Der Comic zählte bis in die 70er Jahre hinein zur Schundliteratur und wurde nicht als ernsthaftes Medium wahrgenommen. Die gewaltverherrlichende Darstellung verführe die Kinder und die verstümmelte Sprache trüge zur Verdummung und zum Bildidiotismus bei. Thematisch wird der Comic noch heute zwischen Superhelden und Micky Maus eingeordnet, oftmals mit komischem Inhalt. Umso befremdender erscheint die Tatsache, dass Autoren wie Art Spiegelman oder Pascal Croci gerade dieses „minderwertige“ Medium nutzen, um eines der ernsthaftesten Themen überhaupt darzustellen – den Holocaust.
Darf die systematische Vernichtung der Juden überhaupt in einem Comic dargestellt werden oder führt die Ästhetisierung des Leides nicht eher zu einer Ausbeutung der Opfer? Nach über sechzig Jahren sind die nachfolgenden Generationen mehr denn je auf eine Fixierung angewiesen, da die Möglichkeit zunehmend schwindet, auf Zeitzeugen als Quelle zurückzugreifen. Dabei kann es nicht nur die eine richtige Form der Erinnerung geben, denn schließlich garantiert gerade die „Vielfalt der Diskurse eine Erinnerungsöffentlichkeit“ (Huyssen 1997, S.174).
Dennoch bleibt die Problematik der Fiktionalisierung bestehen. Die Zeichner verfügen zwar über Mittel der Authentizitätsbezeugung wie das Einfügen von Originalfotos oder die Verarbeitung einer realen Lebensgeschichte, doch ein Comic wird immer Fiktion sein. Selbst bei einer Biographie wird die Erzählung durch die visuelle Verarbeitung so verändert, dass, obwohl der Stoff identisch sein mag, beim Leser andere Assoziationen geweckt werden. Die Angst vor Realitätsverlust in der Darstellung bleibt bestehen.
Allerdings vermischen sich selbst die Erinnerungen von Zeitzeugen über die Jahre hinweg mit fiktionalen Anteilen. Keine Erinnerung ist völlig frei von fiktionalen Momenten, sie bleibt aber stets an ein reales Geschehen gebunden und dies gilt es – gleichermaßen für den Comic - herauszufinden. Ziel ist es, Geschichte mit den Mitteln der Fiktion ins Bewusstsein, in die Erinnerung der Leser zu rücken. Inwieweit dies mit der notwendigen Ernsthaftigkeit umgesetzt wird, hängt eng mit der Frage nach der Angemessenheit der Ästhetisierung zusammen.
An dieser Stelle soll kurz auf drei ausgewählte Comics eingegangen werden. Art Spiegelmans "Maus – Die Geschichte eines Überlebenden" (Teil I: Mein Vater kotzt Geschichte aus und Teil II: Und hier begann mein Unglück) wurde erstmals 1989 in deutscher Sprache veröffentlicht. Spiegelman erzählt die Geschichte seines Vaters, der zusammen mit seiner Frau Auschwitz überlebte. Er verzichtet in der Darstellung auf die Verwendung von Farben, allerdings - und das machte Maus jahrelang zu einem umstrittenen Comic - zeichnet er Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen und Polen als Schweine und greift damit auf eine Metaphorik zurück, die von den Nationalsozialisten propagiert wurde: „Die Welt von einer minderwertigen Rasse zu befreien, die sich wie Ungeziefer vermehrt“ (Spiegelman 2008, S.8, zitiert Adolf Hitler).
Auch Pascal Croci schildert in seiner Graphic Novel "Auschwitz" (2005 in Deutschland veröffentlicht) auf der Grundlage von Zeitzeugen den Lageralltag. Ebenso wie Spiegelmann verzichtet er auf farbliche Visualisierung und zeigt dennoch das Grauen der Gaskammern und der Massengräber ohne Euphemismus. Über zwei Seiten sieht der Leser ausschließlich Gaswolken, nur verbunden mit Textblasen, die versuchen, den Todeskampf in Worte zu fassen. Schließlich lösen sich die Bilder zu einem einzigen großen auf, um die schmerzverzerrten Gesichter derjenigen darzustellen, die in den Gaskammern getötet wurden. Die Szene geht über die üblichen Randlinien hinaus und es scheint, als könne das Bild den Horror des Geschehens und die Zahl der Toten nicht fassen (Croci 2005, S. 42-44). Auschwitz ist ein durchweg düsterer Comic, der den Leser bis zum Epilog im Schrecken dieser Zeit gefangen hält.
