Der Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain ist ein besonderer Ort der Demokratiegeschichte. Seit mehr als 175 Jahren finden hier Gedenkfeiern und Kundgebungen statt, werden Freiheits- und Menschenrechte eingefordert. Bis heute sind der Friedhof der Märzgefallenen und die Erinnerung an die Revolution von 1848/49 umkämpft, gibt es „verschiedene Ansprüche auf den Friedhof und auf das Vermächtnis der hier Beerdigten“ (Thijs 2024: 245). Diese Mehrdeutigkeit spiegelt sich in den sich überlagernden Schichten des komplexen Gartendenkmals.
Der folgende Beitrag beleuchtet schlaglichtartig die Entstehung des Friedhofs der Märzgefallenen in der Revolution 1848/49 und die Entwicklung der Gedenkkultur. Im zweiten Teil werden Methodik und Schwerpunkte der historisch-politischen Bildungsarbeit des Gedenkortes vorgestellt.
„[...] dass die Erinnerung an die gestrige Bestattungsfeier als eine der großartigsten Kundgebungen der Volksgesinnung [...] in der Geschichte des deutschen Vaterlandes auf ewige Zeiten fortleben wird.“ (Erklärung des Bestattungs-Comites vom 23.03.1848)
Wie eine Lawine breiteten sich revolutionäre Explosionen ab Februar 1848 in ganz Europa aus. Die Berliner Barrikadenkämpfe am 18. März zwischen Bevölkerung und Militär waren im europäischen Vergleich besonders blutig (Clark 2023: 436–448, 474–476). Augenzeugen berichteten von der Brutalität und Grausamkeit des viel besser ausgerüsteten Militärs. Als der preußische König am 19. März den Rückzug der Soldaten befahl, hatten mehr als 150 Revolutionär:innen ihr Leben verloren. Weitere starben in den nächsten Tagen und Wochen an den erlittenen Verletzungen (Hachtmann 2022: 34–41; Kitschun 2023: 50f.).
Die Totenfeier auf der Friedrichshöhe bei Berlin, Kundgebung 04.06.1848. Quelle: AKG images, AKG71440.
Für die in den Barrikadenkämpfen Gefallenen bestimmte ein Bestattungskomitee aus Mitgliedern von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung einen religiös neutralen Ort: den ersten kommunalen Park Berlins, den „Friedrichshain“. Durch seine erhöhte Lage auf einem Hügel vor den Toren der Stadt war der Begräbnisplatz weithin sichtbar. Überlegungen einer gemeinsamen Beisetzung von Revolutionär:innen und Soldaten wurden wegen starkem Widerstand aufgegeben (Kitschun 2023: 52).
Bereits vier Tage nach den Barrikadenkämpfen fand am 22. März die Beisetzung von 183 Aufständischen unter gewaltiger Anteilnahme der Bevölkerung statt. Später wurden auf dem Friedhof nur noch die Toten beigesetzt, die erst später an ihren bei den Kämpfen erhaltenen Wunden verstarben, insgesamt 255 Tote.
Anders als damalige Parlamente wie etwa die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche, die Frauen als Abgeordnete ausschlossen und von (groß-)bürgerlichen Männern dominiert wurden, steht der Friedhof der Märzgefallenen für die breiten Bevölkerungsschichten, die die Revolution von 1848 trugen, und „die soziale und geschlechtliche Diversität der revolutionären Akteure“ (Gatzka 2023: 7).
Rund 85 Prozent der auf dem Friedhof der Märzgefallenen beerdigten Toten waren Menschen ohne Vermögen und ohne anerkannte politische Stimme, vor allem verarmte Handwerker, Gesellen, Lehrlinge, Dienstmädchen und Arbeitsleute. Mehr als ein Drittel waren junge Menschen unter 24 Jahren, die nach damaligem Recht noch nicht volljährig waren. Auch elf Frauen waren unter den Toten, außerdem überproportional viele jüdische Menschen – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil.
„Hier ruht die große Schaar der Todten, die der Stahl der Despotie erwürgt.“ (Im Friedrichshain, Gedicht, in: Zum 18. März, Berlin 1895: 2.)
Jenseits der individuellen Trauer fanden am Friedhof von Beginn an politische Kundgebungen statt, erstmals im Juni 1848. Nach der Niederschlagung der Revolution war der Zugang zum Friedhof in den 1850er Jahren erschwert, zeitweise sogar komplett abgesperrt.
