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Richard Grune, ein ausgebildeter Gebrauchsgraphiker, Student am Bauhaus in Weimar und Dessau sowie Sozialdemokrat und wurde in Berlin 1934 von der Gestapo verhaftet. Es begann eine Odyssee durch die Konzentrationslager Lichtenburg, Sachsenhausen und Flossenbürg bis zur Befreiung 1945. Grune gehört zur Generation der verschollenen Künstler_innen der Nachkriegszeit und sein Kunstschaffen kann dem Expressiven Realismus zugeordnet werden. Im Folgenden sollen die Fragen beantwortet werden: Wie kam es zu der Entstehung der Lithographien für die Wanderausstellung „Die Ausgestoßenen“? Welches Ziel verfolgte Grune mit seiner Ausstellungstätigkeit?
Richard Grune wurde ab 1930 antifaschistischer Zeichner für Zeitungen im In- und Ausland. 1932 begab er sich mit einem Journalisten namens Kaufmann nach Paris, mit dem er in französischen Zeitungen und Magazinen vor dem Nationalsozialismus in Deutschland warnte.Ein Jahr später zog er mit seinen Freunden Andreas Gayk, Karl Rickers und Niels Brodersen nach Berlin um. Er zog in eine größere Wohnung, die wahrscheinlich von seinem Gönner, dem Chemiker Professor F. Richter, finanziert wurde.
Ein Jahr später baten Gayk und Rickers den Künstler für die Unterhaltungsbeilage Kurze Pause der illegalen Wochenzeitschrift Blick in die Zukunft einige Graphiken zu erstellen.Sein weiteres Wirken für diese Zeitschrift fand ein Ende als er Anfang Dezember 1934 von der Gestapo verhaftete wurde, wegen einer veröffentlichten Photographie in einer ausländischen Zeitung und einem Verdacht auf Homophilie. Grune hatte im April des gleichen Jahres in seiner zentral gelegenen Atelierwohnung zwei Partys für homosexuelle Männer veranstaltet. In der Vernehmung am 5. Dezember begründete Grune das Zustandekommen der ersten Feier damit, dass ein Bekannter, der W. Löffel, seine Geburtstagparty bei ihm in der Wohnung veranstalten wollte. Die Gesellschaft bestand aus ca. acht Personen, darunter war als einzige Frau die Prinzessin von Bentheim. Sie war oft bei solchen Feiern anwesend und denunzierte später bei der Gestapo die Teilnehmer. Noch vor dem Strafverfahren überführte man Grune in das Konzentrationslager Lichtenburg, wo er bis Ende Mai/Anfang Juni 1935 verblieb. Wieder in Freiheit lernte Grune in Flensburg Arthur D. kennen, der für ihn Modell saß und mit dem er eine Beziehung führte. Als Wiederholungstäter wurde Grune am 4. September 1936 vom Landgericht Flensburg zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis in Neumünster verurteilt. Zum Ende seiner Haftzeit wurde er aber nicht entlassen, sondern wurde von der Gestapo auf unbestimmte Zeit in „Schutzhaft“ genommen. Er wurde in Sachsenhausen am 2. Oktober 1937 eingeliefert und lernte dort Robert Oelbermann kennen. Oelbermann veranlasste Grune dazu zwei Lagerliederbücher in einfachen, kleinen Schreibheften zu gestalten.Damit er ungestört arbeiten konnte, hatte Grune sich im Waschraum seines Blockes versteckt und wurde durch seine Kameraden aus dem Stehkommando geschützt. Sein nächster Aufenthaltsort wurde das KZ Flossenbürg, in das er Anfang April 1940 als Schutzhäftling mit Albert Christel, Heinz Heger und Erich Hellbig überführt wurde. In Flossenbürg wurde er in die Malerwerkstatt eingeteilt. Die Maler waren vordergründig für Beschriftungen sowie den Baracken- und Zimmeranstrich zuständig. Außerdem kamen Aufträge von den SS-Wächtern für Glückwunschkarten, Plakate, Porträts, Landschaftsbilder sowie Kopien von Gemälden bekannter Maler. Während der Haft schaffte es Grune zusätzlich in seiner wenigen freien Zeit zu zeichnen. Er illustrierte heimlich die von Albert Christel verfassten Texte. Später meinte Grune, dass er die Schikanen im Konzentrationslager nur überlebte „weil er sich zeichnend am Leben gehalten hat“ (Simon-Pelanda 2001, S.16). Im April 1945 wurde das Lager evakuiert und auf dem Todesmarsch nach Dachau wurde er befreit.
