Die in der Überschrift genannte Frage beschäftigte Universitätsprofessoren seit Mitte des 19. Jahrhundert global und besonders lange im Deutschen Kaiserreich: Bis Anfang des 20. Jh. debattierten Ministerialbeamte und Universitätsleitungen mit Engagierten der frühen Frauenvereine über den „Einbruch der Frauen in das gelobte Land der Wissenschaft“ (Hedwig Dohm zit. n. Twellmann 1972: 208ff.).
Die Schriftstellerin und Feministin Hedwig Dohm konstatiert 1874: „Da […] die Majorität meiner deutschen Zeitgenossen das Recht der Frau am wissenschaftlichen Beruf leugnet, so dürfen wir kleine Minorität nicht müde werden, für unsere Überzeugungen zu kämpfen, wenn es auch absolute Gewißheit für uns ist, daß dasjenige, was heut sonderbar und paradox erscheint, in kurzem für eine der trivialen Wahrheiten gelten wird“ (zit.n. Frederiksen 1981: 242).
Hedwig Dohm (um 1870). Quelle: Wikimedia Commons,URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hedwig_Dohm.jpg
Dohm sollte Recht behalten. Die Ausnahmeerscheinung studierender Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist heute zur Alltäglichkeit geworden, mehr als 50% der Studierenden sind weiblich. Dohm hatte aber auch darin recht, dass die Majorität der Gesellschaft bis ins 20. Jahrhundert hinein die Studierfähigkeit von Frauen leugnete. Die Debatte um das sogenannte Frauenstudium wurde von Kämpfer*innen für die wissenschaftliche Emanzipation der Frau in Europa fast ein halbes Jahrhundert geführt! „Eine Debatte, die unter den epochalen naturwissenschaftlichen, technischen und philosophischen Neuerungen, welche sich in der zweiten Hälfte des 18. und 19. Jahrhunderts vollzogen“ (Popitz 1995: 8), die gesellschaftlichen Strukturen in Frage stellte und die grundsätzliche Bedeutung weiblicher Professionalisierungsansprüche neu bewertete.
Doch wie wurde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Geschlecht konstruiert, wer hat in welcher Form die Debatte um die Zulassung von Frauen zum Studium bestimmt? Welche Themen und Fragen prägten die Argumentationen und welches sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die die Auseinandersetzung um gleichberechtigte Bildung, Emanzipation und Demokratisierung maßgeblich vorantrieben? Ausgehend von diesen Fragen wird der Text versuchen, in einer kurzen Geschichte des Frauenstudiums die Argumentationsstrategien im Kampf gegen und für gleiche Bildungs- und Bürgerinnenrechte herauszuarbeiten.
Schützt Universitätsbildung davor, in Debatten Stereotypen zu reproduzieren, oder diese gar als Tatsache auszugeben? Sollte es Wissenschaftlern nicht unmöglich sein, unwissenschaftlich zu argumentieren? Für den Beginn des Frauenstudiums lassen sich diese beiden Fragen eindeutig verneinen.
Die Debatte um das Frauenstudium wurde überwiegend von Professoren sowie Politikern und von den „studierwütigen“ Frauen geführt. Sie fand in Büchern, Zeitungsessays, öffentlichen Briefen, Petitionen sowie in Salons, Frauenvereinen und Fakultätssitzungen statt. Am Beispiel der Anfänge des Frauenstudiums in Berlin zeigt sich auch die argumentative Spannbreite der Abwehr: Für die Gelehrten der Alma Mater stand die Ausgrenzung des weiblichen Geschlechts im Zentrum. Gemeinsam mit wissenschaftlich anerkannten Philosophen, Theologen und Medizinern ‚erkannten‘ sie im Wissensdurst und im politischen Tatendrang der Frauen eine sittlich-moralische Gefahr für die Gesellschaft.
