Fünf Wissenschaftler:innen, die zum Geschichtswettbewerb, den Potenzialen von forschend-entdeckendem Lernen und dem Erwerb von geschichtskulturellem Kapital forschen, stellen im Gespräch mit LaG ihre Projekte und wichtigsten Befunde vor.
Johanna Glandorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Didaktik der Geschichte in Münster und promoviert zum Tutor:innenhandeln im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Ihr Projekt trägt den Titel „Professionell-begabungsförderndes Handeln von Tutor:innen im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Eine empirische Studie zu individueller Förderung beim historisch-forschenden Lernen.“
Lukas Greven ist Studienrat für die Fächer Geschichte und Biologie in Euskirchen. Er war zwischen 2017 und 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsgebiet Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen University. Seine Dissertation erscheint demnächst unter dem Titel „Mehr als ‚Reisen in die Vergangenheit‘. Forschendes Lernen im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, 1973-2013“.
Moritz Heitmann ist derzeit Studienreferendar am ZfsL Münster im Seminar für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen. 2023 hat er sein Promotionsprojekt am Institut für Didaktik der Geschichte an der Universität Münster mit dem Titel „Historische Orientierung in der Vereinigungsgesellschaft. Eine Studie zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 1994/1995“ abgeschlossen.
Johannes Schmitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit historischen Verstehensprozessen und untersucht anhand von Beiträgen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten, wie sich Jugendliche seit Anfang der 1990er Jahre mit der DDR-Geschichte und Transformationszeit auseinandergesetzt haben. Weiterhin ist er Besucherbegleiter in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße und Referent beim Bildungsprojekt Lostdeutschland, welches von der Stiftung Ettersberg in Weimar ausgerichtet wird.
Wanda Schürenberg studierte Geschichtswissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld. Sie lebt in Berlin, arbeitet und promoviert im Bielefelder Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte/Profilbereich Geschichtskulturen zum Thema: „Den Nationalsozialismus als ‚eigene‘ Geschichte erzählen? Sinnbildungsstrukturen und Schuldverarbeitung in Beiträgen des Geschichtswettbewerbs“.
LaG: Was war der Anlass, sich mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wissenschaftlich zu beschäftigen?
Mich haben Projektarbeit und Lehrer:innenprofessionalisierung interessiert und der Geschichtswettbewerb bietet eine gute Gelegenheit, dies zu erforschen.
LaG: Womit beschäftigt sich Ihre Studie?
Mit der Frage, welche Rolle Tutor:innen im Geschichtswettbewerb spielen und warum sie den Wettbewerb an ihren Schulen etablieren. Ziel ist es, Gelingensbedingungen der Begleitung historisch-forschenden Lernens am Beispiel des Tutor:innenhandelns im Geschichtswettbewerb systematisieren zu können.
LaG: Was ist Ihr wichtigster Befund?
Tutor:innen stellen eine zentrale Gelenkstelle für den Geschichtswettbewerb dar. Zum einen tragen sie ihn in die Schulen vor Ort. Sie sind zentrale Mittler:innen zwischen der ausrichtenden Körber-Stiftung und den teilnehmenden Schüler:innen. Zum anderen ist ihre Begleitung essentiell für den Lern- und Forschungsprozess der Schüler:innen. Gleichwohl verfolgen sie sehr unterschiedliche Ziele mit der Etablierung des Geschichtswettbewerbs an ihren Schulen und gestalten dementsprechend auch ihr tutorielles Handeln sehr unterschiedlich.
LaG: Was war für Sie die größte Überraschung im Forschungsprozess?
Wie zentral Tutor:innen im Geschichtswettbewerb sind, obwohl es sich um einen Schüler:innenwettbewerb handelt.
LaG: Welche Impulse können Akteur:innen, die sich mit forschend-historischem Lernen beschäftigen, aus Ihrer Arbeit ableiten?
