Oft waren es Überlebende des nationalsozialistischen Terrors, die zwischen den späten 1940er und den frühen 1960er Jahren in unermüdlicher Arbeit um die Dokumentation und Aufarbeitung der Vergehen der deutschen Diktatur kämpften. Viele fanden sich in ihrem gemeinsamen Kampf in Organisationen und Vereinigungen ehemaliger Verfolgter zusammen, die – teils auf nationaler, teils auf internationaler Ebene – versuchten, die Nachkriegsgesellschaften und allen voran die bundesdeutsche Gesellschaft zu einer Wahrnehmung der nationalsozialistischen Verbrechen zu bewegen. Einige ehemalige Häftlinge des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gründeten zu diesem Zwecke das Internationale Auschwitz Komitee (IAK), das im Schatten des Kalten Krieges zu einem einzigartigen Beispiel von grenzüberschreitenden Netzwerken und einer Brücke zwischen West- und Osteuropa wurde. Im IAK vereinigten sich zumindest für eine Zeitlang unterschiedliche Positionen und Sichtweisen – ehemalige Häftlinge, die explizit als Juden und Jüdinnen auftraten, kämpften gemeinsam mit früheren politischen Häftlingen gegen das Vergessen und für eine lückenlose Aufdeckung der Untaten der Nationalsozialisten. Allerdings machten die politischen Auseinandersetzungen jener Zeit und die konfligierenden Narrative und Deutungen von Auschwitz eine langfristige Zusammenarbeit unmöglich.
Hermann Langbein war einer der bekanntesten und bedeutendsten Protagonisten in der frühen Phase des Komitees. Von seiner Gründung im Jahr 1954 begleitete und beeinflusste er die Aktivitäten der Vereinigung bis in die 1970er Jahre zunächst als Generalsekretär (1954-1960) und später als „Beauftragter für SS- und Entschädigungsfragen“.
In dem Band verknüpft die Autorin Katharina Stengel biographische Eckpfeiler aus dem Leben Langbeins mit der Geschichte des IAK, die Langbein mit seinem unermüdlichen Wirken maßgeblich beeinflusste. Die Kontextualisierung zweier untrennbar miteinander verbundenen Geschichten erscheint entsprechend stimmig. Denn man kann „keine Geschichte des IAK schreiben, ohne eine Geschichte Langbeins zu schreiben, umgekehrt ist aber auch eine Biographie Langbeins undenkbar ohne die Geschichte der Organisationen, für die er tätig war.“ (S. 12) Im Mittelpunkt der Arbeit stehen aus diesem Grunde die Jahre zwischen der Gründung des Komitees 1954 und dem Ende des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess im Jahre 1965, in denen Langbein sich ganz und gar dem Kollektiv der ehemaligen Häftlinge im IAK verschrieben hatte. Um jedoch den Menschen Langbein nicht hinter diesem Kollektiv und dem dahinter stehenden Selbstentwurf des Aktivisten zu verlieren, gehen die biographischen Teile über diese fokussierte Zeitspanne hinaus und betrachten ebenso seine Zeit als Interbrigadist in Spanien, seine lange Internierung in Frankreich und die Zeit in den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz.
Neben der Bedeutung Langbeins für die Arbeit des IAK kann anhand der Darstellung seiner Person außerdem ein grundlegendes Problem des IAK und der damaligen Zeit nachvollzogen werden. Langbein – während seiner Zeit in Auschwitz politischer Funktionshäftling in höchster Position – galt im Westen als zu kommunistisch und im Osten als zu opportunistisch. So geriet er schließlich unmittelbar zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Auch seine Bemühungen um eine stärkere Repräsentation jüdischer Überlebender im Verband trugen nicht gerade zu einer Stärkung seiner Position im IAK bei. An der Biographie Langbeins können daher auch die Tragik des stetigen mehrheitsgesellschaftlichen Blockierens und die unüberwindbaren Differenzen der verschiedenen Akteur/innen im Kampf um Wahrnehmung, Aufarbeitung und Anerkennung abgelesen werden. Dem Verdienst des IAK, in diesem Umfeld eine öffentliche Thematisierung einzufordern und ein akzeptables Narrativ von Auschwitz als Vernichtungslager und Chiffre für die Leiden der Verfolgten und die Gräueltaten der Nationalsozialisten herauszubilden, wird durch den Band angemessen Rechnung getragen.
