landesweit einen verbindlichen Lehrplan sowie ein einheitliches Lehrbuch, das für die 9. und 10. Klasse das Thema Nationalsozia-lismus behandelte. Im Lehrbuch für die Klasse 9 von 1979 hieß es: "Über acht Millionen Menschen verschiedener Nationen und Klassen, in erster Linie Arbeiter, Kommunisten, Sowjetbürger, progressive Angehörige der Intelligenz und Juden wurden in Konzentra-tionslagern grausam ermordet".
Auch der veränderte Text zehn Jahre später unterschied noch nicht prinzipiell zwischen politischer und rassistischer Verfolgung:
"Die Faschisten pferchten viele Millionen Häftlinge – Kommunisten, Sozialde-mokraten, Gewerkschafter, Antifaschisten verschiedener Klassenzugehörigkeit, rassisch Verfolgte, vor allem Juden, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und andere Häftlinge – in unzähligen Konzentrationslagern zusammen... In diesen größten Vernichtungslagern wurden mehr als sieben Millionen Menschen unter entsetzlichen Qualen ermordet."
Heute nimmt in der institutionalisierten historisch-politischen Bildung die Auseinander-setzung mit dem Nationalsozialismus einen herausragenden Platz ein. An erster Stelle steht dabei der Völkermord an Juden und verspätet seit Ende der 70er Jahre – mit je un-terschiedlichen Schwerpunkten in Ost und West – auch der rassistisch motivierte Massenmord an Sinti und Roma, geistig und körperlich Behinderten, Polen und Russen sowie zahlreichen Angehörigen anderer Nationen. Das belegen nicht nur Analysen der in der Bundesrepublik vorliegenden Schulbücher und Lehrpläne, sondern auch die Beobachtung der Medien Film, Fernsehen und Presse.
Es zeigt sich auch an den hohen Besucherzahlen in Gedenkstätten und historischen Ausstellungen zu dieser Epoche. Der Vorwurf des Verschweigens und Verdrängens, der bis Mitte der 60er Jahre für den Umgang mit der NS-Vergangenheit – ebenfalls unterschiedlich in beiden deutschen Staaten – noch berechtigt war, trifft für die pädagogische Theorie und Praxis sowie die politische Kultur der heutigen Bundesrepublik nicht mehr zu. Befürchtungen insbesondere der NS-Opfer und ihrer Angehörigen, dass die aktuellere Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur und der DDR-Vergangenheit die Erinnerung an die NS-Verbrechen in den Hintergrund drängen werde, haben sich nicht bewahrheitet.
Trotz oder vielleicht gerade wegen zunehmender zeitlicher und biographischer Distanz der heute Lehrenden und Lernenden ist die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen intensiver und differenzierter geworden. Diese Feststellung gibt jedoch keinen Anlass zu Selbstzufriedenheit und heißt auch nicht, dass der Transfer des Wissens über Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland einfacher oder gar problemlos geworden wäre.
Dies würde eine Analyse des öffentlichen Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland der vergangenen zwanzig Jahre erweisen. Anlässe zur Aus-einandersetzung boten in kurzer Abfolge diverse Gedenktage, an deren Gestaltung sich in vielen Orten der Bundesrepublik nicht nur verschiedene gesellschaftliche Gruppen aktiv beteiligten, sondern über die in den Massenmedien zunehmend ausführlicher berichtet wurde.
Als Motivationsschub für die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen wirkten sich nicht zuletzt Medienereignisse wie die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust 1979, Claude Lanzmanns neunstündige Dokumentation Shoah 1986, die als Videokopie den Schulen zur Verfügung gestellt wurde und 1994 "Schindlers Liste" von Steven Spielberg aus. Die unerwarteten Reaktionen auf den Hollywoodfilm "Holocaust" – u.a. Tausende von Anfragen nach mehr Begleitmaterialien bei der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung – und die noch weit größere Resonanz auf den Film "Schindlers Liste" sind Beleg für das zunehmende Interesse auch bei Menschen, die sich für gewöhnlich nicht oder nur am Rande mit der NS-Geschichte auseinandersetzen.
Die Übernahme des Fremdwortes Holocaust (Brandopfer), dessen etymologische Bedeutung vermutlich den wenigsten Benutzern präsent ist, entsprang dem Bedürfnis, das Geschehen aus der Perspektive der Opfer zu sehen und zugleich die Besonderheit im Vergleich zu anderen NS-Verbrechen zu betonen.
Auch politische Fehlleistungen wie die Bitburg-Affäre kurz vor dem 8. Mai 1985 – der demonstrative Besuch eines Soldatenfriedhofes anstatt einer KZ-Gedenkstätte durch Bundeskanzler Kohl und US-Präsident Reagan sowie die Rede des Bundespräsidenten v. Weizsäcker zum 8. Mai als Gegenbeispiel zu diesem Rückfall in ein problematisches deutsches Geschichtsverständnis – erwiesen sich als lehrreich, ebenso wie der in den Medien ausgetragene sogenannte Historikerstreit, ausgelöst 1986 durch die revisionistischen Thesen des konservativen Historikers Ernst Nolte.
