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„Und so entsteht hier ein gewaltiges soziales Werk, wie es die ganze Welt nicht kennt, und ein Glücksgefühl befällt alle die, denen früher marxistische Hetzer vorgaukelten, daß sie 'Enterbte' dieser Erde seien … .“
Robert Ley, Führer der deutschen Arbeitsfront, 1936 (Rostock/Zadniček, S.39)
„Dann habe ich gestern einen Einsatz mitgemacht. Wir sind 25 km durch den Wald gegangen und haben sämtliche Häuser angesteckt und in Flammen aufgehen lassen. … Um den Partisanen (Heckenschützen) keine Unterkunftsmöglichkeiten zu geben, werden alle Unterkünfte im Wald niedergebrannt. ... Wir waren 'Brandstifter' im wahren Sinne des Wortes. Partisanen haben wir nicht angetroffen, die Hunde sind verschwunden. Ich war gestern abend sehr müde nach dem 25 km Marsch durch dichten Wald und Matsch.“
Hermann Gieschen, Bataillonsfotograf des Reserve-Polizeibataillons 105, 1941 (Eiber 1991, S.77)
Die Geschichte des Gebäudekomplexes in Prora auf Rügen ist kompliziert und sperrig. Als „KdF-Seebad Rügen“ geplant, erinnert der Ort zuallererst an das Versprechen von Wohlstand und Aufgehoben-Sein, das der Nationalsozialismus den „Volksgenossen“ und „-genossinnen“ machte. Prora ist monumentale Erinnerung an die Attraktivität der scheinbar großzügigen Sozialpolitik des NS-Staates. „Kraft durch Freude“ war Teil einer Politik, die die Bevölkerung an das nationalsozialistische System binden sollte. Günstige Urlaubsreisen – vom Wanderausflug bis zur Schiffsreise – und kulturelle Veranstaltungen halfen insbesondere Arbeiter/innen über die politische Entrechtung hinweg, die das Regime ihnen in den ersten Jahren zumutete. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das KdF-Seebad Rügen nie in Betrieb ging. Nicht ein Urlauber hat hier bis 1945 seinen Fuß auf den Ostseestrand gesetzt, sieht man von den Teilnehmern/innen einiger BDM-Lager ab. Die Bedeutung des Ortes lag damals und liegt für die Erinnerungsarbeit bis heute in seinem propagandistischen Nutzen für das NS-Regime.
Die KdF-Anlage wurde zu Kriegszeiten aber durchaus genutzt – nicht als Urlaubsparadies wie vorgesehen, sondern als Ausbildungsort für Polizisten und Nachrichtenhelferinnen sowie als Lazarett. Weiterhin wurden Ausgebombte und Flüchtlinge in den halbfertigen so genannten Bettenhäusern untergebracht. Die nötigen Ausbauarbeiten mussten Zwangsarbeiter/innen verrichten, die vor allem aus Polen, der Ukraine und Russland auf die Insel Rügen verschleppt wurden. Sie wohnten in den unfertigen Rohbauten oder in Holzbaracken in unmittelbarer Nähe der Anlage. Hier wird eine andere Bedeutung des Ortes sichtbar: Prora ist auch ein Ort nationalsozialistischer Verbrechen. Insbesondere die Erfahrungen der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen spielen für die Erinnerungsarbeit heute eine zentrale Rolle. Daneben stehen Geschichten wie die des oben bereits genannten Bremer Kaufmanns Hermann Gieschen, der 1939 als Reservist zum Reserve-Polizeibataillon 105 einrückte. Das Bataillon wurde 1940 in Prora für den „auswärtigen Einsatz“ ausgebildet. 1941, unmittelbar nach dem Überfall, wurden sie in die Sowjetunion verlegt. Dort verübten Gieschen und seine Kameraden Kriegsverbrechen an der sowjetischen Zivilbevölkerung, insbesondere an Jüdinnen und Juden.
Diese Vieldeutigkeit im Rahmen von Bildungsangeboten aufzuzeigen, begreif- und besprechbar zu machen ist die Aufgabe, der sich das PRORA-ZENTRUM seit gut zehn Jahren stellt. In unterschiedlichen Formaten bietet der Verein verschiedenen Zielgruppen die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Geschichte von Prora. Ausgangspunkt sind dafür immer die Spuren vor Ort, das Sicht- und Erfahrbare. Wir versuchen, ein „forensisches Bewusstsein“ (Heyl 2012, S.3) zu entwickeln und – einem Kriminologen gleich – den Blick auf die Spuren zu richten, die die Geschichte hinterlassen hat. Die Themen unserer Rundgänge und Seminare ergeben sich aus der Topografie des Geländes und der Gestalt der Gebäude. Zur inhaltlichen Vertiefung ziehen wir Archivquellen sowie Berichte von Zeitzeugen/innen und Fotografien heran.