Der Geschichtswettbewerb wird häufig als „Elitenphänomen“ diskutiert; allerdings sind für die Fragen, welche Schüler:innen am Wettbewerb teilnehmen und ob sie dabei z.B. Selbstwirksamkeit erfahren, die Konzepte der Tutor:innen entscheidender als die Aufgabenstellung oder das Bewertungsverfahren des Wettbewerbs.
LaG: Was war der Anlass, sich mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wissenschaftlich zu beschäftigen?
Das Archiv des Wettbewerbs bildet trotz einer gewissen Selektivität einen interessanten Fundus für diejenigen, die der Frage nach der Veränderlichkeit von historischem Lernen im Zeitverlauf nachgehen möchten. Aufgrund der Flüchtigkeit historischer Lernprozesse und häufig auch seiner Produkte ist die Frage ohne solche Quellen nur schwer zu beantworten. Beim Lesen ausgewählter Beiträge habe ich gemerkt, dass der Wettbewerb in dieser Hinsicht aufschlussreich sein könnte.
LaG: Womit beschäftigt sich Ihre Studie?
Sie beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sich das forschend-historische Lernen im Wettbewerb vor dem Hintergrund des Wandels von Geschichtsdidaktik und -wissenschaft, Politik und Gesellschaft zwischen 1973 und 2013 verändert hat. Ich habe mehrere hundert Schüler:innenbeiträge detailliert ausgewertet und zugleich die Geschichte des Konzepts des forschend-historischen Lernens im Wettbewerb anhand wettbewerbsseitiger Veröffentlichungen dargestellt.
LaG: Was ist Ihr wichtigster Befund?
Forschend-historisches Lernen ist im betrachteten Zeitabschnitt in vielerlei Hinsicht konstant. Vor allem der Fokus auf die Faktenerhebung, häufig auch als schlichte Übernahme von Angaben über Vergangenes, ist besonders bedeutsam. Aber es ist in den Beiträgen auch ein Typ forschend-historischen Lernens erkennbar, in dem re- und de-konstruktive Annäherungen an Vergangenheit und Geschichte(n) eng miteinander verbunden sind.
LaG: Was war für Sie die größte Überraschung im Forschungsprozess?
Besonders aufschlussreich war für mich, dass forschend-historisches Lernen für einige Teilnehmende mehr ist als „eine Reise in die Vergangenheit“. Denn manche von ihnen meistern die anspruchsvolle Aufgabe, Erzählungen von Zeitzeug:innen in kritischer Distanz auszuwerten und die Erkenntnisse in ihren eigenen Erzählungen zu nutzen.
LaG: Welche Impulse können Akteur:innen, die sich mit forschend-historischem Lernen beschäftigen, aus Ihrer Arbeit ableiten?
Sie erhalten zunächst einen Einblick in die Veränderlichkeit des wettbewerbsseitigen Verständnisses des Konzepts. Sie werden erkennen, dass vor allem die Einbindung der De-Konstruktion in forschend-historische Lernprozesse noch eine Herausforderung darstellt. Zugleich erfahren die Akteur:innen, wo die Lernenden auf ihrem Weg zu selbstständig forschend-historisch Lernenden abgeholt werden sollten.
LaG: Was war der Anlass, sich mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wissenschaftlich zu beschäftigen?
Mich haben Forschungen und Narrationen von Schüler:innen interessiert. Hier bietet der Geschichtswettbewerb eine breite Quellenbasis.
LaG: Womit beschäftigt sich Ihre Dissertation?
Sie geht der Frage nach, wie sich Kinder und Jugendliche, die am Geschichtswettbewerb teilnehmen, im forschend-historischen Lernen selbst historisch orientieren, und zwar in einer von Umbruch und Kontingenz geprägten Situation; der Fokus liegt dabei auf der Verarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte in der Vereinigungsgesellschaft der 1990er-Jahre und dem Geschichtswettbewerb 1994/95 zum Thema „Ost-West-Geschichte(n). Jugendliche fragen nach“.
