Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Am Anfang stand die Idee: Ein medienpädagogisches Radioprojekt sollte Menschen vom jungen Erwachsenen- bis zum Seniorenalter zusammenbringen, um sich mit deutscher Demokratiegeschichte anlässlich der Gründung der Weimarer Republik vor einhundert Jahren zu beschäftigen. Neben der Vermittlung rein technischer Fertigkeiten galt es demnach, historisch-politisch zu bilden. Das hieß, gemeinsam zu recherchieren, Quellen zu sammeln, diese zu diskutieren, auszuwerten und in ein Konzept zu packen, das Radioformat hat. Am Ende war – um es vorwegzunehmen – eine sechsteilige Feature-Reihe entstanden, die vom Februar bis August 2019 um 100 Jahre zeitversetzt „live“ von der Nationalversammlung in Weimar berichtet(e). Die Produktion der Sendungen fand ihren Werkraum im Funkhaus von Radio Lotte in Weimar und erfolgte in enger Kooperation mit der Initiative Thüringen 19_19 sowie mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Ebenfalls gefördert wurde das Projekt durch den Weimarer Republik e.V. und vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
Die Konzeptionierung des Vorhabens begann Ende des Jahres 2018 durch den Historiker Christian Faludi. Das daraufhin gebildete Kernteam umfasste die erfahrene Journalistin und Medienpädagogin Carolin Franke sowie die Auszubildende im Freiwilligendienst Ida Pruchnewski als Produktionsleiterinnen, beziehungsweise Regisseurinnen; hinzu kam Svea Geske als Assistentin. Gemeinsam erarbeiteten sie den thematischen Rahmen. Durch die gleichberechtigte Arbeitsweise innerhalb der Gruppe geriet dabei ein dynamischer Prozess in Gang, der immer neues, kreatives Potential entfaltete. So wurde etwa beschlossen, dass das Produkt eine Brücke zur Gegenwart schlagen sollte. Deren Pfeiler bestanden letztlich aus Sounds, die am historischen Ort in der Jetztzeit gesammelt wurden. Zwei Mitwirkende nahmen deshalb unter anderem am bundesdeutschen Festakt anlässlich des Jahrestages der Eröffnung der Nationalversammlung im Deutschen Nationaltheater am 6. Februar 2019 teil, zeichneten Geräusche um einhundert Jahre zeitversetzt auf und fertigten daraus Collagen, die Hintergrund für die Reden von 1919 wurden. Darüber hinaus bemühten sich die Produzentinnen, auch namhafte Sprechende zu gewinnen, die dem innovativen Ansatz entgegenkamen und die Historie ins Heute transformierten. So las etwa der aktuelle Oberbürgermeister Peter Kleine Texte seines Amtsvorgängers von 1919, Martin Donndorf, oder der aktuelle Generalintendant des Nationaltheaters, Hasko Weber, sprach eine Rede seines Vorgängers Ernst Hardt. Überdies konnten Schauspieler*innen für Rollen, etwa Johanna Geißler für die der Marie Juchacz, gewonnen werden; hinzu kamen rund zwanzig Lai*innen im Alter von 17 bis 70 Jahren. Der Stummfilm-Pianist Richard Siedhoff steuerte zudem eigens komponierte Musik bei.
Nachdem die Produktionsteams aufgestellt und die Grundlagen geschaffen waren, wurde das zur Verfügung stehende Material mit allen Beteiligten ausgewertet und anschließend in den thematischen Rahmen so eingepasst, dass es die Form eines Radiofeatures erhielt. Die Zusammenarbeit war dabei dergestalt, dass für eine Reflexion des gemeinsamen Tuns stets Raum bestand. Dazu trug abermals die durch gleichberechtigte Mitbestimmung geprägte, demokratische Struktur bei, mittels derer die Mitarbeitenden dauernd aktiv an allen Prozessen beteiligt waren. Überdies erfolgten am Ende der jeweiligen Arbeitsschritte Gespräche in Runden, in denen Eindrücke ausgetauscht und diskutiert wurden. Insbesondere nach den Produktionsphasen der einzelnen Sendeteile fand sich das Kernteam zusammen, hörte fertige Sendeteile gemeinsam an und wertete diese aus.