Durch diesen Ansatz rückt eine andere historische Dimension in den Fokus: das heutige Erscheinungsbild des Geländes und der geplanten KdF-Anlage ist maßgeblich durch die Nutzung nach 1945 geprägt. Bei den historischen Rundgängen durch das Gelände beim Block 5 richten wir den Fokus unter anderem auf die Sanitärräume in den Treppenhausbauten. Diese Sanitärräume fallen dadurch auf, dass die Fliesen in den verschiedenen Etagen unterschiedliche Größen und Farben haben. Den meisten Jugendlichen und Erwachsenen ist sofort klar, dass dies für das KdF-Bad so nicht vorgesehen gewesen sein kann. Die Erklärung findet sich vielmehr in der Nachkriegszeit: Ab 1952 waren in Prora bis zu 17.000 Mann der Kasernierten Volkspolizei (KVP) stationiert. Neben ihrer militärischen und polizeilichen Ausbildung hatten diese Männer die Aufgabe, die Rohbauten auszubauen und als Kaserne nutzbar zu machen. Weil zu dieser Zeit in der DDR die Baustoffe knapp waren, wurde dafür auf sämtliches Material zurückgegriffen, das zu haben war – unter anderem auf Fliesen in verschiedenen Farben.
Diese frühe Phase des Militärstandorts Prora ist von außerordentlich großer Bedeutung. Die Aufstellung und Kasernierung von ersten Polizeieinheiten erfolgte bereits zur Zeit der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und bildete den Beginn der Militarisierung der späteren DDR. Für diesen, in den ersten Jahren noch getarnten Aufbau einer neuen Armee war Prora einer der wichtigsten Standorte. Die 1956 gegründete Nationale Volksarmee (NVA) übernahm die dann weitgehend fertig gestellte Kaserne, die in Prora stationierten KVP-Einheiten gingen in die Armee über. Ab dann war Prora regulärer Standort der NVA, unter anderem befand sich hier das einzige Fallschirmjägerbataillon der DDR. Ab 1968 veränderte sich der Charakter des Standortes: Die Kampfeinheiten wurden nach und nach an die deutsch-deutsche Grenze oder in den Großraum Berlin verlegt. Stattdessen wurden in Prora militärtechnische Ausbildungseinheiten und eine Militärhochschule für ausländische Kader aufgebaut. So erreichte Prora als Ausbildungsstandort auch internationale Bedeutung. Militärs aus befreundeten Staaten, aber auch Mitgliedern der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) wurde hier theoretisches und praktisches Know-How vermittelt. Eine weitere Besonderheit in der Geschichte Proras bildet die Stationierung von Bausoldaten, den Waffendienstverweigerern in der DDR, deren Geschichte eng mit der der Oppositions- und Friedensbewegung verbunden ist. In den 1980er Jahren, als die Strategie der NVA-Führung vorsah, die Bausoldaten in größeren Einheiten zusammen zu fassen, wurde Prora zu einem der größten Bausoldaten-Standorte der DDR. Die jungen Männer, die auf der Baustelle des Fährhafens Mukran arbeiten mussten, waren im Block 5 untergebracht, in dem sich heute die Jugendherberge und das PRORA-ZENTRUM befinden.
Für die Einordnung des historischen Ortes Prora ist die DDR-Zeit von zentraler Bedeutung und entsprechend kann sich die pädagogische Arbeit an diesem Ort nicht auf eine einzige historische Epoche beschränken. Prora erschließt sich erst, wenn man sowohl Kenntnisse über die NS-Zeit hat, in der das Gebäude geplant und errichtet wurde, als auch über die Nutzung zu SBZ- und DDR-Zeiten. Insofern praktiziert das PRORA-ZENTRUM in seiner Bildungsarbeit einen Ansatz, der die Zeit von 1933 bis heute umfasst und in dem die Grundsteinlegung am 02. Mai 1936 ebenso vorkommt, wie die Verweigerung des Gelöbnisses durch Bausoldaten in den 1980er Jahren. In dieser übergreifenden Perspektive liegt die Chance für die Teilnehmer/innen im Rahmen von Projekten und Veranstaltungen ein Bewusstsein für historische Kontinuität und Brüche zu entwickeln und zu einem umfassenderen Verständnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu gelangen. Das macht die Arbeit sehr anspruchsvoll, die Ergebnisse der historisch-politischen Bildungsarbeit des PRORA-ZENTRUMs zeigen aber, dass sich die Anstrengung lohnt. Ein Beispiel für die übergreifende Bearbeitung der NS- und DDR-Geschichte in einem Projekt ist die Schülerzeitung „Sweden and Germany - Interrelations during the centuries“. Schüler/innen aus Bergen auf Rügen und Kalmar, Schweden forschten in diesem Projekt zu den Geschichten ihrer Regionen und setzten sich mit den deutsch-schwedischen Beziehungen im 20. Jahrhundert auseinander. Mehr Informationen zu der Zeitung sind auf der Website von PRORA-ZENTRUM zu finden.
Eiber, Ludwig, „.. ein bißchen die Wahrheit“. Briefe eines Bremer Kaufmanns von seinem Einsatz beim Reserve-Polizeibataillon 105 in der Sowjetunion 1941, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 1/91, S. 58 - 83.
Heyl, Matthias, „Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr ...“ – von der schwierigen Balance gedenkstättenpädagogischer Arbeit an den Orten nationalsozialistischer Massenverbrechen am Beispiel Ravensbrück. Manuskript zum Vortrag auf der Internationale Tagung „Diesseits und jenseits des Holocaust. Aus der Geschichte lernen in Gedenkstätten“ in Wien, 15. - 17.09.2011.
Rostock, Jürgen/ Zadniček, Franz, Paradiesruinen. Das KdF-Seebad der Zwanzigtausend auf Rügen, Berlin 2008, 8. Auflage.