Die Umgestaltung der "Neuen Wache" in Berlin als zentrale deutsche Gedenkstätte zur Erinnerung an die "Opfer von Krieg und Gewalt" im Jahre 1993 und die kontroverse öffentliche Debatte über die Errichtung eines "Holocaust-Mahnmals" in Berlin trugen letztlich zur politischen Sensibilisierung bei. Die mit Heftigkeit in den Medien und der Öffentlichkeit geführte Diskussion um Daniel Goldhagens Bestseller "Hitlers willige Vollstrecker – Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust" und umstrittene Ausstellung über die Wehrmachtsverbrechen sind weitere Indizien für die unverminderte Virulenz der Thematik.
Dabei ist nicht auszumachen, was in dieser Zeitspanne seit 1978 auf das politische Be-wusstsein von deutschen Jugendlichen mehr gewirkt hat oder wirkt: der Geschichts- und Politikunterricht in der Schule oder außerschulische Erfahrungen durch die Berichterstattung in den Medien, Ausstellungs- und Gedenkstättenbesuche oder Gespräche in der Jugendgruppe und den Familien.
Anlässlich eines immer wieder in Erscheinung tretenden Rechtsextremismus und Neona-zismus bei Jugendlichen stehen vor allem Schule und Unterricht, zunehmend auch die Gedenkstätten unter dem Erwartungsdruck, dass sie durch entsprechende Vermittlung von Kenntnissen über den Nationalsozialismus – quasi in einem Akt der moralischen Katharsis durch Konfrontation mit dem "Grauen" – demokratiefeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen ins Gegenteil verkehren könnten. Die unzureichende "Aufarbeitung" der NS-Vergangenheit wird nämlich zumeist und zuallererst der Institution Schule angelastet.
Über die Auswirkungen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf das historische und politische Bewusstsein besonders bei Jugendlichen liegen jedoch ver-gleichsweise nur sehr wenige empirische Untersuchungen vor. Wir wissen kaum Verlässliches über die Entstehung und Veränderung historisch-politischer Einstellungen bei Jugendlichen. Schule bzw. der historisch-politische Unterricht ist im Prozess der politischen Sozialisation von Jugendlichen zudem nur ein Faktor unter vielen, dessen Relevanz in Vergleich zu anderen Sozialisationsinstanzen weitgehend unerforscht ist.
Zwischen 1990 und 1992 führte der Hamburger Geschichtsdidaktiker Bodo von Borries eine empirische Untersuchung zu Geschichtsbewusstsein und politischen Orientierungen von Jugendlichen in der alten Bundesrepublik und den neuen Bundesländern im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft durch. Ihre Basis stellte eine repräsentative Befragung von 6.479 Schülern der Klassenstufen 6, 9, und 11 und des zweiten Ausbildungsjahrs beruflicher Bildung dar. Zusätzlich wurden 283 Lehrer aus Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und den neuen Bundesländern befragt. Die Studie ergab, dass die NS-Verbrechen im Bewusstsein der großen Mehrheit der Schüler präsent sind und negativ beurteilt werden, dass weiterhin Wissensunterschiede zwischen Ost und West nicht signifikant sind und sich eine höhere Anfälligkeit ostdeutscher Jugendlicher für Neonazismus, wie seit 1990 unterstellt, daraus nicht ableiten läßt.
Der offizielle Antifaschismus ist trotz Instrumentalisierung durch die ehemalige DDR bei ostdeutschen Jugendlichen nicht delegitimiert, vielmehr sind diese Jugendlichen deutlich überzeugt, dass die DDR mehr als die BRD zum Bruch mit dem Faschismus geleistet habe, und sie sind zum Teil gerade darauf etwas stolz. Unterschiede in Wissen und Einstellungen sind auf Grund der Schulformen sowie zwischen Jungen und Mädchen feststellbar. Mädchen sind dem Nationalsozialismus gegenüber deutlich kritischer eingestellt, während Jungen anfälliger dafür sind. Nachwirkungen einer vermuteten "marxistischen" Indoktrination sind bei den ostdeutschen Jugendlichen ebenfalls nicht festzustellen. Für die politische Orientierung spielt das geschichtliche Faktenwissen praktisch keine Rolle, wohl aber konventionelles Geschichtsbewusstsein bzw. sozio-kulturelle Prägungen aus dem persönlichen Umfeld der Befragten, wie zum Beispiel Erziehung zu Konformität und Unterordnung.