Die schriftlichen Quellen schöpft die Autorin des Bandes in großen Teilen aus dem privaten Nachlass Langbeins. Neben zahlreichen Korrespondenzen mit Privatpersonen, Verbandsvertretern und Behörden, Protokollen, Berichten und Buchhaltungsunterlagen finden auch eine Vielzahl an persönlichen Aufzeichnungen und Manuskripten Langbeins Eingang in die Publikation.
Die Autorin eröffnet in ihrer Arbeit drei wesentliche Perspektiven, aus denen die Arbeit Langbeins und des IAK betrachtet werden kann: Zum Einen versteht sie die Geschichte des Komitees als einen Aspekt des Kalten Krieges, dessen politische Umstände und Auswirkungen untrennbar mit den Aktivitäten des Komitees verbunden waren, und denen sich die einzelnen Akteur/innen nicht entziehen konnten. Des Weiteren können das IAK und andere Verfolgtenorganisationen als Orte der Selbstverständigung gesehen werden, in denen eigene Narrative herausgebildet und nach außen vertreten wurden. Die dritte Perspektive richtet sich auf die Absicht der ehemaligen Häftlinge, durch eine gemeinsame Interessenvertretung, Entschädigungen für die Opfer zu erwirken und die Strafverfolgung der Täter voranzutreiben. Um diesen Tätigkeiten Rechnung zu tragen, wird in dem Band die chronologische Darstellung durch drei Kapitel unterbrochen, die sich mit spezifischen Tätigkeiten des IAK und Langbeins befassen. Das erste Kapitel behandelt die Bemühungen und Verhandlungen des IAK um Entschädigungszahlungen durch Industrieunternehmen und bundesdeutsche Unternehmen. Das Zweite zeichnet die als im IAK- Sprachgebrauch „Kampf gegen die SS“ bezeichneten Anstrengungen einer intensiven Strafverfolgung der Täter nach. Das dritte Kapitel stellt schließlich die Arbeit des Komitees in Verbindung mit dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess dar, in dem Langbein als Zeuge und Prozessbeobachter auftrat.
Neben diesen Exkursen widmet Stengel ein Kapitel den Lebensstationen Langbeins bis zur Gründung des IAK, ein weiteres den verschiedenen Organisationsformen und Vereinigungen von NS-Verfolgten und drei weitere Kapitel der Organisationsstruktur und der internen Entwicklung des Komitees, wobei sich das letzte jener auf den Bruch Langbeins mit der Organisation und der damit einhergehenden Neuorientierung des IAK konzentriert.
Der Autorin ist mit dem Werk eine umfassende Darstellung der Gedächtnisgeschichte von Auschwitz in der Nachkriegszeit gelungen, die sowohl das Wirken Langbeins im IAK als auch die Arbeit des Komitees selbst angemessen würdigt. Neben der Beschreibung von Organisationsstruktur und Arbeitsweise des IAK und der Bedeutung Hermann Langbeins als eines seiner wichtigsten Protagonisten bietet die Autorin außerdem einen kursorischen Einblick in die Vielfältigkeit der Organisationsformen ehemaliger Verfolgter des NS-Regimes in verschiedenen Nachkriegsgesellschaften. Es wird deutlich, gegen welche Widerstände die Akteur/innen anzukämpfen hatten. Die Arbeit kann dementsprechend auf verschiedenen Ebenen als eine lohnenswerte Lektüre und ein wichtiger Forschungsbeitrag im Feld der erinnerungspolitischen Prozesse der Nachkriegszeit verstanden werden.