Darüber hinaus wurden anatomische Unterschiede angeführt, die Frauen von höherer Bildung ausschließen würden. So stellte Wilhelm Waldeyer, Professor der Medizin, 1888 fest: „Es besteht ein namhafter Unterschied in der Ausbildung und Anordnung der Hirnwindungen beim Manne und beim Weibe, und zwar zeigen sich die männlichen mehr entwickelt, so dass damit eine Oberflächenvergrösserung der grauen Substanz, in welcher wir das Substrat der intellektuellen Funktionen suchen müssen, gegeben ist“ (zit.n. Ries 1927: 42) Der Physiologe Prof. Gustav Theodor Fritsch, ein Kollege Waldeyers an der Medizinischen Fakultät, hielt fest: „Mit der zarten Natur [der Frauen, E.B.] hänge wohl auch die häufig recht mangelhaft entwickelte Gabe des Gedächtnisses zusammen, wie man täglich sehen könne, wenn man Frauen nach den so schon dürftigen Kenntnissen fragt, die sie auf der Schule erworben hätten“ (zit.n. Kirchhoff 1927: 45)
Daneben gab es die Narrative zu der dem weiblichen Geschlecht vorbehaltenen Gefühlswelt: „Wegen ihres durch Gefühlsrücksichten leicht irregeleiteten Verstandes ist die Wirkungssphäre der Frauen nicht in den Kreisen des öffentlichen Lebens zu suchen. […] Der männliche Geist sieht tiefer, weiter, schärfer […], erforscht gründlicher und genauer. [...] Der weibliche Geist […] ist in seinem Urtheil befangen, oberflächlich […] Der Mann handelt nach Überzeugungen; das Weib nach Gefühlen“ (von Bischhoff 1872: 19-20).
Akademiker aller Couleur waren sich darin einig, dass eine naturgewollte Geschlechterordnung existiere – neben den Erkenntnissen der Aufklärung, der Mensch sei frei geboren und die Emanzipation das höchste Ziel. Emanzipation war gemäß ihrer Auffassung die notwendige Grundlage einer souveränen Nation, nicht aber eines souveränen Frauenverständnisses. Die Debatte wurde (und wird auf dieser staatlichen Ebene noch immer) instrumentalisiert, um Frauen in den Arbeitsbereich der häuslichen Reproduktion zu drängen, damit sie den in der Produktion tätigen Männern den Rücken freihalten.
Ökonomische Machtinteressen hinter den wiederkehrenden sittlich und anatomisch grundierten Argumentationslinien spiegeln die Funktion der Debatte: Eine von Vernunft geleitete Auseinandersetzung der unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Interessen sollte vermieden werden. Zudem wurde als Gefahr eine Prekarisierung der akademischen Berufe erkannt: Höhere und besser dotierte Positionen sollten weiterhin Männern vorbehalten bleiben. Der Mediziner Prof. Dr. Emanuel Weber „sah in der Zulassung von Frauen zum Studium ein Danaergeschenk für diese“, und wollte „gerade als Arzt die Hilfe der Frauen [in der Krankenpflege, E.B.] nicht entbehren.“ Seine Empfehlung: „Teilen wir die Arbeit, stellen wir jeden an die richtige Stelle“ (zit.n. Kirchhoff 1897: 133).
Universitätsfrauenklinik in der Stephanstraße in Leipzig. Foto des Kliniksaals / Hörsaals aus dem Jahre 1909. Quelle: Die Institute der Medizinischen Fakultät an der Universität Leipzig. (Festschrift zum 600. Jahrestag der Gründung der Universität Leipzig, Band 3). Leipzig: Hirzel 1909, Tafel XVI, Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Unifrauenklinik_stephanstra%C3%9Fe_klinikssaal_(tafel_XVI).jpg
Konkurrenzangst spielte eine weitere Rolle. Prof. Dr. Friedrich Albrecht Weber brachte es auf den Punkt: „Ich bin gegen das akademische Studium der Frauen. Wir haben ohnehin schon ein großes akademisches Proletariat in den vielen jungen Männern“. Und weiter stellte er fest, dass „die in Aussicht stehende weibliche Konkurrenz […] das Elend nach dieser Richtung hin nur vergrößern“ würde(zit.n. Kirchhoff 1897: 217).
Auf der anderen Seite der Debatte standen v.a. bürgerliche Frauenvereine (z.B. Frauenverein Reform, 1888 gegründet; Allgemeiner Deutscher Lehrerinnenverein, 1890; Allgemeiner Deutscher Frauenverein [ADF], 1896)und einzelne Kämpferinnen wie etwa Anita Augsburg, Hedwig Dohm, Minna Cauer, Helene Stöcker, Fanny Lewald u.v.a. In Schriften, Petitionen, Gesuchen und Anfragen an Reichstagsabgeordnete ersuchten sie um den Zugang zur höheren Schul- und Universitätsbildung. Ihr Kampf gipfelte 1892, nachdem zahlreiche Gesuche unbeantwortet blieben, in einer ersten Massenpetition des ADF für das Frauenstudium und -wahlrecht, die mit 55.000 Unterschriften an den Reichstag ging (Frederiksen 1981: 226ff.). Doch blieb auch diese juristisch folgenlos. Als Reaktion auf das erneute Aussitzen einer Entscheidung gründeten die Frauenorganisationen in Selbsthilfe eigene Gymnasialkurse für Schülerinnen, zum Ablegen einer externen Reifeprüfung.