Als er nach Protesten von Angehörigen 1861 wieder geöffnet wurde, blieb er ein Ort der Opposition. Mitglieder der Arbeiter:innenbewegung, Sozialdemokrat:innen und Linksliberale verbanden ihr Gedenken mit der Ablehnung des preußischen Obrigkeitsstaats. Die preußische Polizei ihrerseits kontrollierte und kassierte mitgebrachte Kranzschleifen, verbot das Halten von Reden und sogar das Singen (Kitschun 2023: 60f.).
Im November 1918 beschloss die Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte die Bestattung der Toten der neuen Revolution auf dem Friedhof der Märzgefallenen. Es war die erste Zubettung seit 1848. Insgesamt 29 Tote aus dem November und Dezember 1918 wurden auf dem Revolutionsfriedhof beerdigt – allerdings nicht die Toten der Januar- und Märzkämpfe 1918, wie es der Magistrat entschied. Darin spiegelte sich die zunehmende Spaltung der Arbeiter:innenbewegung nach der Gründung der KPD (Gaida/ Kitschun 2021: 26–47).
In der Weimarer Republik wurde der Friedhof zum Ort offiziellen staatlichen Gedenkens. An der Einweihung des ersten repräsentativen Eingangstores im Jahr 1925 nahm auch der Berliner Polizeipräsident teil. Weiterhin war es besonders die Arbeiter:innenbewegung, die gedachte. Sozialdemokraten und Kommunisten hielten getrennte Feiern ab, ebenso die Deutsche Demokratische Partei (Feier bei den Märzgefallenen 1925; Klemm 2007: 223–244).
Im Nationalsozialismus verfiel der Friedhof. Zum 100. Jahrestag der Revolution wurde der Friedhof grundlegend instandgesetzt. Das entschied der Berliner Magistrat noch gemeinsam, dann geriet das Jubiläum zur ersten deutsch-deutschen geschichtspolitischen Auseinandersetzung und wurde getrennt gefeiert.
Der Friedhof, der in der sowjetischen Zone lag, wurde stark überformt, das zentrale Gräberfeld wich einer Rasenfläche mit einem Gedenkstein im Zentrum und Platz für größere Aufmärsche. Erhaltene Grabzeichen wurden umgestellt, einige sogar vergraben. Sie sind im Boden des Friedhofs bis heute überliefert. Das kollektive Gedenken an die Toten der Revolution 1848 stand im Vordergrund (Kitschun 2023: 62).
Gedenkfeier mit Pionieren und Kampfgruppen, 18.03.1958. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-53851-0001.
In der DDR wurde zum 40. Jubiläum der Revolution 1918/19 der Bereich der Gräber von 1918 umgestaltet und entindividualisiert.
1961 wurde die überlebensgroße Bronzestatue ‚Roter Matrose‘ aufgestellt. Diese Umgestaltung nach den geschichtspolitischen Zielen der SED ist bis heute erhalten und steht unter Denkmalschutz. Sie fokussiert das Gedenken optisch auf die revolutionäre Volksmarinedivision von 1918. Beim Gedenken zu DDR-Zeiten waren erstmals bewaffnete Soldaten auf dem Friedhof präsent sowie ebenfalls bewaffnete Mitglieder der sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse (Kitschun 2024: 85–91, 100).
Nach einer Art Dornröschenschlaf ab den 1980er Jahren ist der Friedhof seit 2009 unter Trägerschaft des Paul Singer Vereins ein lebendiger Gedenk- und Ausstellungsort.
Angesichts aktueller Gefährdungen der Demokratie kommt dem Erinnern an demokratische Aufbrüche breiter Bevölkerungsschichten wie in der Revolution 1848/49 mehr Gewicht zu. Am Friedhof der Märzgefallenen manifestiert sich diese Aufmerksamkeit für Demokratiegeschichte gleich zweifach:
Bis 2028 entsteht ein Besuchszentrum, finanziert vom Deutschen Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus.
Die Zahl der Besuchenden und die Nachfrage nach historisch-politischen Bildungsangeboten sind stark gestiegen.