Völlig anders wirkt hingegen Eric Heuvels farbiger Comic "Die Suche" (2007 in Zusammenarbeit mit der Anne-Frank-Stiftung veröffentlicht). Er erzählt die Geschichte eines jüdischen Mädchens, deren Eltern in Auschwitz ermordet wurden. Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erfährt sie über einen Zeugen, welches Leid ihre Eltern dort durchleben mussten. Heuvel zeigt aber zugleich, aus welchen Beweggründen sich Freunde und Familienmitglieder zu Mitläufern oder zu Widerstandskämpfern entwickeln. Obwohl auch er die Gaskammern in Auschwitz beschreibt, verzichtet er auf die Darstellung des Massenmordes. Das Grauen befindet sich in den Leerstellen zwischen den Bildern und es obliegt dem Rezipienten, diese zu füllen.
Während Croci als Todesmetapher die Aaskrähe wählt, zeichnet Heuvel Auschwitz fast im Stil eines Ferienlagers, über dem niedliche Vögel kreisen (vgl. Croci 2005, S.35 und Heuvel 2007, S.36). Der Comic erweckt nicht zuletzt durch die Verwendung von Farben und eines kindlichen Zeichenstils den Eindruck, die Ernsthaftigkeit des Themas verharmlosen zu wollen. Ist es angemessen, Juden als Mäuse zu zeichnen? Geht die realistische Darstellung Crocis zu weit und führt in der Tat zu einer Ausbeutung des Leides? Verharmlost Heuvel den Massenmord durch eine farbige und zu fröhliche Darstellung?
In jedem dieser Comics kann die Form der Ästhetisierung Anlass zur Kritik geben, doch zugleich bietet jeder einzelne gerade aufgrund dieses unterschiedlichen Zugangs die Chance auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema und festigt damit die Erinnerung beim Rezipienten. Entscheidend ist allerdings, wie wir mit diesem Medium umgehen.
Comics sind ein Bestandteil der Lebenswelt der Schüler und werden damit zu heimliche Erzieher, die Werte und Normen vermitteln können. Schüler müssen dazu befähigt werden, mit ihrer Umwelt kritisch umzugehen und ein „Höchstmaß an Urteilsfähigkeit“ (§ 1 Berliner SchG) zu entwickeln, um u.a. den versteckten Ideologien des Nationalsozialismus entgegenzutreten. Zur Kompetenz im Umgang mit diesem Medium zählt nicht nur die Ausprägung einer piktorialen Lesefähigkeit, sondern auch das Verständnis von der Funktionsweise der Comics, die eben nicht nur primär der Unterhaltung dienen.
Comics wirken massiv auf den Leser ein. So kann der Einsatz, aber auch der Verzicht von Farben eine starke psychologische Wirkung erzeugen (Rot= Gefahr, Liebe, Schwarz= Tod, schwarz/weiß= Zeichen der Authentizität). Je weniger spezifische Merkmale eine Figur besitzt, desto leichter kann der Rezipient sich mit dieser identifizieren, ihre Gefühle miterleben und Empathie in die Geschichte hineingeben. Emotionen können aber auch mittels der Sprache, der Formen oder der Perspektiven stimuliert werden.
Croci überträgt die Angst und die Unruhe der Deportierten auf den Leser, indem er die Panels so anordnet, dass der Lesefluss immer wieder unterbrochen werden muss, um die richtige Reihenfolge der Bilder zu finden. Die zackigen Textblasen, die von den klassischen runden Formen abweichen, und ebenso die durchgängig verwendeten Großbuchstaben wirken einhämmernd und aggressiv. Zudem verfügt ein Comic über das Prinzip der Synästhesie, d.h. obwohl nur ein visueller Reiz geboten wird, sprechen dennoch mehrere Sinne auf ihn an. Die marschierenden Füße, die Corci in einem Panel darstellt (Croci, 2005, S.22), lassen den Leser nicht nur das Stampfen im Schlamm hören, sondern auch das Beben des Bodens spüren.
