Für den projektorientierten Unterricht hat der Landesverband Hessen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. eine pädagogische Handreichung herausgegeben, die Projektmöglichkeiten auf Kriegsgräberstätten aufzeigen will. Die Publikation richtet sich gezielt an Pädagoginnen und Pädagogen, die Kriegsgräberstätten als Lernort in ihre Arbeit einbinden möchten. Beispielhaft geschieht dies anhand von Projekten, die in dem Ort Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis stattgefunden haben. Diese Schwerpunktsetzung entstand durch ein wissenschaftliches Forschungsprojektes des Volksbundes, das sich bereits mit dem so genannten Ehrenfriedhof Schlüchtern befasst hatte.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist seit Ende des Ersten Weltkrieges staatlicherseits mit der Aufgabe beauftragt, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Die Jugendarbeit des Volksbundes verfolgt das Ziel, junge Menschen mithilfe der Arbeit an Kriegsgräbern für die Folgen von Krieg und Gewalt zu sensibilisieren. Hierzu betreibt er eine eigene schulische und außerschulische Jugendarbeit und unterhält vier Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten.
Unter dem Titel „Arbeit für den Frieden“ gibt das erste Kapitel eine Übersicht über die Aufgabenbereiche des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Cornelia Meyer stellt in ihrem Beitrag die Nutzung von Kriegsgräberstätten als außerschulische Lernorte vor. Sie verdeutlicht zunächst die Unschärfe von Begriffen wie „Kriegstoter“, „Kriegsopfer“, „Soldatenfriedhof“ oder „Kriegsgräberstätte“, weil sie die Unterschiedlichkeit der dort beerdigten Menschen verdecken. Kriegsgräberstätten sind Sammelfriedhöfe auf die aus meist praktischen Erwägungen kurz nach dem Krieg alle Opfer des Krieges zusammen umgebettet wurden. Sie beherbergen somit sowohl zivile wie auch militärische Opfer des Krieges, Täter, Mitläufer und Regimegegner, deutsche und nicht-deutsche Opfer wie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, Tote der beiden Weltkriege, aber auch Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ab 1933. Diese Diversität stelle laut Meyer nun gerade den Wert einer Kriegsgräberstätte für die Bildungsarbeit dar, macht er doch die Unterschiedlichkeit der Opfer und Täter des Krieges deutlich und wirft somit Fragen auf. Kriegsgräber sind dabei ein konkret fassbarer Ort, der die Jugendliche mit Einzelschicksalen konfrontiere. Dieser Ort biete zudem die Möglichkeit, sich auf regionaler oder lokaler Ebene mit Geschichte auseinanderzusetzen und bei der Recherche beispielsweise nach Einzelschicksalen grundlegende historische Methodenkenntnisse wie Arbeit mit Quellen und Zeitzeugengespräche zu erlernen. Das „Forschungsprojekt zur historischen Aufarbeitung ausgewählter Kriegsgräberstätten in Hessen“ - vorgestellt in dem Beitrag von Ute Hollingshaus – bietet den Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort. Aufbauend auf die Erkenntnisse aus diesem Projekt können mit Schülerinnen und Schülern weiterführende Recherchen initiiert und Archivbesuche, Zeitzeugenbefragungen, Gedenkstättenbesuche und ähnliches organisiert werden.
Die vorliegende Publikation dokumentiert Ideen und Methoden, die auf dem Schlüchtener Friedhof durchgeführt wurden. Hintergrundinformationen und Materialien ergänzen diese. Die vorgestellten Methoden können als Leitfaden dienen, um ähnliche Projekte mit Jugendlichen auch an anderen Kriegsgräberstätten durchführen zu können.
Weitere Artikel bieten eine Einführung in den exemplarisch gewählten regionalen Kontext und informieren über Kriegsgräberstätten im Main-Kinzig-Kreis im Allgemeinen und über die Kriegsgräberstätte Schlüchtern im Besonderen. Ein eigenes Kapitel ist den verschiedenen Gruppen von Menschen, die auf dem Friedhof Schlüchtern beigesetzt wurden gewidmet. Es nennt Namen und Schicksale der Toten und verdeutlicht die Spannbreite der hier vertretenen Einzelschicksale, die sowohl Angehörige des Militärs als auch Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und zivile Opfer des Krieges umfasst. Ein weiteres Kapitel bietet allgemeine historische Hintergrundinformationen zum System der nationalsozialistischen Konzentrationslager, zur Waffen-SS, sowie zu Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen.
Das Kapitel „Projekttage auf der Kriegsgräberstätte Schlüchtern“ dokumentiert Ideen und Methoden und bietet Anregungen für die pädagogische Arbeit auf anderen Kriegsgräberstätten. Die Publikation empfiehlt dabei die Arbeit mit Kriegsgräberstätten ab der 9. Jahrgangsstufe, da grundlegendes Wissen über Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg vorhanden sein muss. Vorgeschlagen werden verschiedene Einführungsszenarien wie die selbstständige Entdeckung mit Hilfe eines Beobachtungsauftrags oder ein Fragebogen, der als Kopiervorlage vorliegt und in leicht abgeänderter Form auch für andere Kriegsgräberstätten verwendet werden kann. Zugeschnitten auf den Ort Schlüchtern sind einige Quellenmaterialien, die versehen mit Arbeitsaufträgen in der Publikation zur Verfügung gestellt werden. Für Projekte an anderen Orten kann diese Zusammenstellung eine Anregung bieten, welche Themen und Zugänge von den Schülerinnen und Schülern selbst recherchiert werden können. Einige Bausteine wurden durch Erweiterungen für die gymnasiale Oberstufe ergänzt. Hintergrundinformationen zu Schlüchtern soll Lehrerinnen und Lehrer ermuntern selbst eine Führung über die Kriegsgräberstätte und durch die Stadt machen zu können. Weitere vorgeschlagene Bausteine sind Archivrecherche zur nationalsozialistischen Berichterstattung, Befragung von Passanten, Zeitzeugengespräche, die Erstellung einer Landkarte der Region während des Nationalsozialismus, Pflegearbeiten auf dem Friedhof oder eine umfangreiche Recherche zu Schicksalen von Toten aus dem eigenen Ort, die auf Gräbern in anderen Ländern begraben sind.
Die Broschüre bietet eine Einführung in die pädagogische Arbeit mit Kriegsgräbern, verdeutlicht die Arbeit des Volksbundes und zeigt Möglichkeiten der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg anhand von Kriegsgräbern auf. Diese Herangehensweise kann Anstoß geben, sich in der pädagogischen Arbeit einem Lernort zu nähern, der vermutlich von vielen nicht als ein solcher wahrgenommen wird. Für Lehrerinnen und Lehrer der Region um Schlüchtern oder aus Hessen bietet die Publikation zudem ein sehr umfangreiches Quellenmaterial und viele Hintergrundinformationen an. Für alle anderen können die in Schlüchtern umgesetzten Ideen als Anregungen dienen. Die umgesetzten Bausteine geben einen Eindruck wie etablierte Methoden der Projektarbeit auf lokale Kriegsgräberstätten übertragen werden können.
Die Broschüre kann kostenlos beim Volksbund bestellt werden oder als pdf-Dokument von der Homepage des Vereins herunter geladen werden.