Dem Historiker Krijn Thijs zufolge hat der Friedhof „eine erstaunliche Karriere erlebt, die stets von Fragen nach seiner künftigen Ausgestaltung und seinem Potential für die politisch-pädagogische Bildungsarbeit begleitet wird“ (Thijs 2024: 1). Als inhaltlicher Schwerpunkt leistet die Bildungsarbeit nicht nur einen Beitrag zur aktiven Erinnerung an die Revolution 1848/49, sondern regt zudem zur Auseinandersetzung mit der heutigen Demokratie an und kann das Vertrauen in diese fördern. Dieser Fokus auf Demokratie als Leitmotiv knüpft direkt an die herausragende demokratiegeschichtliche Bedeutung des Friedhofs an.
Jugendliche in Deutschland sind laut Studien überdurchschnittlich zufrieden mit der
Demokratie (IU Internationale Hochschule 2023: 1). Gleichzeitig erleben sie Schulen
selten als Orte demokratischen Lernens und empfinden politische Bildung als unterbewertet, was langfristiges Engagement erschwert (Sinus-Institut 2024: 306).
Die historisch-politische Bildungsarbeit des Friedhofs der Märzgefallenen als außerschulischer Lernort knüpft an seine lange Tradition als Ort politischer Kundgebungen an: Er dient als Reflexions- und Aushandlungsraum zu Fragen des Umgangs mit und Erinnerung an die Geschichte in der Gegenwart. Die Vermittlung ist in diesem Sinne explizit eine historisch-politische und soll anregen, sich kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen (Chmiel/Farber 2024: 140).
Schüler:innen-Workshop am Gedenkstein, Sommer 2024. Quelle: Paul Singer Verein.
Die Revolution 1848/49 steht derzeit im Mittelpunkt der Vermittlungsangebote. Im Jahr 2025 und 2026 ist dieses Kapitel der Demokratiegeschichte in Berlin Prüfungsschwerpunkt im Abitur bei Grund- und Leistungskursen Geschichte. Der Friedhof der Märzgefallenen ist der einzige außerschulische Lernort in der Hauptstadt, der schwerpunktmäßig zum Thema arbeitet. 2024 besuchten rund 100 Schulkassen Workshops und Führungen am Gedenkort. Dieser außergewöhnliche Zuwachs von etwa 250 Prozent gegenüber den Vorjahren ist auch auf die Aktivitäten zum 175. Jahrestag der Revolution zurückzuführen.
Der Ort selbst erinnert in seiner heutigen Form nur noch entfernt an den ursprünglichen Friedhof von 1848. Seine bescheidene Erscheinung steht im Kontrast zu seiner herausragenden historischen Bedeutung. Die Mehrdeutigkeit und Überlagerung der historischen Schichten stellt eine didaktische Herausforderung dar, bietet aber mit Blick auf die geschichtspolitische Vereinnahmung des Friedhofs auch Potenzial in der Bildungsarbeit.
Die Ambivalenzen und Widersprüche der historischen Ereignisse müssen adäquat dargestellt werden, um ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu fördern. Das erfordert Vermittlungsmethoden, die sowohl die Komplexität der historischen Prozesse als auch die unterschiedlichen Perspektiven der damaligen Akteur:innen berücksichtigen.
Die Workshops folgen den drei Strukturelementen der Einstiegs-, Erarbeitungsphase und Ergebnissicherung:
Bei einer Führung spielen die vorhandenen Grabzeichen und Darstellungen bzw. Pläne des Friedhofs und der Gräber eine zentrale Rolle, um sich zum Einstieg vor Ort den Ereignissen von 1848/49 zu nähern.
In der Erarbeitungsphase setzen sich die Teilnehmenden in Kleingruppen mit einzelnen Biografien von Akteur:innen auseinander. Das sind zum einen die auf dem Friedhof bestatteten Märzgefallenen, über die aufgrund ihres überwiegend niedrigen sozialen Status meist nur wenig bekannt ist. Die überlieferten Informationen wie Name, Alter, Beruf, Geschlecht und Wohnort bieten aber eine gute Grundlage für das Erarbeiten der Biografien (Friedhof der Märzgefallenen 2023). Um die Vielfalt der sozialen und politischen Akteure zu veranschaulichen, bearbeiten die Teilnehmenden Biografien bekannter Revolutionär:innen oder Gegner:innen der Revolution. Mithilfe von Text- und Bildquellen setzen sie sich mit spezifischen Teilthemen und Perspektiven auseinander und beleuchten die Rolle der jeweiligen Person in der Revolution.