Der Einsatz von Comics, die den Holocaust thematisieren, ist sinnvoll, denn diese können die Schüler stärker als jeder andere Text mit allen Sinnen emotionalisieren. Das führt wiederum zu einer höheren Anteilnahme am Geschehen und kann so ihre Einstellung gegenüber Personen und Ereignisse beeinflussen. Damit diese Wirkung aber nicht verfehlt wird, ist einerseits die Wahl des Comics und andererseits die Art der Verwendung im Unterricht entscheidend.
Heuvel scheint in der Form seiner Darstellung den Holocaust zu verkindlichen und genau darin liegt sein Vorteil. Ein Schüler der fünften oder sechsten Klasse ist mit Maus oder Auschwitz überfordert, denn er wird sich nur schwer wieder von den Figuren und dem Grauen des Massenmordes distanzieren können. "Die Suche" hingegen kann bereits in der Grundschule als historiografisches Material anstelle eines Lehrbuches oder im Vergleich mit diesem eingesetzt werden. Die Schüler durchleben die Geschichte der Hauptfiguren und können sich mit den verschiedenen Rollen der Täter, Mitläufer, Opfer und Widerstandskämpfer auseinandersetzen und selbst einen Standpunkt beziehen.
In den Sekundarstufen der Haupt- und Realschulen ist es dagegen oftmals schwierig zum wiederholten Mal das Thema Holocaust anzusprechen, ohne dass die Schüler abschalten. Gerade in diesen Klassen kann der Einsatz von Comics zur Motivierung der Schüler beitragen. Einige Panels von "Maus" oder "Auschwitz" reichen als Einstieg aus, um die Frage "Darf man den Holocaust im Comic darstellen" an die Schüler weiterzureichen. Je nach Wissensstand können sie nun selbstständig über die Tiermetaphorik von Spiegelman oder über den detaillierten Realismus von Croci Stellung nehmen.
Mittels der Lasswell–Formel lassen sich Comics analysieren, um so auch die Wirkungsweise des Mediums zu verstehen. (Der US-amerikanische Politik- und Kommunikations-wissenschaftler H.D. Lasswell formulierte 1948 die Frage „wer sagt was zu wem auf welchem Kanal und mit welcher Wirkung?“ Mit dieser Formel lassen sich die verschiedenen Elemente von Kommunikation – Sender, Rezipient, Inhalt und Verbreitung - in Hinblick auf die Wirkung von Medien untersuchen.) Welche Personen sind im Comic zu erkennen? Welche Mittel wurden verwendet und was will der Zeichner damit erreichen? In welchem Auftrag wurde der Comic gezeichnet? Welche Emotionen werden beim Schüler ausgelöst? Oder inwieweit würde sich der Inhalt für die Schüler verändern, wenn Croci oder Spiegelman nicht auf Farben verzichtet hätten? etc. Nicht zuletzt kann die Authentizität der Comics u.a. bezüglich des Aufbaus und der Organisation von Auschwitz, der Kennzeichnung der Häftlinge aber auch hinsichtlich der Sprache und der Quellen untersucht werden.
Zu "Maus" ist eine CD-Rom erhältlich, die zahlreiche Skizzen, Fotografien und Tonbandausschnitte der Gespräche enthält, die Spiegelman mit seinem Vater führte. Die Komplexität der Comics widerspricht der These vom minderwertigem Medium deutlich. Um den Comics von Spiegelman, Heuvel und Croci im Unterricht vollständig gerecht zu werden, wäre ein interdisziplinärer Zugang notwendig. So könnten sich die Schüler im Fachbereich Kunst mit den Formen der Ästhetisierung und den Bausteinen des Comics in Deutsch hingegen mit Text-Bild-Beziehungen und der Sprache des Dritten Reiches beispielsweise anhand Victor Klemperers „LTI“ kritisch auseinandersetzen. Seine tiefgreifende Abhandlung über den Sprachverfall kann die Schüler im Unterricht für die manipulierende Wirkung von Sprache sensibilisieren. Ferner bietet sich die Möglichkeit, den Inhalt und die Darstellung mit literarischen Werken zu vergleichen, um auf diesem Weg auch die unterschiedlichen Wirkungsweisen der einzelnen Medien herauszuarbeiten. Auch wenn viele dem Medium Comic aufgrund der Fiktionalisierung und der Ästhetisierung noch mit Skepsis gegenüberstehen, so kann ein Comic dennoch die Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust schaffen.