LaG: Was ist Ihr wichtigster Befund?
Kinder und Jugendliche bringen zwar auf der einen Seite ihre eigenen Interessen und Orientierungsbedürfnisse in den Forschungsprozess ein. Auf der anderen Seite zeigen sowohl die Fragestellungen als auch die Orientierungsleistungen der von mir untersuchten Beiträge, wie groß der Einfluss gesellschaftlicher Denkmuster der 1990er-Jahre auf die Schüler:innenforschungen war.
LaG: Was war für Sie die größte Überraschung im Forschungsprozess?
Im Geschichtswettbewerb wird häufig der Unterschied zwischen „Leuchttürmen“ und „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Teilnahme am Wettbewerb betont. Zwar zeigt sich auch in der Auswertung des Wettbewerbs 1994/95, dass die Teilnahme am Wettbewerb in bestimmten Regionen und Städten besonders groß war. Allerdings haben diese lokalen Schwerpunkte in der inhaltlichen Analyse der Beiträge weniger Auswirkungen als überregionale Deutungs- und Verarbeitungsmuster der deutsch-deutschen Geschichte, wie sie etwa in der Ausschreibung des Wettbewerbs 1994/95 angelegt waren.
LaG: Welche Impulse können Akteur:innen, die sich mit forschend-historischem Lernen beschäftigen, aus Ihrer Arbeit ableiten?
Die Fragestellungen und Themen, die Schüler:innen etwa durch die Ausschreibung des Geschichtswettbewerbs vorgeschlagen werden, haben große Auswirkungen auf ihre Forschungsleistungen. Dessen sollte man sich bei der Auswahl und Formulierung bewusst sein – ebenso wie des Umstands, dass auch die zugrunde liegende Perspektive immer durch die eigene Gegenwart geprägt ist.
LaG: Womit beschäftigt sich Ihre Dissertation?
Ich untersuche, wie sich Schülerinnen und Schüler mit DDR-Geschichte und der Transformationszeit auseinandersetzen. Ich werte hierfür Wettbewerbsbeiträge aus, die in den Jahren 1990 bis 2018 beim Geschichtswettbewerb eingereicht wurden. Welche Themen werden bearbeitet? Mit welchen Erkenntnisinteressen erschließen sich die Jugendlichen die Vergangenheit und wie vollziehen sich ihre historischen Verstehensprozesse?
LaG: Was ist Ihr wichtigster Befund?
Wie wichtig es ist, dass die eigenen Deutungsbedürfnisse artikuliert werden können. Und zwar, weil diese Bedürfnisse die Basis dafür bilden, dass die Jugendlichen ein historisches Verstehen ausprägen und es ihnen somit möglich wird, ein eigenes Urteil zu fällen. Innerhalb der Untersuchung zeichnet sich weiterhin ab, wie stark das eigene Vorverständnis den Prozess des Verstehens und Urteilens prägt. Irritationsmomente und Alteritätserfahrungen stellen daher beim historischen Lernen einen wichtigen Impuls dar, um sich des eigenen Standpunktes bewusst zu werden und diesen kritisch zu reflektieren.
LaG: Was war für Sie die größte Überraschung im Forschungsprozess?
Dass die Jugendlichen zuweilen in ihrer Forschung Themen aufgreifen, die erst einige Jahre später in geschichtswissenschaftlichen Diskursen ankommen. Weiterhin das Engagement, Geschichtskultur mitzuprägen, und das Interesse an Geschichte, das in den Beiträgen deutlich wird.
Mit Blick auf die DDR-Geschichte: wie stark die Erlebnisse der Transformationszeit die Zugänge und Urteile über die DDR in allen Jahrgängen beeinflussen.
LaG: Welche Impulse können Akteur:innen, die sich mit forschend-historischem Lernen beschäftigen, aus Ihrer Arbeit ableiten?