Die Lehrerbegleitbefragung ergab dagegen wesentliche Unterschiede hinsichtlich der fachdidaktischen und geschichtswissenschaftlichen Überzeugungen zwischen Ost und West. Bei ostdeutschen Lehrern überwog Traditionalismus, Nationalismus und Lehrerdominanz. Sie waren überwiegend am Lehrstoff orientiert, während ihre Kollegen aus Nordrhein-Westfalen – eher methodenorientiert – problemlösendem Lernen den Vorzug gaben. Die Kollegen aus den beiden süddeutschen Ländern belegten einen Mittelwert. Die Beurteilung von Unterricht differiert stark bei Lehrern und Schülern. Waren Lehrer der Meinung, problemorientiert zu unterrichten, so wurde der Unterricht von Schülern als eher lehrer- und stofforientiert erlebt.
Die doch überwiegend positiven Ergebnisse dieser Befragung werden z. B. durch die FORSA-Studie von 1994 weiter untermauert, dass nämlich die überwiegende Mehrheit der Deutschen heute ein realistisches Bild von der Zeit des Nationalsozialismus hat und mehrheitlich unempfänglich für neonazistische Propaganda oder die Leugnung der Verbrechen ist. Mit 87 % sind die Kenntnisse der Befragten über Konzentrationslager und Holocaust erstaunlich hoch. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass 25 Prozent der Deutschen für rechtsextremistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut ansprechbar sind und 45 % der Jugendlichen in der alten Bundesrepublik ausgeprägte bis rassistische Überlegenheitsgefühle gegenüber Völkern Osteuropas haben – ein Befund der im Blick auf das Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa bedenklich stimmt.
Eine weitere im Rahmen einer Dissertation durchgeführte empirische Untersuchung aus dem Jahre 1994 über den Einfluss des historischen Wissens über Konzentrationslager und NS-Verbrechen auf das politische Bewusstsein und Engagement bei Jugendlichen sowie die Rolle von Gedenkstättenbesuchen in diesem Zusammenhang bestätigt – trotz empirisch äußerst schmaler Basis – die genannten Ergebnisse. Einen signifikanten Zuwachs an Wissen stellt die Studie von Renata Barlog-Scholz zwischen 1985 und 1990 fest, wobei die Schule nach wie vor als die wichtigste Informationsquelle von 92 bzw. 94 % der Befragten angegeben wird. Die Medien folgen an zweiter Stelle (88 bzw. 84 %), danach werden Bücher und an vierter Stelle Gespräche in der Familie (60%) genannt. Nur 34 % der Jugendlichen nennen den Besuch einer Gedenkstätte im Jahr 1985, dagegen 44% im Jahr 1990. 1990 hatten 56% der Befragten eine Gedenkstätte besucht. 83% vertraten die Auffassung, dass Gedenkstätten heute noch wichtig sind, aber nur 7% sahen sich durch die Gedenkstätten im Nachdenken angeregt. Es wird sowohl der Mangel als auch der Überfluss an Informationen kritisiert, größere Sachlichkeit und Vielfalt in der Darstellung gefordert und vor allem die Aufdrängung von Schuldgefühlen abgelehnt.
Die in den 80er Jahren neu gestalteten Gedenkstätten unterscheiden sich deutlich von denen der 50er und 60er Jahre, die vornehmlich dem Gedenken an die Toten gewidmet waren. Heute sind die exakte historische Dokumentation und die pädagogische Betreuung der überwiegend jugendlichen Besucher zur vordringlichen Aufgabe geworden. An Gedenkstätten wird zunehmend die Erwartung herangetragen, dass sie die schulische und außerschulische politische Bildungsarbeit wesentlich unterstützen.
Anders als in Polen und den Ländern, die Opfer der NS-Okkupation geworden waren, bestand in den Westzonen und der alten Bundesrepublik bis Mitte der 60er Jahre wenig öffentliches Interesse an der Einrichtung von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, verband sich doch mit diesen Orten die peinliche Erinnerung an nationale Schande und moralisches Versagen. Für die DDR hingegen, die ihre staatliche Legitimation aus dem antifaschistischen Widerstand herleitete, hatten die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus identitätsstiftende Bedeutung. Daher wurde bereits in den 50er Jahren eine der Ideologie entsprechende architektonische Gestaltung der Gedenkstätten großzügig gefördert, jedoch die wissenschaftliche und pädagogische Arbeit in den Gedenkstätten starken Restriktionen unterworfen.