Die existentiellen Interessen der Frauen, die in ihren Forderungen zum Ausdruck gebracht wurden, spiegeln gleichsam den sich rasant vollziehenden epochalen Umbruch in der Arbeitswelt wider. Einzelveröffentlichungen in der Presse erhöhten den Druck auf die Parteien und auf die wissenschaftlichen Ordinarien: „Weshalb drängten denn die Frauen sich zu anderen Berufsarten? […] Es hat recht lange gedauert, bis man allgemein begriff, daß es sich nicht um phantastische Neuerungssucht handelte, sondern um eine Notwendigkeit, ein Resultat; daß seitdem Dampfmaschinen und Fabrikbetrieb auch für die Hauswirtschaft einen sehr großen Teil der notwendigen Arbeit leisten, für erwachsene Töchter und überzählige Tanten des Mittelstandes weder Platz noch Arbeit noch Brot in ausreichender Menge vorhanden war im verwandten Haus“ (Tiburtius 1924: 2).
Selbst nachdem im Wintersemester 1895/96 Frauen als Gasthörerinnen an der Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Impetus der Gnade zugelassen wurden, schlossen Mediziner sie aus sittlichen Gründen von anatomischen Übungen aus (vgl. Kirchhoff 1897: 69).
Weibliche Studenten belästigen männliches Bedienpersonal in einer Kneipe, Parodie auf das Frauenstudium an der Universität Zürich, 1872. Quelle: Michael Klant: Universität in der Karikatur, Hannover 1984, Wikimedia Commons, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Special-Artistin_-_Schattenseite_-_Z%C3%BCricher_Studentinnen-Kneipe_1872.jpg
Auf diese und andere Art wurde eine juristische Entscheidung über die Zulassung von Frauen zum Studium und zu wissenschaftlichen Berufen systematisch behindert. Stattdessen favorisierte man Ausnahmeregelungen und damit Einzelentscheidungen. Ganz verschließen konnten sich die Ordinarien den Folgen der zweiten technologischen Revolution, die zu sozialem Wandel, modernen Lebensformen und neuen Denkarten führten, nicht. Sie wurden so zur Öffnung der Fakultäten für Studentinnen gedrängt, setzten jedoch den Faktor der Nichtbeachtung eingereichter Anträge über mehrere Jahre gezielt und erfolgreich fort. Am 18.08.1908 durften sich Studentinnen dann per Erlass immatrikulieren, vergleichsweise spät im internationalen und auch im nationalen Vergleich.
Das Zurückdrängen von Frauen in die häusliche Arbeit oder in Teilzeitjobs – ihre Bereithaltung als eine konjunkturell lenkbare Reservearmee des Arbeitsmarktes – bleibt bis heute ein geschlechtsspezifischer Unterschied, auch in der akademischen Arbeitswelt. Einerseits bleiben trotz einer quantitativen Zunahme von Frauen an den Universitäten geschlechtsspezifische Karrieremuster relevant. Die naturgewollte Ordnung der Geschlechter wird selbst im 21. Jahrhundert von vorwiegend konservativen Parteien und Unternehmen weiterhin angeführt, um die Frau als „Dazuverdienerin“ wieder in alte Rollen, konkret an den Herd, zurückzudrängen. Andererseits ist die Selbstorganisation von Frauen und ihr Einmischen in aktuelle Debatten der Bildungspolitik erhalten geblieben. Pionierinnen legten Ende des 19. und Anfang des 20 Jahrhunderts den Grundstein dafür: eine kritische Geschlechterrollen-Analyse und für die Notwendigkeit, sich zu organisieren, mit dem Ziel, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Literatur und Quellen
Fakultäts-Sitzungsprotokolle, Universitätsarchiv Humboldt Universität, Berlin.
Frederiksen, Elke (Hrsg.): Die Frauenfrage in Deutschland 1865–1915, Stuttgart 1981.
Kirchhoff, Arthur: Die akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Berufe, Berlin 1897.
Popitz, Heinrich: Epochen der Technikgeschichte, Tübingen 1989.
Ries, Hildegard: Die Geschichte des Gedankens der Frauenhochschulbildung in Deutschland, Westerstede 1927.
Tiburtius, Franziska: in: Die Studentin 1 (1924), H. 1, S. 2.
Wellmann, Margit: Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge und erste Entwicklung – Quellen 1843 bis 1889, Meisenheim 1972.
von Bischoff, Theodor L.W.: Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen, München 1872.