Rassismus und Diskrimierungsstrukturen lassen sich in allen Gesellschaften und Institutionen finden. Inwiefern diese reflektiert, thematisiert und bekämpft werden, hängt von den politischen Akteur/innen, den Machtstrukturen und der partizipativen Tradition des jeweiligen Zusammenhangs ab. Das Magazin „Aus Politik und Zeitgeschehen“ (Apuz), das von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) herausgegeben wird, hat den deutschen Verhältnissen in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung eine Ausgabe gewidmet.
Die verschiedenen Beiträge der Publikation eröffnen sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Thema. Während einige Autor/innen sich um eine definitorische Einordnung der spezifischen Begrifflichkeiten und verschiedenen Phänomene bemühen, geben andere Texte einen Überblick über die historische Dimension des Rassismus in Deutschland und versuchen sich in einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation. Daneben ermöglichen weitere Beiträge einen kritischen Blick auf verschiedene Gegenstrategien und Interventionskonzepte, wobei stets zwischen staatspolitischen und gesellschaftspolitischen Ansätzen unterschieden wird.
Auf juristischer Ebene gilt Deutschland im Europarat und den Vereinten Nationen nicht als Vorzeigebeispiel einer gelungenen Antirassismusarbeit. Doch wo fängt eigentlich Rassismus an und welche Konsequenzen haben rassistische Strukturen für eine Gesellschaft? In einem kursorischen Beitrag bemüht sich Iman Attia um eine differenzierte Definition von Rassismus und den damit verbundenen Mechanismen. Dabei wird deutlich, dass gerade in der gegenwärtigen deutschen Mehrheitsgesellschaft Rassismus oftmals in der Vergangenheit und/oder in anderen Teilen der Welt verortet wird. Der Nationalsozialismus, das Apartheidsregime und die „Rassenunruhen“ in den USA der 1960-Jahre, werden in Deutschland heute als ferne Phänomene wahrgenommen, die als negatives Gegenstück zur demokratisierten Gesellschaft vor allem über sichtbare Kontinuitäten hinwegtäuschen. Ein Blick auf die deutschen Verhältnisse zeigt jedoch, dass Rassismus in Deutschland nicht überwundenes und erinnerungswürdiges Unrecht, sondern Realität und Alltag bedeutet.
Als Initialzündung rassistischer Denk- und Verhaltensstrukturen dienen gesellschaftliche Prozesse, die als Rassialisierungs- oder Kulturalisierungsprozesse bezeichnet werden. Dabei werden entweder biologistische oder kulturelle Erklärungsmuster herangezogen, um die vermeintliche Homogenität einer Gruppe in Abgrenzung zu einer anderen zu konstruieren. Das sogenannte Othering ermöglicht dabei die Entstehung eines „Wir“-Gefühls in Verbindung mit einer Dichotomisierung der „Anderen“. Als Beispiel eines solchen Othering-Prozesses verweist Attia auf die rassistische Haltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber Romnija und Roma, der historisch wie aktuell ebensolche Rassialisierungs- und Kulturalisierungsprozesse zugrunde liegen. Ein solcher Othering-Prozess ist denn auch in der selben Ausgabe im Beitrag Heiner Geißlers zu beobachten. In seinem Essay meint er zunächst eine Verschiebung der Hauptzielgruppe rassistischer Diskriminierung von der „Rassenapartheid“ zur „Geschlechterapartheid“ zu erkennen, um dann die Übeltäter in den „antiquierten Männergesellschaften der islamischen Welt“ zu suchen und zu finden. Das „Wir“ in Geisslers Beitrag, die demokratisierte und liberalisierte Welt des Westens, wird dadurch implizit als fortschrittlichere und moralisch integrere Gesellschaft dargestellt.
Seit 2006 findet sich mit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) der Tatbestand der Diskriminierung auch im deutschen Recht verankert. Die deutsche Regierung reagierte damit auf gemeinsame EU-Vorschriften, die eine dementsprechende Gesetzesgrundlage vorsahen. Zwar bildete die Einführung des deutschen Gesetzes vor sieben Jahren die Grundlage, um diskriminierendes Verhalten auf juristischer Ebene zu bekämpfen, doch entspricht das Gesetz nach Einschätzung der Europäischen Kommission nicht vollständig den europäischen Vorgaben. In der vorliegenden Publikation widmen sich gleich zwei Beiträge dem umstrittenen Gesetz. Während Jan Schneider und Ruta Yemane in ihrem Beitrag auf die konkrete Anwendbarkeit des AGG eingehen und gleichzeitig erläutern, welche Auswirkungen strukturelle Diskriminierung auf den Integrationsprozess von Migranten und Migrantinnen hat, zieht Aleksandra Lewicki eine (kritische) Zwischenbilanz. Nicht zuletzt durch einen Blick nach Großbritannien veranschaulicht sie die Mängel des deutschen Antidiskriminierungsgesetzes, das, so die Autorin, viele Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft außer Acht lässt.
Am Beispiel des Empowerment-Konzeptes erläutert Norbert Herriger die verschiedenen Handlungsperspektiven und Standpunkte auf ein bestimmtes Interventionsmodell. Während Empowerment von der Seite der Betroffenen als Prozess der Selbstbemächtigung und der Partizipation genutzt werden kann, verstehen andere das Konzept als Möglichkeit der professionellen Unterstützung eines Autonomiebestrebens. Dass ersteres von der Mehrheitsgesellschaft oft als identitätspolitische Desintegration wahrgenommen und entsprechend skeptisch betrachtet wird, kritisiert Kien Nghi Ha in seinem Beitrag. Statt Identitätspolitik von Seiten Betroffener per se kontraproduktiv abzuurteilen, sollte sie stattdessen lieber als eine Form der demokratischen Partizipation und der Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs verstanden werde, so der Autor.
Die Apuz-Ausgabe vereint sehr unterschiedliche Positionen und Autor/innen zu einem beispielhaften und aussagekräftigen Abbild der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit gegenwärtigem und historischem Rassismus in Deutschland. Dabei erweisen sich viele Beiträge als informative und differenzierte Blickpunkte auf gesellschaftliche Entwicklungen und Diskurse, während man in anderen Texten wiederum unreflektierte Reproduktionen rassistischer Denkstrukturen zu erkennen meint. Insgesamt bietet die Publikation einen differenzierten und multiperspektivischen Blick auf Rassismus in Deutschland und kann daher als sinnvoller Einstieg in die Thematik dienen. Die Ausgabe kann auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos heruntergeladen werden.