Der „GULag“, das System der Zwangs- und Besserungsarbeitslager, ist untrennbar mit der Zeit von Stalins Diktatur 1929 – 1953 verbunden. Dennoch empfiehlt es sich zu prüfen, welche Ereignisse „Stalinismus“ sowohl als historisch-politischer Begriff als auch als Epochalisierung fasst. Im Magazin „Praxis Geschichte“ vom Januar 2012 finden sich ausführliche Begriffsdiskussionen, Unterrichtsvorschläge und Weiterführendes rund um die politische Geschichte der Sowjetunion unter Stalin. Diese können einzeln oder im Ganzen als PDF heruntergeladen werden.
Karl Schlögel argumentiert im Basistext, dass der Terminus „Stalinismus“ vorerst nicht ersetzbar ist. Entstanden im innerparteilichen Kampf von Trotzki gegen Stalin während der 1920er-Jahre, hat die KPdSU den Begriff nach Stalins Tod genutzt, um ihr „System des Sozialismus“ von den „Fehlern“ des „Personenkults“ abzugrenzen. Bis heute hat sich Stalinismus durchgesetzt, um die sowohl ein politisches System als auch Zeitspanne von Stalins Sieg über seine Kritiker_innen, die „Revolution von oben“ bis zum 5. März 1953 zu kennzeichnen (S. 4).
Die Dimensionen des Terrors lassen ihre Deutung im Rahmen einer Totalitarismustheorie zunächst plausibel erscheinen. Industrialisierung und Kollektivierung lösten eine Hungersnot aus, der etwa fünf Millionen Menschen zum Opfer fielen. Während der großen Säuberungen der Jahre 1936/38 wurden rund 700.000 Menschen planmäßig ermordet. Der Gulag breitete sich über die gesamte Sowjetunion aus. Die „Doppelerfahrung der zwischen die deutsch-sowjetischen Fronten geratenen Völker“, die Shoah und die „quasigenozidalen Massentötungen“ unter Stalin (S. 8) dürfen aber nicht zu Vereinfachungen und Analogien führen, wo im Sinne historischen Lernens stattdessen die Unterschiede analysiert werden müssten.
Schlögel plädiert für eine Historisierung: Eine hochentwickelte bürgerliche Gesellschaft wie die des Deutschen Reiches lässt sich nicht mit einem agrarischen Schwellenland wie das Zaristische Imperium auf eine Stufe stellen. Zu begreifen ist die Ära Stalin als integraler Bestandteil der russischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das bolschewistische Regime führte einen Transformationsprozess eines traditionalen in ein modernes Imperium fort. Aber es konnte den Charakter eines Notstandsregimes nicht loswerden, sich nicht ohne Krieg nach außen legitimieren; Stalin ging konsequenterweise gegen jede autonome Bewegung präventiv vor.
Herwig Buntz liefert einen Unterrichtsvorschlag zur Zwangsmodernisierung der Sowjetunion. Es richtet sich an die Klassenstufen 9 bis 12, angesetzt sind zwei bis vier Unterrichtsstunden. Die Schüler_innen erarbeiten in Kleingruppen Ziele und Ergebnisse der „Revolution von oben“ in der SU in den Jahren 1929 bis 1933 anhand von Text- und Bildquellen sowie der Auswertung von Statistiken. Es wird deutlich, wie Stalin mittels des „Aufbaus des Sozialismus in einem Land“ zur unangefochtenen Alleinherrschaft gelangte. Zunächst vertrat er die „rechte“ Position um Nikolai Bucharin, der die bestehende Wirtschaft Russlands weiterentwickeln wollte. Dann schwenkte Stalin auf die „linke“ Seite Trotzkis, der einen Fünfjahresplan zur Modernisierung des Agrar- und Industriesektors forderte. Beide, führende Protagonisten der Oktoberrevolution, ließ Stalin später ermorden; die „Linken“ und „Rechten“ wurden im Konflikt über die richtige Modernisierung entmachtet.
Die Kollektivierung der Landwirtschaft in „Kolchosen“ sollte die Erträge steigern, Arbeitskräfte für die Industrie freisetzen und die politische Kontrolle über die Landbevölkerung verstärken. Dadurch wurde die Kampagne als Kampf gegen „Kulaken“, große und mittlere Bauern als vermeintliche „ausbeuterische Klasse“ geführt (S. 24). Im Widerstand gegen die Entkulakisierung gingen jedoch die Erträge und Viehbestände massiv zurück, wodurch es zu einer Hungerkatastrophe kam.
Im Mittelpunkt der Industrialisierung stand der Aufbau einer Schwerindustrie, der Rohstoffförderung, Elektrifizierung und die Schaffung von Verkehrswegen. Tatsächlich konnte die Sowjetunion in wenigen Jahren die westlichen Industriestaaten überholen. Stalin nutzte das für seine Propaganda, die hohen Kosten dieser Maßnahmen wurden dabei unterschlagen.
Sowohl die Basisbeiträge der Praxis Geschichte 1 /2012 zur historischen Begriffsbestimmung als auch die Arbeitsmaterialien zeichnen ein differenziertes Bild, fördern die Sach-, Analyse- und Urteilskompetenz. Weitere Themen sind z. B. Personenkult, Stalins Weg zur Macht, dessen Biographie im Vergleich zum Lebensweg Trotzkis, Bildpolitik; zusätzlich können Historiker_innenurteile heruntergeladen werden. Die Quellen sind pointiert ausgewählt; die Begriffsdiskussion empfiehlt sich zur knappen Aktualisierung des Forschungsstandes. Diese enthält zusätzlich ein kleines Glossar zum „GULag“ und zur „Totalitarismus-Theorie“, eine Zeittafel zu Stalin und ebenfalls Bildquellen mit detaillierter Angaben.
Download des Magazins: http://www.praxisgeschichte.de/heft/62120100/Ausgabe-Januar-Heft-1-2012-Stalinismus