In West-Deutschland und Berlin (West) konnte selbst die Errichtung von Gedenksteinen häufig nur nach mühsamen Kämpfen der Verfolgtenverbände durchgesetzt werden, oftmals erst, nachdem Denkmäler zur Erinnerung an die "Opfer des Krieges" oder des Kommunismus/Stalinismus gesetzt worden waren. KZ-Gedenkstätten als Orte der historisch-politischen Aufklärung rückten erst Mitte der 60er Jahre infolge des Auschwitz-Prozesses und der Studentenbewegung ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Bezüglich des Umgangs mit den baulichen Relikten der ehemaligen Konzentrationslager läßt sich für beide deutsche Staaten dennoch eine Gemeinsamkeit feststellen. Nach einer anfänglichen Weiternutzung der Lager für andere Zwecke, z. B. als Internierungslager durch die Besatzungsmächte oder später unter deutscher Verwaltung als Lager für Überlebende, so-genannte displaced persons, wurden die vielfach unzerstörten Überreste im Rahmen der Umgestaltung der Orte zu Gedenkstätten weitgehend entfernt.
1965 wurden die Gedenkstätte Dachau eröffnet, eine Gedenkstele in Neuengamme errichtet und 1966 ein Dokumentenhaus mit einer Dauerausstellung in Bergen-Belsen eingerichtet. Da in Deutschland, anders als in Polen, die Konzentrationslager nicht als Vernichtungslager konzipiert waren, dokumentieren die KZ-Gedenkstätten vor allem die Funktion der Straf- und Arbeitslager als Orte der Tortur und des menschlichen Leidens. Für die Erhaltung der Gedenkstätten sind teilweise die Länder, aber auch Kommunen, Landkreise oder freie Träger zuständig. In ihrer Konzeption sind daher die Gedenkstätten häufig von den jeweiligen lokalen politischen Gegebenheiten geprägt.
Dachau als erstes KZ bereits im März 1933 zunächst für politisch Verfolgte gegründet, kann als ein Musterbeispiel für eine vor allem katholisch-christlich ausgerichtete Gedenkstätte gelten. Bereits 1945 wurde eine katholische Holzkirche gebaut. Die katholische "Todesangst Christi- Kapelle" von 1960, das Sühnekloster "Heilig Blut" aus dem Jahre 1964, die evangelische Versöhnungskirche aus dem Jahre 1967 sowie eine 1994 von Soldaten der GUS-Truppen auf dem Gelände des ehemaligen SS-Lagers errichtete russisch-orthodoxe Kapelle binden die Geschichte der NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein in die christliche Heilsgeschichte. Daneben besteht seit 1965 eine israelitische Gedenkstätte, die der Trauer um den Tod der jüdischen Lagerinsassen geweiht ist. Während in Dachau das Lagergelände in eine museale Ordnung eingebunden wurde, ist im Gegensatz dazu an anderen Orten oft die Verbindung von Gedenkstätte und profaner Nutzung charakteristisch.
Die Gedenkstätte Bergen-Belsen, die vor allem aus anonymen Massengräbern besteht, liegt auf einem aus der NS-Zeit stammenden Militärgelände, das seit Anfang der 50er Jahren wieder als Übungsgelände genutzt wird. Auf diesem Areal befindet sich nicht nur ein bis 1990 nicht zugänglicher Friedhof für die im Stalaglager XI.C/311 umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen, sondern es wurde angrenzend an die Gedenkstätte auch ein Schießübungsplatz gebaut, durch dessen Nutzung die Ruhe der Grabanlagen und des Gedenkorts gestört wird. In Neuengamme wurde die ehemalige Ziegelei des Lagers an eine Firma vermietet, die Jachten herstellte, ein Zustand, der heute nicht mehr existiert. Allerdings unterhält die Stadt Hamburg seit 1948 auf einem Teil des KZ-Geländes eine Strafanstalt, die 1970 sogar noch durch den Neubau einer Jugendstrafanstalt erweitert wurde. Die vom Hamburger Senat 1989 der Lagergemeinschaft der ehemaligen KZ-Gefangenen von Neuengamme versprochene Verlegung der Justizvollzugsanstalt wurde im Sommer 1994 mit Verweis auf fehlende Haushaltsmittel auf unbestimmte Zeit verschoben. 1998 beschloss der Senat jedoch nun endgültig, die Justizvollzugsanstalt zu verlegen.
Auf dem Ettersberg bei Weimar wurde angrenzend an das Lagergelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald in den 50er Jahren eine architektonisch am Stil des sozialistischen Realismus orientierte Kultstätte für den heroischen Antifaschismus geschaffen, ein Selbstlegitimationsversuch der DDR. Das eigentliche Lagergelände des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück war von der Befreiung des Lagers bis zum Abzug der GUS-Truppen 1994 militärischer Sperrbezirk und wurde, wie auch die ehemalige SS-Wohnsiedlung, durch die Rote Armee weiter genutzt. Nur das Kommandanturgebäude und der Strafzellenbau sowie angrenzende Freiflächen standen für die Mahn- und Gedenkstätte bislang zur Verfügung.