Nach der Befreiung 1945 gelangte Grune nach Kiel zu seiner Schwester Dorothea Cornelius, die ihm in Flensburg eine Wohnung und Arbeitsstätte verschaffte. Er fing gleich an seine Erlebnisse aus den Konzentrationslagern in einer grafischen Serie zu verarbeiten, die später in verschiedenen Städten ausgestellt wurde. In einem Brief an Pastor Meyer in Ladelund 1948 schrieb Grune über seine Werke, dass diese zur Aufklärung der Bevölkerung und eine Mahnung für die Zukunft sein sollten. Er zeichnete in dem für ihn ungewöhnlich großen Format auf Zeichen- und Packpapier, teils auf Bahnen in Raumhöhe. Nach der Fertigstellung der Bilder reiste Grune in Begleitung seiner Schwester Dorothea Cornelius und stellte seine Werke in der amerikanischen und britischen Besatzungszone aus. Die Durchführung erwies sich als eine schwere Angelegenheit, da es kaum Ausstellungsräume gab und man für die Überquerung der Besatzungszonen einen Passierschein brauchte.
Die Ausstellung „Die Ausgestoßenen“ wurde am 11. August 1946 im Beisein des Oberbürgermeisters von Erlangen, einigen Vertretern des öffentlichen Lebens, Mitgliedern aus Parteien und der Presse eröffnet. In seiner Ansprache wandte sich der Oberbürgermeister Hammerbacher an die Besucher: „Niemals mehr darf brutale Gewalt zur Herrschaft kommen. Niemals mehr der Weg der Demokratie verlassen werden.“Nach der Rede des Bürgermeisters führte Grune die geladenen Gäste durch die Ausstellung. Insgesamt waren für diese Ausstellung um die 35 Lithographien ausgewählt worden und für die Präsentation wurden verglaste Trennwände bei der Stadt Erlangen ausgeliehen. Im ersten Saal konnte man zwei große Friese studieren, die sich von den restlichen Arbeiten des Künstlers abhoben. Ferner waren neben Holzschnitten unter anderem die Lithografien Bock, Weihnachtserhängung im KZ Flossenbürg, Kostentzug, Gaskammer, Stacheldraht und Hasentreiben zu sehen. Am Ende der Ausstellung im September 1946 mussten die ausgeliehenen Trennwände zurückgegeben werden, dabei fiel auf, dass zehn Stück ohne Glas waren. Ein Hinweis über ein Attentat auf die Ausstellung jedoch fehlt. Bei der Recherche weshalb diese Ausstellung im August 1946 in Erlangen präsentiert wurde, obwohl schon in Nürnberg am 11. Januar 1946 die Lithografien den Bürgern gezeigt wurden, könnte der Fall Niemöller Ausschlaggeben gewesen sein. Ende Januar bis Mitte März 1946 wurde in der Münchner Zeitung über das Einschreiten nationalsozialistischer Studenten an der Erlanger Universität gegen die Rede des Pastors Martin Niemöller heftig diskutiert. Von der Bayerischen Staatsregierung wurden aus diesem Grund Maßnahmen beschlossen, diesem Verhalten entgegenzuwirken. Student_innen sollten auf ihre Gesinnung nochmals überprüft werden und falls Nachweise bestanden, dass sie sich bei nationalsozialistischen Kundgebungen beteiligten, sollte der Ausschluss von der Universität erfolgen. Die Ausstellung von Richard Grune im August sollte einen Abschluss in dieser Debatte bilden, indem sich Erlangen nochmals deutlich gegen erneute Vorkommnisse in dieser Hinsicht einsetzte.
