Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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In einer Umfrage, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2015 durchführte, berichteten 21 Prozent der befragten Personen von rassistischen Diskriminierungen am Arbeitsplatz, d.h. von Benachteiligungen, die bspw. an die vermeintliche Herkunft, die Hautfarbe oder an den Namen anknüpfen (Antidiskriminierungsstelle 2015). Ein Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Herr M. hat vor wenigen Monaten eine Tätigkeit als Reinigungskraft aufgenommen. Schon kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses bekommt er Schwierigkeiten mit einem Kollegen, der ihn wegen seiner Hautfarbe beleidigt, ihn bei der Arbeit behindert und versucht, andere Kolleg*innen gegen Herrn M. aufzuwiegeln. Zuerst hat sich Herr M. eher passiv verhalten und gehofft, dass sich die Situation mit der Zeit verbessern werde. Nach einer besonders verletzenden Beleidigung wendet er sich schließlich an seinen Teamleiter und die Vorsitzende des Betriebsrats und bittet diese, ihn zu unterstützen und selbst aktiv zu werden. Diese reagieren jedoch abwehrend bzw. hilflos. Man könne den Kollegen nicht zur Freundlichkeit verpflichten. Die Beleidigungen seien sicher auch nicht so ganz ernst zu nehmen. Herr M. solle akzeptieren, dass im Betrieb manchmal ein etwas rauerer Umgangston gepflegt werde.
Arbeit oder besser gesagt unsere Erwerbstätigkeit hat einen zentralen Stellenwert in unserem Leben. Arbeit bestimmt unseren Alltag. Sie prägt unsere sozialen Beziehungen, auch über den eigentlichen Arbeitsprozess hinaus, egal, ob sie der reinen Existenzsicherung oder Selbstverwirklichung dient. Ob wir es also richtig finden oder nicht: In dieser Gesellschaft ist (Erwerbs-)Arbeit von zentraler Bedeutung für die Verteilung individueller Lebenschancen, das Selbstwertgefühl und die Stellung der Individuen.
Doch was, wenn hier massive Ungleichbehandlungen und (rassistische) Zuschreibungen einem keine Chance geben und vermitteln, dass jemand weniger Wert ist? Wenn der Zugang zu einer Arbeit allein deshalb erschwert ist, weil die Bewerbung allein aufgrund rassistischer Zuschreibungen – etwa wegen des Namens, der Hautfarbe oder wegen eines Kopftuchs – aussortiert wird, wenn sich Kolleg*innen aus denselben Gründen ablehnend oder gar feindselig verhalten, wenn Vorgesetzte nicht einschreiten, wenn Mobbing erfolgt, wenn auch mit Fleiß kein Preis in Aussicht steht?
Zu Diskriminierungen in der Arbeitswelt kann es in jeder Phase eines Arbeitsverhältnisses kommen: Während des Bewerbungsverfahrens, wenn die Auswahl der Bewerber*innen nicht (nur) anhand ihrer Eignung erfolgt, sondern die vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Diskriminierungskategorie (z.B. Geschlecht, Rassismus, sexuelle Identität) über die Einstellung entscheidet. Diskriminierungen können auch während der Durchführung des Arbeitsverhältnisses kommen, wenn sich bspw. Arbeitszeiten oder sonstige Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitskolleg*innen nur wegen der (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einer Diskriminierungskategorie unterscheiden. Weitere Beispiele sind in diesem Zusammenhang Benachteiligungen beim Zugang zu berufsbegleitenden Qualifizierungen oder zu beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. Diese Erscheinungsformen sind oft dadurch geprägt, dass sie in eher formaler und anonymer Weise erfolgen.
Diskriminierungen, die direkt von Arbeitskolleg*innen ausgehen, greifen dagegen direkt die Persönlichkeit der Betroffenen an. Sie reichen von verbal geäußerter oder nonverbal gezeigter Missachtung, über direkte Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen. In manchen Fällen sind die Betroffenen einem rassistisch motivierten Mobbing ausgesetzt, das sich über einen langen Zeitraum erstreckt und für die Betroffenen eine schwerwiegende Belastung mit entsprechenden Folgen für sie darstellt.
Ganz gleich in welcher Form sie auftreten, Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt verletzen die Würde eines Menschen, verunmöglichen (Karriere-)Chancen, gefährden die Existenzsicherung und können große psychosoziale Auswirkungen für die betroffenen Menschen bedeuten.
Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass Menschen immer wieder rassistische Diskriminierungen am Arbeitsplatz erleben. Gleichzeitig wird der ADB berichtet, dass in der Arbeitswelt wenig Wissen über Rechte, Pflichten und Interventionsmöglichkeiten im Umgang mit Diskriminierungen vorhanden ist. Betroffene Menschen wissen oft nicht ausreichend über ihre Rechte Bescheid, wie sie sich im Vorfeld schützen könnten, aber auch wie sie sich wehren können und an wen sie sich wenden können. Kolleg*innen und insbesondere Mitglieder von Arbeitnehmer*innenvertretungen haben wenig Wissen, was rassistische Diskriminierung bedeuten kann und wie sie betroffene Kolleg*innen vertrauensvoll und stärkend unterstützen können und Arbeitgebende haben oft wenig Vorstellung davon, was ihre Pflichten, aber auch Möglichkeiten bezogen auf Diskriminierungsschutz sind. Dieses Nichtwissen führt dazu, dass betroffene Personen oft alleine damit bleiben, und Maßnahmen offensiv einfordern oder gar alleine durchsetzen müssen. Oft reicht es eben nicht – wie eigentlich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgesehen –, eine Beschwerde an Vorgesetzte zu richten, damit diese einschreiten.
Wissen über Handlungsoptionen und rechtliche Möglichkeiten sind eine wichtige Basis, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Dies ist die Grundidee des Projekts „FairHandeln!“. Darin wurden Informations- und Weiterbildungsangebote entwickelt, die (potentiell) Betroffene von rassistischer Diskriminierung stärken und Multiplikator*innen für das Thema Diskriminierungsschutz in der Arbeitswelt sensibilisieren. Die Angebote sind niedrigschwellig und praxisnah gehalten, um möglichst viele Interessierte zu erreichen und zeitlich so kompakt, dass sie gut mit anderen Angeboten kombiniert werden können. Denn wir alle wissen: Zeit ist Geld und gerade in der Arbeitswelt gibt es wenig Zeit für Diskriminierungsschutz. Inhaltlich geht es bei den Workshops darum, den Teilnehmer*innen einen ersten Zugang und Impulse zum Thema zu verschaffen. Wenn (potentielle) Betroffene ermutigt werden, sich gegen Benachteiligungen zu wehren und erste Ideen zu ihren Handlungsmöglichkeiten entwickeln oder wenn Arbeitnehmer*innenvertretungen sich sensibel für ihre diskriminierten Kolleg*innen einsetzen, dann ist dieses Ziel erreicht. Die Workshopmodule wurden praktisch erprobt, durch Feedbacks in und aus der Praxis verbessert und als Baukastensystem aufbereitet, damit sie an den Bedürfnissen und den Rahmenbedingungen der Teilnehmer*innen orientiert durchgeführt werden können:
Das Modul „Empowerment gegen rassistische Diskriminierungen am Arbeits- oder Ausbildungsplatz“ richtet sich an (potentiell) von rassistischer Diskriminierung betroffene Menschen und ist so angelegt, dass es gut für Teilnehmer*innen in der Spracherwerbsphase (Sprachniveau A2 bis B2) geeignet ist. Zur weiteren Minimierung der Sprachbarriere gibt es für den Workshop 28 Illustrationen, die Diskriminierungsaspekte und weitere Themen darstellen. Das Modul kann damit gut in Integrationskursen, oder berufsbezogenen Sprachkursen, in Gemeinschaftsunterkünften oder Sprechcafés sowie in Berufsschulen oder in berufsvorbereitenden Kursen durchgeführt werden.
Das Modul „Sensibilisierung gegen Diskriminierung am Arbeits- oder Ausbildungsplatz“ wendet sich an Arbeitnehmer*innenvertretungen und Multiplikator*innen.
Dieses Modul ist so gestaltet, dass es innerhalb einer Betriebsratssitzung oder eines Treffens einer gewerkschaftlichen Basisgruppe durchgeführt werden kann. Hier wird das Ziel verfolgt, den Teilnehmer*innen das Thema der rassistischen Diskriminierungen grundsätzlich näher zu bringen und ihnen erste Möglichkeiten zu vermitteln, wie sie von Diskriminierung betroffene Kolleg*innen solidarisch unterstützen können.
Ergänzend zu den Workshopmodulen wurden Ansätze für Gespräche und Verhandlungen mit Arbeitgeber*innen, Personalverantwortlichen und anderen Führungspersonen in Betrieben zusammengestellt, um von ihnen mehr Engagement im Bereich des betrieblichen Diskriminierungsschutzes zu erreichen.
Alle Materialien, die für das Projekt FairHandeln entwickelt wurden, werden in einer umfangreichen Handreichung vorgestellt und stehen (in Kürze) als Download auf unserer Website zur Verfügung. Mit diesen Materialien können die Workshopmodule ohne spezielle Vorkenntnisse in der Bildungsarbeit durchgeführt werden. Wir wünschen uns nun, dass möglichst viele Menschen FairHandeln! nutzen.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes; Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Berlin 2015. Online: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/projekte/Handout_Umfrage_Diskriminierung_in_Dtschl_2015.html?nn=6574030