Die Broschüre „Im Fokus von Neonazis – Rechte Einschüchterungsversuche. Ein Ratgeber für Betroffene und Unterstützer*innen“ ist im Dezember 2018 bereits in der sechsten Auflage erschienen. Nicht nur dadurch wird deutlich, wie aktuell und wichtig die Thematik ist.
Die Mitarbeiter*innen von LOBBI und dem VBRG, die die Broschüre gemeinsam herausgeben, beschreiben gleich zu Beginn, warum es den Ratgeber braucht: Sich gegen extrem rechte Propaganda und Aktivitäten zu engagieren und zu positionieren, ohne gleich zum Ziel von Angriffen zu werden sei zwar möglich, doch es gebe auch Risiken. In der Folge werden engagierte Personen beleidigt, bedroht und diffamiert, müssen mit Gewalt rechnen. „Im Fokus von Neonazis“ zeigt Reaktionsmöglichkeiten und Vorkehrungen für verschiedene Situationen auf, soll aber angefeindeten Menschen auch Mut machen und eine praktische und solidarische Hilfe sein, wie die Herausgeber*innen schreiben. Dabei richtet er sich auch an das Umfeld der Angegriffenen, deren Unterstützung der Betroffenen für diese sehr wichtig ist.
Die erste Hälfte der Broschüre widmet sich der Drohkulisse als Strategie. Es wird versucht, einen „Überblick zu Hintergründen und Folgen rechter Einschüchterungsversuche“ zu geben. Ziele der rechten Einschüchterungsversuche und Bedrohungen sind vor allem Menschen, die sich ehrenamtlich gegen rechte Strukturen und Einstellungen engagieren. Die Autor*innen stellen heraus, dass es oftmals ausreicht, Aufkleber von Laternenpfählen zu reißen, um in das Visier von Neonazis zu geraten, insbesondere im ländlichen Raum. Jedoch auch außerhalb von privaten oder beruflichen Berührungspunkten können Menschen Bedrohungen ausgesetzt sein, etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres sozialen Status. Die Bedrohung kann sich dabei unterschiedlich, zum Beispiel durch die Veröffentlichung persönlicher Daten oder Sachbeschädigungen an Wohnhäusern, äußern. Auf diese Art und Weise soll erreicht werden, dass einzelne Personen eingeschüchtert werden und die dominante Rolle der rechten Szene hergestellt und gefestigt wird.
Die Analyse der einzelnen Fälle ist wichtig, um die rechte Szene, ihre Strukturen und ihre Wirkungsmacht richtig einschätzen zu können. Die Erfahrungen der letzten Jahre, so die Autor*innen, sprechen für ein zunehmend strategisches Vorgehen. Einzelne Personen jedoch sind Hetzkampagnen über längere Zeiträume ausgesetzt, die überregionale Vernetzung wird sichtbar. Lokale Schwerpunkte legen zudem nahe, dass es sich bei den Täter*innen um Angehörige aktionsorientierter Neonazi-Kameradschaften handelt. Teilweise wird von Neonazigruppen explizit zu Übergriffen aufgefordert.
Die Folgen der Bedrohungen und Angriffe gehen weit über das Gefühl der Angst hinaus. Jede*r Betroffene geht hiermit unterschiedlich um, sucht individuelle Bewältigungsstrategien. In manchen Fällen beenden die Betroffenen das Engagement oder ziehen um. Auch die Auswirkungen auf das soziale Umfeld sowie die materiellen Folgen in Form von Prozesskosten, Sachschäden oder getroffenen Maßnahmen sind nicht zu unterschätzen. Aber auch über den*die Einzelne*n hinaus wirken Einschüchterungsversuche, fühlen sich doch oftmals mehrere Engagierte, etwa aus einer Gruppe oder Partei heraus, mitgemeint.
Die Broschüre geht nach diesen eher allgemein gehalten Informationen auf konkrete Szenarien ein. So wird etwa die Möglichkeit der Bedrohungssituation auf der Straße näher beleuchtet. Auf Demonstrationen, Kulturveranstaltungen oder bei zufälligen Begegnungen – die Verfasser*innen stellen heraus, dass eine Bedrohungssituation nahezu immer möglich ist. Der Situation kann nicht immer aus dem Weg gegangen werden. Es kommt zu verbalen und körperlichen Angriffen, Fotos werden gemacht, die reine Präsenz der martialisch auftretenden Neonazis wirkt einschüchternd. Die Verfasser*innen bieten konkrete Handlungsvorschläge, etwa offen über Befürchtungen zu sprechen und Handlungsmaximen festzulegen. Auch für die Situation der konkreten Bedrohung gibt es in der Broschüre Tipps. So sollten Angegriffene idealerweise selbstsicher und unaufgeregt reagieren, sich nicht in Diskussionen verwickeln lassen und sachlich bleiben. Dazu zählt auch, immer in der Sie-Form zu bleiben. Sind die Täter*innen bekannt, empfiehlt sich eine namentliche Ansprache. Für manche Situationen, zum Beispiel im Falle eindeutiger Straftaten, empfehlen die Autor*innen Fotos von den Täter*innen anzufertigen. Weiter wird aufgezeigt, wie gehandelt werden kann, wenn Unsicherheiten auftreten oder Täter*innen angezeigt werden sollen. „Im Fokus von Neonazis“ geht weiter auf bedrohliche Situationen zu Hause und im Büro, im Internet und anderen Medien sowie bei Veranstaltungen ein. Für alle genannten Beispiele wird auch immer wieder auf Fachstellen verwiesen, so dass eine kompetente Beratung gesichert ist. Neben die konkreten Beispiele stellen die Verfasser*innen eine Entscheidungshilfe, ob Anzeige erstattet werden soll oder nicht. In dem anschließenden Kapitel, das sich dem Umgang mit den eigenen Ängsten widmet, versuchen die Autor*innen aufzuzeigen, wie sich Verunsicherung und Angst zeigen können und welche Möglichkeiten eines konstruktiven Umgangs es gibt.
Von den Autor*innen selbst als „[d]as wichtigste Kapitel“ bezeichnet, finden sich zum Ende der Publikation zahlweise Hinweise für Unterstützer*innen. Die wichtigste Frage beantworten sie dabei gleich zu Beginn: „Warum sollte ich aktiv werden?“ – Bedrohungen und Angriffe dürfen nicht das private Problem der Betroffenen bleiben. Konkrete Unterstützung kann etwa eine öffentliche Positionierung oder finanzielle Hilfe sein.
„Im Fokus von Neonazis – Rechte Einschüchterungsversuche. Ein Ratgeber für Betroffene und Unterstützer*innen“ ist eine informative Broschüre, nicht nur für die Betroffenen von Einschüchterungsversuchen und ihr Umfeld. Auch Personen, die sich über die Thematik im Allgemeinen informieren möchten, sind hier an der richtigen Stelle. Der Ratgeber ist online als PDF verfügbar.