Die unterschiedlichen politischen Konzeptionen für Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus spiegelten sich auch wider in den öffentlichen Debatten um ein in den 80er Jahren in Bonn geplantes nationales Mahnmal und um die Gestaltung des ehemaligen Gestapogeländes in Berlin. Nach der Vereinigung und dem Hauptstadtbeschluss bestimmte die Bundesregierung die im alten Zentrum Berlins an der Straße ‘Unter den Linden’ nahe dem Brandenburger Tor gelegene ehemalige preußische "Neue Wache", später Kriegerdenkmal und schließlich DDR-Denkmal für die "Opfer des Faschismus und Militarismus", zur zentralen Gedenkstätte für die "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft". Mit diesem Rückgriff auf Appelle des Gedenkens der 50er Jahre und der Wahl einer zwanzigfach vergrößerten Plastik der Künstlerin Käthe Kollwitz, einer um den gefallenen Sohn trauernden Mutter, wurde nicht nur Kriegerdenkmal- und Pietá-Symbolik evoziert. Vor allem aber wurde, wie Teile der deutschen Öffentlichkeit kritisierten, die Trennungslinie zwischen Tätern und Opfern erneut verwischt und damit die Beliebigkeit der an diesem Ort in Erinnerung zu rufenden historischen Ereignisse ermöglicht.
Deutschland steht am Ende des Jahrtausends tief in einer in der medialen Öffentlichkeit geführten Debatte um "Erinnerung", die, zumindest was die Mahnmalskonzeption für eine Erinnerungsstätte an die europäischen Juden im Zentrum Berlins betrifft, durch den Deutschen Bundestag entschieden wurde. Inwieweit sie damit beendet sein wird, steht dahin. Aus der Diskussion wird jedenfalls eines klar: Weder eine Verordnung von Deutungen noch eine Hierarchisierung in mehr oder weniger wichtige bzw. beklagenswerte Opfer der nationalsozialistischen Massenmordpolitik ermöglichen eine angemessene Erinnerung.
Sowohl die Schule als auch außerschulische Bildungsträger, wie z. B. Gedenkstätten stehen vor dem Problem, dass die Generation der Opfer und Täter, der Helfer und Mitläufer, der Mittäter und Zeitgenossen den Jüngeren nur noch sehr beschränkt als Zeitzeugen der NS-Zeit zur Verfügung steht. Dem steht ein wachsendes Interesse jüngerer Pädagogen gegenüber, klassische Methoden der historisch-politischen Bildung, auch der Gedenkstättenpädagogik mit freizeit- oder erlebnispädagogischen Ansätzen zu verbinden. Für das Problem, wie die Unterrichtsinhalte, über die auch die Projektbeiträger berichten, methodisch am geschicktesten zu vermitteln seien, gibt es keine Ideallösung.
Die Frage nach den Methoden stellt sich auch insofern immer wieder neu, als bereits für fast alle Lehrer heute altersbedingt das Thema Nationalsozialismus ein historisches Kapitel ist. Die in unserem Projekt indirekt vertretenen didaktischen Positionen lassen bei allen Unterschieden eine Gemeinsamkeit erkennen, die sich zu einer Empfehlung verdichten läßt: So wie jede Generation eigene Zugänge zur Geschichte ihrer Väter und Vorväter erarbeiten muss, muss dies generell auch für die Methoden der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Schwerpunkt Nationalsozialismus und Holocaust gelten, selbst wenn nach vielen empirischen Befunden im Unterricht noch immer die Methode des Frontalunterrichts dominiert. Mit anderen Worten: Je eigenständiger sich eine Lerngruppe zusammen mit ihrem Lehrer einen Zugriff auf die NS-Vergangenheit erarbeitet, je kreativer und individueller die Schüler die Aufgabe angehen, desto größer dürfte der Lernerfolg – selbst wenn dieser nicht unbedingt immer konkret "messbar" ist – für den einzelnen Schüler sein.
Viele Erfahrungen auch der an den Projekten der CD-ROM beteiligten Lehrkräfte legen für das historisch-politische Lernen das dialogische Prinzip Martin Bubers mit der Forderung eines gleichberechtigten, partnerschaftlichen Gespräches zwischen Lehrern und Schülern nahe. Hier gibt es keine Gewinner und Verlierer, weil der Lehrer als Dialogpartner selbst Lernender ist, ohne dass er mit seinen Kenntnissen oder durch sein Alter das Gespräch dominiert. Für dieses veränderte Selbstverständnis der Lehrerrolle hat sich im englischen Sprachraum der Begriff des facilitator im Unterschied zu dem des instructor durchgesetzt. Freie Bildungsträger, etwa Gedenkstätten, die von Schulklassen zu Seminaren aufgesucht werden, setzen zuweilen darauf, den jeweiligen Lehrer zu bitten, sich aus den Vermittlungsprozessen konsequent herauszuhalten und sie den Moderatoren zu überlassen, um dadurch eine effektivere und freiere Kommunikation zu ermöglichen.