Grundlage des Projektes war überdies die Auseinandersetzung mit historischen Quellen; vor allem aus dem Bereich Zeitungsmedien; außerdem wurden die verschiedensten Reden von Parlamentarier*innen und Ego-Dokumente wie etwa Tagebucheinträge in Betracht gezogen. Diesbezüglich galt es, Methoden der Quellenkritik zu erlernen, um durch präzise Auseinandersetzung mit den einzelnen Texten eine Vorauswahl für das Projekt treffen zu können. Nur durch intensive Quellenarbeit ist es möglich, in den einzelnen Skripten einen thematischen, roten Faden zu entwickeln und auch die Vermittlung der vergangenen Geschichte klar darzulegen. Diese Methoden wurden anhand des gemeinsamen Lesens und Besprechens der Inhalte unter historisch-fachlicher Anleitung vermittelt. Eine weitere zu erlangende Kompetenz war die der Konzeptionierung und Herstellung eines Radio-Features, was in Form von Gruppenarbeiten – von der Themenfindung bis zur Herstellung von Sendeskripten – erfolgte. Das technische Arbeiten umfasste dabei die Prozesse vom Aufzeichnen der Texte und Sounds über das Schneiden bis hin zur fertigen Produktion, wie auch dem Bewerben der Formate in Form eigens produzierter Radio-Jingles. Dazu galt es, die für die jeweiligen Blöcke angelegten Konzepte unter medienpädagogischer Anleitung und in Gruppenarbeit in homogene Audioformate zu übersetzen. Dabei kam es den Leitenden stets darauf an, sämtliche Beteiligten in Eigenverantwortung agieren und eigene Ideen selbständig entwickeln zu lassen; das galt etwa in Sachen Skript-Gestaltung, Regieanweisungen und Sprechformen, aber auch für Schnittweisen und Soundproduktionen. Entsprechend wurde jeder einzelne Teil mit großem Aufwand hergestellt. Die Werbung, Betreuung und Produktion lag dabei kontinuierlich in den Händen aller Mitarbeitenden und nahm mit Entfaltung derer Potentiale stets größere Formen an. Durch die professionelle Betreuung erfahrener Radiomacher gelangte schließlich alles in geordnete Bahnen. Die letztlich entstandene Serie umfasst insgesamt sechs einstündige Sendungen im Feature-Format, die jeweils am letzten Freitag im Monat, von Februar bis August (um 100 Jahre zeitversetzt zur Nationalversammlung) im Programm von Radio Lotte in Weimar wie auch in etlichen weiteren, angeschlossenen Radioanstalten deutschlandweit ausgestrahlt wurden und werden.
Thematisch erzählen die einzelnen Teile die Geschichte der Entstehung der ersten deutschen Demokratie auf deutschem Boden von der Eröffnung der Nationalversammlung im Februar bis zur Vereidigung des Präsidenten Friedrich Ebert im August 1919. Ähnlich dem Blick durch ein Brennglas auf die Stadt Weimar zeichnet jeder Block ein Panorama der werdenden Republik, das gleichermaßen historische Fakten wie auch Stimmungsbilder von vor einhundert Jahren spiegelt. „Lotte live von der Nationalversammlung“ führt zurück und blickt gleichermaßen nach vorn; Geschichte wird erlebbar, Impulse werden sichtbar. Und das Projekt rückt die Historie mittels eines innovativen Formats in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Das damit einhergehende Ziel der Schaffenden ist es, Denkprozesse anzustoßen, die auch Rückschlüsse auf die Gegenwart zulassen. Kurzum: Das Projekt soll die Geschichte so erfahrbar machen, dass die Effekte für die heutige Zeit nutzbar werden.
Dass dieser gemeinschaftlich entwickelte Gedanke durchaus trägt, konnte bereits während der Produktion festgestellt werden. Denn die demokratische Arbeitsstruktur sorgte nicht nur dafür, dass ein enormes Maß an Kreativität freigesetzt worden war, sie unterstützte auch erheblich die nachhaltigen Effekte – sowohl in der technischen als auch in der medienpädagogisch/historisch-politischen Bildung. So stellte sich bereits während der Produktion ein ums andere Mal heraus, dass die Beschäftigung stets auch zur tieferen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand führte und dabei Fragen zuließ, die immerfort in allerhand ausführlichen Diskussionen über die politische Kultur der Gegenwart mündeten.
„Lotte live von der Nationalversammlung“ ist als Podcast bei iTunes, Spotify und Soundcloud abrufbar. Weitere Informationen finden sich unter: http://libellus.de/lotte-live/.