Die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ befasst sich mit dem gesamten Bereich der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung. Inhaltlich werden zu einem bestimmten Thema Aufsätze und Diskussionsbeiträge veröffentlicht. Der Titel der aktuellen Ausgabe heißt: „Geschichte, Emotionen und visuelle Medien“.
Der einführende Artikel Geschichte, Emotionen und Macht der Bilder stammt von den Herausgeberinnen Ute Frevert und Anne Schmidt. Ausgehend vom Aufschwung eines allgemeinen historischen Interesses analysieren die Autorinnen die Diskussion um Emotionen und visuelle Medien in der Geschichtswissenschaft. Die kritische Geschichtswissenschaft störe sich an diesen Entwicklungen zum einen aufgrund der Befürchtung zu mythischer Sinnbildung und zum anderen würden Emotion und Suggestion eine Verdrängung des Begreifens und Erklärens von Geschichte forcieren. So würden Gefühle zwar den Prozess der Beschäftigung mit Geschichte begleiten, aber als Erkenntnismittel seien sie ungeeignet. Diese Aussagen wurden begleitet von Thesen, die besagen, dass visuelle Medien zur Emotionalisierung dienen und sich damit die Vorbehalte gegenüber Gefühlen in der Geschichtswissenschaft bestätigen würden. Die Autorinnen des Zeitschriftenartikels überprüfen diese Aussagen kritisch, indem sie nach der Ursache der Bedenken von verschiedenen Historikerinnen und Historikern und der Berechtigung dieser Aversion fragen. Außerdem schauen sie auf den Erkenntniswert von Ausstellungen, die bewusst emotionalisieren. Zur Debatte steht dabei die Frage: Welche Rolle spielen Emotionen bei der Repräsentation von Geschichte? So greifen sie auch den Diskurs um das Geschichtsfernsehen auf und dekonstruieren die Annahme, dass visuelle Medien eine stark emotionalisierende Wirkung auf das Publikum haben müssen. Sie fordern, die beschriebenen Emotionalisierungsprozesse zu untersuchen und als Forschungsgegenstand ernst zu nehmen. Daher steht am Schluss ein Plädoyer an die Erforschung von Erinnerungs- und Gedenkkultur, Gefühle als analytische Kategorie und Untersuchungsgegenstand mit einzubeziehen. Darüber ließen sich die wandelnden emotionalen Funktionen bei der Entstehung, Verbreitung und Aneignung von historischem Wissen und Erkenntnissen mit dem Ziel erfragen: „Grundannahmen über Geschichtsrepräsentationen, Emotionen und visuelle Massenmedien kritisch zu hinterfragen, anstatt vorgängige Deutungsmuster unreflektiert fortzuschreiben.“ (S. 24)
Jens Balzer und Ole Frahm skizzieren in ihrem Artikel die Darstellung von Gefühlen in Comics beginnend mit dem Jahr 1900 bis in die Gegenwart. Die Autoren konstatieren, dass die akademische Comic-Forschung bislang die sich bei dieser Thematik nahezu aufdrängenden Fragen zu den im Comic dargestellten Gefühlen und den dadurch ausgelösten Emotionen nicht beantworten könne.
Die Autoren zeigen anhand von exemplarisch ausgewählten Comics die Möglichkeiten der emotionalen Darstellung und Emotionalisierung. Der erste Teil der Analyse bezieht sich auf amerikanische Zeitungscomics bis in die 1940er Jahre, mit denen charakteristische Erscheinungsformen dieses Mediums entstanden, eben auch die Darstellung von Gefühlen und Emotionalisierungsstrategie. Thematisch zeichnen sich diese Comics durch reflektierte Zeitzeugenschaft aus und thematisieren weniger die breite Darstellung von historischen Ereignissen. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie Comics zur Geschichtserzählung wurden und weniger aktuelle Bezüge aufgriffen. Als stilprägend wird hier Art Spiegelmans „Maus“ beschrieben. Der Holocaust wird auf eine Art und Weise dargestellt, wie es bis dahin nicht vorstellbar war. Die Emotion, die in diesem Comic bestimmend ist, ist die Trauer um die Ermordeten. Diese Bedrücktheit wird nicht nur erzählt, sondern auch visualisiert, zum Beispiel wenn die Figuren Köpfe hängen lassen. Durch die figürliche Darstellung der Personen wird offen gehalten mit welchen Gefühlen die Leserinnen und Leser dieser Erzählung begegnen. Neben „Maus“ werden unter anderem die Comics von Joe Sacco „Palästina“ und Marjane Satrapi „Persepolis“ vorgestellt und analysiert.
Über die emotionale Dimension von Gedenkstätten und den Umgang von Jugendlichen mit dem Holocaust schreiben in der vorliegenden Zeitschrift Aleida Assmann und Juliane Brauer. Ihre Ausführungen beginnen sie mit der Feststellung, dass eine Konfrontation mit dem Holocaust immer emotional geprägt, aber die Intensivität der Emotion der nicht mehr unmittelbar Betroffenen schwer zu erfassen ist. Daraus erschließt sich die grundsätzliche Erörterung des Zusammenhangs von Emotionen und dem Holocaust. Der Umgang mit diesen Gefühlen ist bisher wenig empirisch und systematisch untersucht worden. Außerdem wird nach dem Stellenwert der Gefühle der Besuchenden und dem Umgang gefragt. Der Artikel setzt sich grundsätzlich mit diesen Fragen auseinander und entwickelt dazu im ersten Teil theoretische Grundlagen, mit Hilfe derer die Beziehungen zwischen historischer Imagination, Erfahrungen und Emotionen erörtert werden können. Danach widmen sie sich der Neugestaltung der „Station Z“ auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen und Videos von jugendlichen Gedenkstättenbesucher/innen, die auf die die emotionale Verarbeitung des Besuches hin untersucht werden. Der letzte Abschnitt bezieht sich auf lebensgeschichtliche Interviews mit Holocaust-Überlebenden aus dem Visual History Archive. Dabei liegt der Fokus sowohl auf der pädagogischen Arbeit mit den Video-Interviews, als auch auf der Produktion von eigenen Interviews durch Jugendliche.
Resümierend steht die Erkenntnis, dass Jugendliche auch vor ihrer Auseinandersetzung mit dem Holocaust Gedächtnisbilder zu dieser Thematik besitzen. Diese bilden die Grundlage für die aktuelle Erfahrung. Die Autorinnen plädieren für eine Erfassung der Besucher/innen als Menschen, die zu emotionalen Begegnungen mit der Vergangenheit immer emotional geprägte Bilder mitbringen.
Neben diesen Aufsätzen beschreibt der Autor Billie Melman die Entwicklung von visueller Kultur in Großbritannien über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg. Besonderen Fokus legt er dabei auf die Darstellung von Gewalt und Horror. In einem weiteren Kapitel der Zeitschrift betrachtet Cornelia Brink den Zusammenhang zwischen Fotografie und Emotionen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Gefühlen der Bildbetrachter/-innen und fordert den Blick dieser Subjekte wahrzunehmen und zu erforschen.
Die ersten beiden Artikel der vorliegenden Zeitschrift gestalten sich als theoretische Betrachtungen. Darauffolgend werden Formen der Geschichtskultur zur Thematik Emotionen untersucht, die einen praktischen Bezug haben. Es handelt sich hierbei um eine wissenschaftliche Zeitschrift zur historischen Sozialwissenschaft, die keine klaren Handlungsempfehlungen bietet, aber das Problemfeld der Emotionen und visuellen Medien auf differenzierte Weise aufgreift.
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