Die Entscheidung für das dialogische Prinzip in Schule und Jugendarbeit bedeutet, auch in kritischen Situationen, etwa im Gespräch mit Holocaustleugnern unter den Jugendlichen, nicht die Geduld zu verlieren, als Erwachsener aber vor allem eine gesicherte Faktenbasis und gute Argumente parat zu haben. Unter Pädagogen ist nicht selten Konsens darüber vorhanden, dass rechtsextremen Provokationen nur dadurch zu begegnen sei, dass sie ignoriert würden bzw. von vornherein als antisemitische Neonazi-Propaganda abzutun seien. Zwar sind true believers kaum durch harte Fakten und sachliche Argumente zu überzeugen, trotzdem ist es wichtig, sie in ihrem "Kampf um die Wahrheit" nicht in die Opferrolle zu drängen und womöglich die Sachautorität durch die Amtsautorität zu ersetzen. Nur zu gern gefallen sie sich in der Aufmerksamkeit, die ihren Parolen unbewusst entgegengebracht wird, ob auf dem Marktplatz mit "Sieg Heil"-Parolen oder in der Schule durch die Störung und den Abbruch des Dialogs.
"Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeder anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen." Theodor W. Adornos Rundfunkvortrag aus dem Jahre 1966, der mit diesem Zitat beginnt, trägt den Titel Erziehung nach Auschwitz. Seine 20 Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus vorgelegten Thesen sind vom Grundsatz her auch heute noch gültig. Erinnerungsarbeit im Sinne Adornos muss bei der Arbeit mit Jugendlichen statt des "Sich-Erinnerns an den Faschismus" mit einem "Erinnern an den Faschismus" auskommen. Insofern ist sie ein fortwährender Prozess, der etwa dann konkretisiert wird, wenn – wie in der Alten Synagoge Essen – den Ermordeten mit dem Projekt des Gedenkbuches ihr Name zurückgegeben wird [siehe CD-ROM: Projektbericht: Jeder Mensch hat einen Namen].
Erinnerungsarbeit ist auch dort sichtbar, wo die Majdanek-Arbeitsgemeinschaft einer Berliner Schule beim Abgleich der Namen aus den Totenbüchern des KZ mit den Gedenkbüchern des Bundesarchivs in Koblenz feststellt, dass bei weitem nicht alle der in Majdanek ermordeten deutschen Juden im Bundesarchiv bekannt sind. Als die Schüler in deutschen Archiven nach den Biographien der KZ-Wächter forschen wollen, erfahren sie, dass Datenschutzargumente, mit denen ihnen der Zugang verwehrt wird, eine bestimmte Form des Umgangs mit der Geschichte sind. Ihre Fragen und die Ergebnisse ihrer Recherchen lassen sie erfahren, dass Geschichte nicht vergangen ist, sondern noch immer in die Gegenwart hineinwirkt und damit Teil ihrer eigenen Geschichte ist [siehe CD-ROM: Projektbericht "Daß das alles so echt war …"].
In rund der Hälfte der hier veröffentlichten Projekte haben sich die Beteiligten für den Besuch einer Gedenkstätte, meist einer KZ-Gedenkstätte, entschieden, um das in der Schule erworbene Wissen mit der sinnlichen Wahrnehmung der vorgefundenen Realität zu durchdringen. So verständlich der Wunsch nach Veranschaulichung und Vergegenwärtigung geschichtlicher Ereignisse ist, so muss auch darauf hingewiesen werden, dass die in einer Gedenkstätte inszenierte Realität mitunter zu "blinden" Anschauungen führen kann. Darauf hat schon der ostpreußische Philosoph Immanuel Kant hingewiesen: Begriffe ohne Anschauung sind leer, und Anschauung ohne Begriff ist blind. Darüber hinaus besteht insbesondere bei KZ-Gedenkstätten die Gefahr, historische Fakten mit der aufbereiteten Erinnerung zu verwechseln, so dass die inneren Bilder, die durch eine Ausstellung entstehen, für die Wirklichkeit selbst gehalten werden könnten. Die unterschiedlichen Schichten und Ebenen, die sich im Laufe der Jahrzehnte über ein Konzentrationslager, eine Synagoge oder einen anderen historischen Ort gelegt haben und die den Interpretations- und Deutungsrahmen einengen, freilegen und ordnen zu helfen, gehört mit zu den Aufgaben des Pädagogen. Gedenkstätten, zumal KZ-Gedenkstätten, sind interpretationsbedürftig, eine These, die wir nachdrücklich unterstützen.
