Peter Weiss war ein Mensch, in dessen Gegenwart die Welt „glänzte, aber auch in ihren negativen Seiten so schrecklich wurde, dass man sich vor ihr fürchtete“ schrieb sein Jugendfreund Robert Jungk über ihn. Mit dem „Jahrhundertroman" (Hans Mayer) der "Ästhetik des Widerstands" avancierte Peter Weiss weltweit zum Kultautor nicht nur der Linken.
Jens- Fietje Dwars gelingt es mit seiner literaturwissenschaftlich fundierten, von Anfang bis zum Ende verständlich und spannend geschriebenen Darstellung der Biographie und des Werks von Peter Weiss, diesen vielseitigen, einzigartigen Künstler und großen Außenseiter der deutschen Literatur wieder neu zu entdecken: den Maler, Erzähler, Dramatiker und Filmemacher Peter Weiss (1916 bis 1982).
Der Autor erzählt das Leben von Peter Weiss als einen Gang durch das Inferno seiner Zeit: Geburt noch im 1. Weltkrieg in Nowawes (Neubabelsberg) bei Berlin als Sohn eines ungarisch-jüdischen Textilfabrikanten und einer schweizerischen Schaupielerin. Kindheit und Jugend in der Weimarer Republik in Bremen und Berlin, Emigration der Familie über England, die Tschechoslowakei nach Schweden.
Als junger Emigrant und Kunststudent in Prag - Weiss war durch seinen Vater tschechischer Staatsbürger - , malte er surrealistische Höllenbilder. Kalte Beziehungslosigkeit zeigte er als Experimentalfilmer in Schweden, nachdem er mit seinen ersten Prosatexten in deutscher Sprache beim Verleger Peter Suhrkamp auf Ablehnung stieß und sie nur im Eigenverlag herausbringen konnte. Viele Jahre musste er um seine Anerkennung als Künstler kämpfen und litt unter der ökonomischen Abhängigkeit von den Eltern.
Der Durchbruch als Autor deutscher Sprache gelang ihm erst zu Anfang der 1960er Jahre mit der Veröffentlichung der autobiographischen Prosatexte "Der Schatten des Körpers des Kutschers" und "Abschied von den Eltern" (Suhrkamp-Verlag), vor allem jedoch international mit Bühnenwerken. Das Theaterstück "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats", dargestellt durch die Schauspielergruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade (1964), in dem er das Thema der gescheiterten französischen Revolution und zugleich der verdrängten Revolution der Gegenwart als philosophischen Disput behandelte, wurde sein erster Theatererfolg.
Ein einmaliges Ereignis in der Kulturgeschichte der beiden deutschen Nachkriegsstaaten Deutschlands wurde 1965 das stilistisch an Dantes „Göttliche Komödie“ angelehnte Oratorium "Die Ermittlung", in dem er dokumentarisch den Frankfurter Auschwitz Prozess thematisierte. Die Ring-Uraufführung des Stücks fand gleichzeitig am 19. Oktober 1965 in 15 Spielstätten der Bundesrepublik, der DDR, West und Ost-Berlins statt. Es provozierte im Vorfeld und danach erstmals gleichzeitig und konfrontativ eine Auseinandersetzung mit den NS Verbrechen in West und Ost.
Im westdeutschen Kulturbetrieb erregte Weiss mit seiner drastischen Schilderung der KZ-Gräuel und schonungslosen Anklage gegen die deutsche Großindustrie, vor allem aber seiner damit einhergehenden politischen Positionierung als Sozialist heftige Kritik, während die DDR ihn für sich zu vereinnahmen suchte.
"Die Ermittlung" und die Debatten um den Autor wurden zu einem politischen Lehrbeispiel, an dem sich die unterschiedlichen Positionen der Bundesrepublik und der DDR bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 besonders einprägsam aufzeigen lassen. Wenig später wurde Weiss auch für die DDR-Kulturpolitik zum unerwünschten Autor, nicht zuletzt durch sein Stück "Trotzki im Exil". Auch "die Ästhetik des Widerstands" (1972 bis 1981) über den antifaschistischen Widerstand im Exil und das Aufbegehren der Kunst gegen staatliche Macht war den DDR-Kulturfunktionären nicht genehm.
Der Roman erschien in so verschwindendend wenigen Ausgaben, dass er kaum zu bekommen war, wie der Autor eingangs seine erste Begegnung Peter Weiss im Jahr 1983 als Student an der Universität Jena eindrücklich schildert. Das geliehene Exemplar schrieb er passagenweise ab und bewahrte die Hefte wie einen Schatz jahrelang auf. Von da an begann sein intensive Entdeckung und Auseinandersetzung mit Peter Weiss, deren Ergebnis u.a. die jetzt vorliegende glänzend geschriebene Biographie ist.
Peter Weiss blieb ein „Unzeitgemäßer“ und „Unzugehöriger“. Mit dem Paradigmenwechsel des Erinnerungsdiskurses von Auschwitz zu Holocaust/Shoah, mehr noch mit dem Ende das Kalten Krieges und dem Fall der Mauer hatte Peter Weiss Leser und Zuschauer verloren, auch wenn 1991 die Berliner Akademie der Künste erstmals sein Gesamtwerk präsentierte und bei Suhrkamp eine sechsbändige Werkausgabe erschien. Nur ein kleiner Kreis von Enthusiasten pflegt seither in der Internationalen Peter-Weiss-Gesellschaft und mit den seit 1992 herausgegebenen Jahrbüchern noch sein Andenken. Die Theaterstücke sind von den Spielplänen verschwunden. Theater will nicht mehr außerparlamentarische Opposition machen wie in den 1960er und 1970er Jahren. Den nachwachsenden Generationen ist Weiss kaum noch bekannt.
Doch diese Biografie basierend auf neuen Materialfunden, die digitale Neuherausgabe der kompletten Weiss’schen Notizbücher sowie das Wagnis einer Hörspielfassung der Ästhetik des Widerstands und eine noch in diesem Jahr erscheinende multimediale DVD- Produktion der Bundeszentrale für Politische Bildung für Schüler und Studierende «Die Ermittlung – Auschwitz auf der Bühne- NS-Vergangenheit in Ost und West» gibt zur Hoffnung Anlaß, dass Peter Weiss und sein vielgestaltiges ästhetisches Werk neu entdeckt werden.
Der Autor Jens-Fietje Dwars, 1960 geboren in Weißenfels studierte Philosophie in Wroclaw, Berlin und Jena. Nach Promotion über Geschichtsphilosophie und Anthropologie (bei Ludwig Feuerbach) 1987 bis 1992 war er Germanistikassistent an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU). Seit 2000 lebte er als freier Autor und Ausstellungsmacher in Jena.