In der folgenden Phase sichern die Schüler:innen ihre Ergebnisse, indem sie in größeren Gruppen kurze Szenen erarbeiten. Angelehnt an die Methode des Rollenspiels präsentieren und diskutieren sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Akteur:innen. Durch die Übernahme unterschiedlicher Perspektiven auf die Ereignisse bietet diese Aufbereitung die Möglichkeit einer – geschichtsdidaktisch unverzichtbaren– reflektierten Umsetzung von Multiperspektivität. In der Diskussion wird besonderer Wert darauf gelegt, die Bedeutung von Einzelnen für das Gelingen oder Scheitern der Demokratie zu unterstreichen. Auch der Gegenwartsbezug wird hergestellt. Hierbei spielen Hinterfragung, Kritik und Reflexion eine zentrale Rolle. Diese Herangehensweise bringt ein machtkritisches Potential mit sich, in dem sich bestehende Asymmetrien, Machtverhältnisse und Hierarchien manifestieren. Die unterschiedlichen Positioniertheiten der Teilnehmenden fließen mit ein (Chmiel/Farber 2024: 147).
Die historisch-politischen Angebote des Gedenkortes ermöglichen über die Auseinandersetzung mit dem Friedhof und der Geschichte, dass eine Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse und eigene Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden. Das kritische Nachdenken über gesellschaftspolitische Fragen soll über die Exkursion hinaus angeregt werden. Das Wissen um die historischen Wurzeln unserer Demokratie kann eine Motivation sein, aktiv am politischen Leben in der Demokratie teilzunehmen und sie gegen ihre Verächter:innen zu verteidigen.
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Friedhof der Märzgefallenen (Hrsg.): Auf dem Friedhof der Märzgefallenen bestattete Personen, URL: https://themator.museum-digital.de [eingesehen am 20.01.2025].
Chmiel, Cornelia/Farber, Jennifer: Wir meinen es politisch! – Historisch-politische Bildungsarbeit an Gedenkstätten, in: van Norden, Jörg/Yildirim, Lale (Hrsg.): Historisch-politische Bildung im Diskurs. Perspektiven der Geschichtsdidaktik, Frankfurt am Main 2024, S. 138–155.
Clark, Christopher: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt, München 2023.
Erklärung des Bestattungs-Comites vom 23.03.1848, in: LAB A Rep. 001-02, Nr. 2441, Blatt 5.
Feier bei den Märzgefallenen. Die Weihe des neuen Portals auf dem Friedhof im Friedrichshain, in: Vorwärts, 12.10.1925, S. 3.
Gaida, Oliver/Kitschun, Susanne: Die Revolutionsopfer von 1918 auf dem Friedhof der Märzgefallenen, in: Dies. (Hrsg.): Die Revolution 1918/19 und der Friedhof der Märzgefallenen, Berlin 2021, S. 22–55.
Hachtmann, Rüdiger: 1848. Revolution in Berlin, Berlin 2022.
IU Internationale Hochschule: Kurzstudie 2024. Demokratie und Bildung, Erfurt 2024.
Kitschun, Susanne: Der Friedhof der Märzgefallenen – Erinnerungsort für die Revolutionär:innen von 1848 in Berlin, in: Der Bär von Berlin, Jahrbuch des Vereins für Berliner Geschichte, Band 72 (2023), S. 49–66.
Dies.: „Wir, die Erben dieser aufrechten Patrioten...“. Der Friedhof der Märzgefallenen und das Gedenken an die Märzrevolution in der DDR (1961−1978), in: Gaida et al. (Hrsg): Friedhof der Märzgefallenen, Berlin 2024, S. 85–103.
Klemm, Claudia: Erinnert, Umstritten, Gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007.
Zum 18. März, red. von Franz Schulze, Berlin 1895.
Sinus-Institut: Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland 2024, Berlin 2024.
Thijs, Krijn: Dem Friedhof kein Frieden? Demokratiegeschichte im örtlichen Deutungsgeflecht, in: Gaida, Oliver et al. (Hrsg): Friedhof der Märzgefallenen, Berlin 2024, S. 239–252.