Jugendliche äußern sich meist positiv über Gedenkstättenbesuche. Sie betonen die An-schaulichkeit von Geschichte und die Möglichkeit, sich weitgehend unabhängig von den Vorgaben der Erwachsenen eigenständig ein Urteil bilden zu können.
Gegenstände, Gebäude, Filmdokumente und Zeitzeugengespräche hinterlassen den stärksten Eindruck. Führungen und Kommentare von Gedenkstättenpädagogen oder Lehrern werden nur dann als hilfreich erlebt und akzeptiert, wenn die Schüler dabei etwas Neues erfahren. Mit Abwehr reagieren sie auf Standard-Vorträge, die Einfluss auf ihre Meinungsbildung zu nehmen versuchen und die nicht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem visuellen Eindruck stehen.
Die Wirksamkeit von Gedenkstätten gegen rechtsextremistische Einstellungen sind eher skeptisch zu beurteilen. Auf Grund der Erfahrung mit den DDR-Pflichtveranstaltungen, die oftmals abstumpfende Wirkung hatten, sollten Besuche von Gedenkstätten freiwillig sein. Die Schüler sollten bereits in die Planung eines Gedenkstättenbesuchs einbezogen werden, schließlich kann der Besuch einer Ausstellung und selbst eine Geländebegehung auch so konzipiert werden, dass sie eigenständig in Kleingruppen realisiert werden kann. Die Jugendlichen setzen sich dabei sowohl untereinander als auch individuell viel intensiver mit dem Bild- und Dokumentenmaterial auseinander und formulieren eher eigene Fragen. Die Gefahr kognitiver und emotionaler Überwältigung bleibt beherrschbar.
Emanzipation, Anregung zu kritischem Denken, selbstbestimmtes Lernen, Fähigkeit zur Empathie sind Kategorien, die für historisch-politisches Lernen gerade in Gedenkstätten unverzichtbar sind. Bildungsarbeit in Gedenkstätten muss sich daher im methodischen Angebot deutlich von Museen, Schulen und Universitäten unterscheiden, wenn sie nicht nur die Minderheit der intellektuell Ansprechbaren erreichen will. Das zeigen auf der CD-ROM exemplarisch die Projektarbeiten in Gedenkstätten. So verhinderte die Arbeit zahlreicher Schülerprojektgruppen, die auf dem Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald den Bahnhof von Unkraut und Schutt befreiten, dass "Gras über der Geschichte wuchs" [siehe CD-ROM: Projektbericht: "Kein Gras über die Geschichte wachsen lassen" und Projektbericht: Spuren suchen – Spuren sichern in Bergen-Belsen]. Kopf, Herz und Hand waren im Sinne Pestalozzis gleichermaßen an dieser Form der Erinnerungsarbeit beteiligt.
Historisch-politischer Unterricht über Auschwitz darf nicht zum Ziel haben, bei Schülern "Betroffenheit zu bewirken", das heißt, von außen Einfluss auf ihre seelischen Empfindungen zu nehmen. Dies geriete sehr schnell und mit Recht in den Geruch von Manipulation und Indoktrination. Obwohl die Gefahr groß ist, dass ein Übermaß an Mit-Leiden zu Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit führen könnte, kann andererseits nicht darauf verzichtet werden, mit den Schülern auch über Gefühle angesichts leidvoller und schmerzlicher Erfahrungen anderer zu sprechen. Die Fähigkeit zu fördern, eigene Gefühle wahrzunehmen und sich mit anderen darüber auszutauschen, ist eine grundsätzliche pädagogische Aufgabe, die nicht nur auf das Thema Auschwitz beschränkt ist. Dies zeigt sich an dem fächerübergreifenden Projekt einer Gesamtschule aus dem Saarland, in dem Schüler ihre Eindrücke und Empfindungen nach dem Besuch des KZ Natzweiler in einer als "Schreibwerkstatt" bezeichneten Methode sensibel verdichtet und anschließend ihre Arbeitsergebnisse veröffentlicht haben [siehe CD-ROM: Projektbericht: Eindrücke nach einer Gedenkstättenfahrt]. Wie fast alle Beispiele aus dem historisch-politischen Lernen auf dieser CD-ROM, so kennzeichnen auch dieses Projekt die folgenden Merkmale:
Interdisziplinarität als fächerübergreifender Zugang zum Thema Kooperative Arbeitsformen im Sinne der Betonung von Kleingruppenaktivitäten; Teilnehmerorientierung, verstanden als Rücksichtnahme auf die Fragen und spezifi-schen Wünsche der Jugendlichen Handlungs- und Produktorientierung mit dem Ziel, der Öffentlichkeit ein vorweisba-res Werk zu präsentieren kollektive Realisierung, die durch gemeinsame Teilhabe an allen Phasen der Vorbe-reitung, Durchführung und Evaluation des Projekts bewirkt wird.
