Die Andreasstraße in Erfurt galt viele Jahrzehnte als Synonym für Verfolgung, Haft und Folter. Der Gefängnisbau im Zentrum der Stadt nahm bereits ab 1878 seinen Betrieb auf und wurde in den folgenden Jahrzehnten von den wechselnden Regierungen und Regimen als Haftanstalt genutzt. Während in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik in dem Gefängnis noch etwa 300 Häftlinge inhaftiert waren, sperrte man während der Zeit des Nationalsozialismus oft bis zu 400 Gefangene in die Zellen. Die Andreasstraße wurde zum Ort der Unterdrückung Andersdenkender, an dem der Terror und die Verfolgung seine schreckliche Realisierung fand. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der Gründung der DDR 1949 diente das Haus zunächst als Haftanstalt der regulären Polizei, wurde jedoch ab 1952 zusätzlich durch das Ministerium für Staatssicherheit genutzt. Während im Keller und im Erdgeschoss nach wie vor in erster Linie kriminelle Häftlinge einsaßen, dienten die beiden oberen Etagen als Haftstätte für politische Gefangene. Bis zur deutschen Vereinigung waren hier etwa 5.000 Personen, die aufgrund ihrer oppositionellen Haltung inhaftiert worden waren, inhaftiert. Doch heute, mehr als 25 Jahre später, steht der Ort nicht nur für die Verfolgung jener, die sich gegen das jeweilige herrschende System stellten und deshalb Verfolgung, Haft und Folter über sich ergehen lassen mussten. Er steht auch für den Widerstand selbst und schließlich für die zurückgewonnene Freiheit. Denn am 4. Dezember 1989 besetzten Erfurter Bürger_innen das Gebäude in der Andreasstraße im Zuge des demokratischen Umschwungs und nutzten die leer gewordenen Zellen zur Lagerung der sichergestellten Stasi-Unterlagen – es war die erste Besetzung einer Niederlassung der Staatssicherheit, weitere sollten in den kommenden Tagen und Wochen folgen.
Seit 2013 befindet sich in dem Gebäude des ehemaligen Gefängnisses eine Gedenkstätte, die an die vielschichtige und wechselhafte Geschichte des Ortes erinnern soll. Ein Blick auf die Website der Einrichtung zeigt jedoch, dass dabei in erster Linie dem letzten Kapitel, also jener Zeit gedacht wird, in der das Haus als Stasi-Gefängnis genutzt wurde. Ob dies ein Resultat der, auf der Website als „heftige Kontroversen“ bezeichneten Auseinandersetzungen um die inhaltliche Ausrichtung des Ortes ist, bleibt unklar. Der Begriff der doppelten Erinnerung – sonst oft in Zusammenhang mit Orten verwendet, denen im Kontext beider Regime eine strukturelle Bedeutung zukam, bezieht sich hier auf die Unterdrückung der Inhaftierten während der Zeit der DDR auf der einen Seite und auf die Geschichte der friedlichen Revolution auf der anderen. Dennoch bemüht sich die Gedenkstätte, die unter der Trägerschaft der Stiftung Ettersberg vom Freistaat Thüringen steht und von dieser in Kooperation mit Zeitzeugenverbänden und externen Fachleuten erarbeitet wurde, um einen multiperspektivischen Blick auf die Geschichte. Die 2013 eröffnete Dauerausstellung widmet sich auf verschiedenen Ebenen den drei Kernthemen Haft, Diktatur und Revolution, wobei sich die Besucher_innen hier von oben nach unten „vorarbeiten“ und jede Etage dabei für ein neues Kapitel in der Geschichte des Hauses steht. Das Ende bildet schließlich der an das historische Gebäude angeschlossene Neubau – ein Kubus, auf dessen schwarz-verspiegelter Fassade sich ein riesiger Comic im Stil einer Grafic Novel befindet – und in dem die Geschehnisse entlang des demokratischen Umschwungs des Jahres 1989 dargestellt werden.
Neben der Möglichkeit einer klassischen Führung bietet die Gedenkstätte auch einen Audioguide, der für drei Euro vor Ort ausgeliehen werden kann. In dem Guide führen Zeitzeug_innen die Besucher_innen durch die Gedenkstätte und laden auf einen Rundgang durch die Stadt ein, bei dem die wichtigsten Orte der friedlichen Revolution in Erfurt angesteuert werden. Des Weiteren bietet die Gedenk- und Bildungsstätte verschiedene pädagogische Angebote, die von Schulklassen und anderen Gruppen je nach Alter und Interesse genutzt werden können. Neben verschiedenen thematischen Führungen und Projekttagen gibt es hier auch die Möglichkeit, sich dem Thema beispielsweise im Rahmen eines Comic-Workshops oder durch die Produktion einer eigenen Radiosendung zu nähern. Zusätzlich zu den Angeboten vor Ort gibt es auch ein Buch zur Dauerausstellung sowie ein „Mitmachbuch“, mit dem sich Kinder ab sechs Jahren auf spielerische und kreative Weise mit der Thematik auseinandersetzen können. Beide Bücher können für eine Schutzgebühr von 7,50 bzw. 3 Euro sowohl in der Gedenkstätte erstanden als auch auf der Website bestellt werden.