Das Ziel dieser Wanderausstellung war es, die Deutschen (Täter_innen, Mitläufer_innen) im Sinne der Re-education aufzuklären.Wie es Prawitt in seinem Buch zum Kieler Kulturleben nach 1945 ausdrückte, bestand die Aufgabe der Kunst und Kultur „neue sittliche Werte zu vermitteln und zu festigen“ (Prawitt 1986, S. 16). Der erzieherische Gedanke der Wanderausstellung „Die Ausgestoßenen“ wurde in den Eröffnungsreden in verschiedenen Städten und in Zeitungsberichten immer wieder betont. Allerdings war die Reaktion der Besucher_innen eher negativ bis zurückhaltend. In Kiel wurde die Ausstellung zerstört und in Erlangen kehrten einige verglaste Wände beschädigt zurück.
Art. „Demonstration gegen Niemöller“, in: Die Neue Zeitung 9 (1946), S. 4.
Art. „Galerie des Grauens. KZ-Lithografien im Wassersaal“, in: Nürnberger Nachrichten, Erlanger Ausgabe 65 (1946), S. 7.
Art. „Kunst und deutsche Jugend“, in: Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung 2 (1946), S. 2.
Hauschke, Sven: Art. „Grune, Richard“, in: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker Bd. 63, München/Leipzig 2009, S. 470.
Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main: ISG Nachlass Albert Christel S1 91/61 bis S191/ 64.
Landesarchiv Berlin: LAB A Rep. 358-02, Nr. 31981–31992.
Muggenthaler, Thomas: Kunst als Überlebensmittel. Maler im KZ Flossenbürg. Manuskript zur Sendung Bayern–Land und Leute, München 1997.
Naujoks, Harry: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936–1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten. Bearbeitet von Ursel Hochmuth, Köln 1987, S. 175.
Poppe, Ulli und Marnau, Björn: „Unzucht zwischen Männern“. Strafrechtliche Verfolgung männlicher Homosexualität im Landgerichtsbezirk Flensburg, in: Schwensen, Broder u. a. (Red.): Ausgebürgert, ausgegrenzt, ausgesondert. Opfer politischer und rassischer Verfolgung in Flensburg 1933–1945 (= Flensburger Beitrage zur Zeitgeschichte 3), Flensburg 1998, S. 156–189.
Prawitt, Torsten: Kieler Kulturleben in der Trümmerzeit 1945–1948 (= Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 70), Kiel 1986, S. 15.
Rickers, Karl: Zur Ausstellung Niels Brodersen und Richard Grune im Stadtmuseum, in: Jensen, Jürgen (Hrsg.): Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Bd. 73, Kiel 1987, S. 123–128.
Rickers, Karl: Art. „Zeitzeugen. Der graphische Künstler Richard Grune“, in: AVS-Informationsdienst 4 (1988), S. 9–11.
Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920–1970 (= Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 24), Neumünster 1992, S. 98.
Schalch, Franz: Art. „Der Fall Erlangen“, in: Die Neue Zeitung 14 (1946), S. 4.
Simon-Pelanda, Hans: Kunst im KZ. Künstler im Konzentrationslager Flossenbürg und in den Außenlagern. Ihrer Stimme Gehör geben. Überlebendenberichte ehemaliger Häftlinge des KZ Flossenbürg, Bonn 2001.
Stadtarchiv Nürnberg: StadtAN C34 KuM Nr. 163.
Stadtarchiv Erlangen: Fach Nr. 279 Akt Nr.17p.
Sternweiler, Andreas: „…er habe sich zeichnend am Leben erhalten“. Der Künstler Richard Grune, in: Müller, Joachim und Sternweiler, Andreas (Hrsg.): Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000, S. 190–206.
Thompson, Lawrence: Art. „Reports from Abroad. Condition of the Germanisches Nationalmuseum“, in: The American-German Review 13 (1947), S. 26–27.