Je nach den spezifischen Fragestellungen, den unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen der Beteiligten und den Arbeitsbedingungen in der Schule oder den außerschulischen Lernorten üben sich Schüler und Lehrer gleichermaßen in handlungsorientierten Methoden. Sei es, dass sie eigene Recherchen im Archiv durchführen, Zeitzeugen befragen, Spuren suchen oder das Schreiben eigener Texte als Form der Verarbeitung historischer Erfahrungen erleben. In aller Regel wird sich dabei ein "aus ganzem Herzen gewolltes, von einer Absicht erfülltes Handeln ... in einer sozialen Umgebung" einstellen, wie es einer der Väter des Projektgedankens, der Amerikaner William Heard Kilpatrick, vor mehr als 60 Jahren gefordert hat.
Wenn Jugendliche im Rahmen eines lokalen Wettbewerbs den Relikten eines KZ-Außenlagers, wie etwa in Malchow, nachspüren [siehe CD-ROM: Projektbericht: "Grabe, wo du stehst"] oder Lehrer und Schüler ihrer Schule den Namen des Retters der Kinder aus Buchenwald verleihen [siehe CD-ROM: Projektbericht: Ein Name verpflichtet], dann sind dies Unterrichtsergebnisse, die nicht messbar und vergleichbar sind mit denen des Mathematik- oder Biologieunterrichts. Schnell wird deutlich, dass die Umsetzung von Lernzielen im Sinne standardisierter Vergleichbarkeit von Leistungen zwischen Schulen hier keinen Platz hat und im Gegenteil sogar kontraproduktiv wirken dürfte.
Einstellungs- und Verhaltensänderungen der an solchen Projekten beteiligten Jugendlichen lassen sich nur zu einem kleinen Teil unmittelbar nach Abschluss eines Projektes wahrnehmen. Als Pädagoge wird man nicht umhin können, sich gegen die Zumutung von Tests zu wenden, von deren Ausgang häufig genug Werturteile in bezug auf demokratisches Verhalten abgeleitet werden. Nichts spricht zwar gegen solide Kenntnisse und Fakten, ihre Überbetonung jedoch führt zu Schulmüdigkeit und Ablehnung derjenigen Wertvorstellungen, die Pädagogen vermitteln möchten. Allein durch lehrbuchmäßige "Behandlung" zeitgeschichtlicher Ereignisse kann sich individuelles Bewusstsein nicht verändern. Noch immer muss daher das Begreifen der Unterrichtsinhalte einhergehen mit möglichst vielen Momenten authentischer "originaler Begegnung", wie sie viele reformpädagogische Ansätze gefordert haben. Das sich durch die Arbeit der Hände entwickelnde Bewusstsein, so zeigen unsere Projekte, bietet die Gewähr für eine nachhaltige Einstellungsänderung der Jugendlichen.
Sowohl im Rahmen der Schule als auch über Jugendverbände werden häufig internationale Begegnungen praktiziert. Diese Begegnungen, die sich in der Bundesrepublik auf der Grundlage zwischenstaatlicher zweiseitiger Abkommen insbesondere zwischen deutschen und israelischen, polnischen und französischen Jugendlichen entwickelt haben, dienen dem Dialog kulturell unterschiedlich sozialisierter junger Menschen. Ein etwa mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk vergleichbares Abkommen existiert zwischen den USA und der Bundesrepublik noch nicht, wenn sich auch immer wieder Jugendgruppen und Schulklassen auf beiden Seiten des Atlantiks treffen.
Dient eine solche Begegnung der Vorbereitung des Besuches einer KZ-Gedenkstätte, so ermöglicht das auf diese Art und Weise entwickelte Vertrauen zwischen den Teilnehmern einen leichteren Zugang zu den Orten des Schreckens mit ihren psychischen Belastungen. Wichtig ist dies vor allem für diejenigen, die zum ersten Mal einen solchen Ort besuchen. Viele Erfahrungsberichte über internationale Begegnungen spiegeln wider, was eine Berliner Studentin anlässlich eines Besuches in Auschwitz in ihr Tagebuch schrieb: "Auschwitz gibt mir die Möglichkeit, sensibel zu werden dafür, wer Verantwortung für Geschichte, für Geschehenes, mitträgt. Der Gang durch die Gedenkstätte brachte mir die Opfer näher, Einzelschicksale, vor allem aber ihr kollektives Leiden. Es fällt mir schwer, das Unfaßbare an mich heranzulassen, aber es ist wichtig zu begreifen, daß es Orte und Ereignisse gibt, an denen die Menschlichkeit verloren hat. Durch Auschwitz möchte ich nicht allein gehen ..."
Bibliographie auf der CD-ROM unter: Zusatzinfo: Hintergrundinformationen
Geschrieben im Jahr 2000.