Zunächst einmal Erkenntnisse darüber, wie sich historisches Verstehen im Allgemeinen und am speziellen Gegenstand, namentlich der DDR-Geschichte, im Rahmen von Projektlernen vollzieht. Meine Studie kann Anhaltspunkte geben, warum sich Lernende überhaupt einem Thema zuwenden und mit welchem Ziel sie sich dieses erschließen. Basierend auf diesen Verstehensabsichten können Stärken und Herausforderungen der jeweiligen Verstehens- und Urteilsstrategien sichtbar gemacht werden. Auf Basis empirischer Befunde aus meiner Studie und im Rückgriff auf die Urteilstheorie von Hannah Arendt (bestimmende und reflektierende Urteilskraft) habe ich gemeinsam mit Peter Starke (Universität Jena) exemplarische Urteilstypen erarbeitet, anhand derer die Genese des Urteilens im Prozess des Verstehens aufgezeigt werden kann. In unterrichtspragmatischer Hinsicht kann das Wissen um diese unterschiedlichen Strategien eine Orientierung für den Geschichtsunterricht und in Geschichtsprojekten bieten. So können Lehrkräfte mithilfe dieser Urteilsfiguren Jugendlichen dazu verhelfen, einen Rollenwechsel zwischen den Urteilstypen zu vollziehen und somit weitere Perspektiven zu berücksichtigen.
LaG: Was war der Anlass, sich mit dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wissenschaftlich zu beschäftigen?
Mein erster Einblick in die Wettbewerbsbeiträge, damals noch als wissenschaftliche Hilfskraft, erstaunte mich: Ungeachtet des intensiven, außerschulischen Forschungsprozesses verbanden einige Jugendliche die teils konventionalisiert anmutende Verurteilung des Nationalsozialismus mit viktimisierenden und entschuldenden Narrativen zu (Mit-)TäterInnen und der nicht-verfolgten Mehrheitsgesellschaft. Dieser Eindruck war der Anlass entsprechende Sinnbildungsmuster genauer zu untersuchen.
LaG: Womit beschäftigt sich Ihre Dissertation?
Das Promotionsprojekt beforscht die Beiträge des Geschichtswettbewerbs der 2010er-Jahre als Schnittstelle des privaten, partikularen Familiendiskurses und des öffentlichen, allgemeinen NS-Diskurses. Untersucht wird erstens, wie sich eine Fokussierung auf verfolgte historische Akteur:innen im Vergleich zur Fokussierung auf (Mit-)TäterInnen/ Nicht-Verfolgte auf die historischen Erzähl- und Deutungsmuster sowie insbesondere die Schuldverarbeitungen auswirkt. Und zweitens, welchen Einfluss ein (familien-)biographisches Forschen im Gegensatz zu einer regionalgeschichtlichen Beschäftigung auf die Narrationen hat.
LaG: Was war für Sie bisher die größte Überraschung im Forschungsprozess?
In der bisherigen Auseinandersetzung mit dem Material hat mich ein Beitrag besonders überrascht. Er benennt in einem Satz die Verbrechen und im folgenden Satz die Funktion des eigenen Urgroßvaters klar, jedoch wird beides nicht miteinander verknüpft. Stattdessen steht hier eine schweigende Lücke, markiert durch einen großen Absatz, als gescheiterte Schuldverarbeitung und Bruch der narrativen Kohärenz.
LaG: Welche Impulse können Akteur:innen, die sich mit forschend-historischem Lernen beschäftigen, aus Ihrer Arbeit ableiten?
Entschuldenden Narrativen zum Nationalsozialismus kann nicht allein durch engagiertes forschendes Lernen, wie beispielsweise im Rahmen des Geschichtswettbewerbs, begegnet werden. Vielmehr müssten das Wissen zu und ein gezielt reflektierender Umgang mit transgenerationalen Weitergaben affektiver Gehalte, sogenannter „Gefühlserbschaften“, in die historisch-politische Bildungsarbeit einbezogen werden – so wie dies bereits in der antisemitismuskritischen Bildung verstärkt der Fall ist.