Cover des Bandes, © Trafo-Verlag. Weitere Nachweise siehe Impressum.
Die Namen Hecker, Blum und von Gagern sind vermutlich einigen Leser:innen be- kannt, sei es aus dem Geschichtsunterricht, literarischen Werken, Liedern oder von Straßennamen. Die drei populären Akteure verkörpern das breite politische Spektrum der Revolution von 1848/49 – diese weist allerdings weitere Facetten auf, die weder in Hecker, Blum noch von Gagern Repräsentation finden: ihre europäische, soziale und wirtschaftliche Dimension ebenso wie die Rolle von Frauen in der Revolution. Diese Lücken möchte die Reihe Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49 mithilfe eines biografischen Ansatzes schließen. Der siebte Band, herausgegeben von Rüdiger Hachtmann und Jürgen Hofmann, erscheint im Frühjahr 2025 und wird im Folgenden vorgestellt.
Das anspruchsvolle Ziel der Herausgeber lautet „das gesamte, während des Revolu- tionsjahres besonders [sic!] Spektrum an Verhaltungsmustern, politischen Einstel- lungen und auch ‚Gefühlswelten‘ über die ‚Sonde‘ Biografie sichtbar [zu] machen“. (S. 12). Die tiefgreifende, psychologische Annäherung an ein möglichst diverses Feld an Akteur:innen steht hierbei im Zentrum. Dabei meinen die Herausgeber mit Diversität nicht nur politische Einstellungen, sondern auch Alter, Geschlecht, soziales Milieu, Art des Engagements sowie den Wirkungsraum der Protagonist:innen. Gerade die Überwindung einer gewissen „Germanozentriertheit“ (S. 10), die sie an anderen Publikationen und der deutschen Forschungsausrichtung kritisieren, ist das Ziel der Reihe.
Zudem sollen Akteur:innen Beachtung finden, die in der Forschung bislang kaum berücksichtigt wurden. Dazu gehören Menschen niedriger sozioökonomischer Schichten, insbesondere der organisierten Arbeiterbewegung, welche die internationale Ausrichtung der Bewegung betonten. Gleichzeitig räumen die Herausgeber methodische Schwierigkeiten ein, die individuellen Einstellungen weniger privilegierter Akteur:innen zu rekonstruieren: Diese konnten häufig weder lesen noch schreiben und hinterließen so nur selten Selbstzeugnisse. Daher werden im Band – entgegen dem eigenen Anspruch – überwiegend bürgerliche und adlige Persönlichkeiten vorgestellt.
In neun Biografien werden verschiedene Protagonist:innen der Revolution 1848/49
präsentiert. Dabei schlägt sich der im Vorwort formulierte Anspruch der (Geschlechts-)Diversität leider nicht in der Auswahl der Beitrags-Autor:innen nieder. Mit einem Aufsatz über die Entwicklung der Revolutionsforschung anhand der 1973 erschienenen Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution 1848/49 wird der biografische Schwerpunkt des Bandes erweitert. Ergänzend besteht er aus einem Verzeichnis bisher erschienener Biografien, einem Personenregister sowie Bild- und Autor:innenverzeichnissen.
Die biografischen Porträts decken ein breites Spektrum politischer Schattierungen und sozialer Hintergründe ab: So findet sowohl Erzherzog Johann von Österreich, vorgestellt von Tobias Hirschmüller, als Vermittler zwischen Monarchie und revolutionären Kräften seinen Platz im Band, als auch der evangelische Theologe und Historiker Gotthold Heine, der seine oppositionelle Haltung aus der eigenen jüdischen Herkunft herleitete und ein Ende sozialer und rechtlicher Diskriminierung von Juden forderte. Heine wird von Christoph Hamann vorgestellt. Die Einbeziehung weniger bekannter Akteur:innen – wie Emilie Emma von Hallberg, die Teil der frühkommunistischen Arbeiterbewegung war, und Eduard Kauffer, dem „‚Sänger der Revolution‘“ (S. 16) – erweitern den Blick auf unterschiedliche gesellschaftliche Milieus und Formen des Engagements.
Die Beiträge schöpfen aus einer reichen Quellengrundlage: Dazu zählen die Aufzeichnungen und Briefe Marie Pinders, Ehefrau des Regierungspräsidenten der preußischen Provinz Schlesiens Julius Hermann Pinder, welche die Revolutionsjahre mit eher distanziertem Blick beobachtete. Zudem sind die autobiografischen Erinnerungen Hugo Wolfs, der sich als Schüler an der badischen Mairevolution 1849 beteiligte, sowie die Artikel des Journalisten Josef Ficklers in den Konstanzer Seeblättern zu erwähnen. Dabei bestehen große Unterschiede, welchen Raum die Darlegung und kritische Reflexion der verwendeten Quellen einnimmt – im Beitrag über Hugo Wolf ist dies besonders gelungen. Alle Texte enthalten zudem ein Porträtbild ihrer Protagonist:innen. Im Folgenden soll eine ausgewählte Biografie vorgestellt werden, um einen Einblick in die zeithistorische Einbettung der Akteur:innen zu bieten.
Die von Daniela Fuchs verfasste Biografie des polnischen Universalgelehrten und Politikers Karol Libelt (1807–1875) steht exemplarisch für die europäische Dimension der Vormärz-Revolutionen und bietet einen hervorragenden Einblick in die historischen Ereignisse in Deutschland und Polen. Dabei geht die Autorin stärker vom historischen Kontext als von der Figur Libelts selbst aus. Diese Dominanz der Ereignisse gegenüber dem handelnden Akteur in der narrativen Struktur des Aufsatzes spiegelt möglicherweise gerade die Dynamik des (Vor-)Revolutionsgeschehens wider. Gleichzeitig verortet die Autorin ihren Protagonisten sorgfältig: Sie folgt schrittweise den Lebensstationen Libelts, sodass die dabei sichtbar werdenden länderübergreifenden, personalen Verflechtungen das Bild eines Netzwerks entstehen lassen. Dass sich in diesem Netzwerk zunehmend lose Stellen bilden, ist ein zentraler Befund der Autorin: Libelt kritisierte die zunehmende Erosion des „Prinzip[s] der Nationalitäten“ (S. 51) im Verlauf der deutschen Revolution. An dessen Stelle wären Forderungen nach einem „gesunden Volksegoismus und das Recht des Stärkeren“ getreten (S. 51). Die Biografin verknüpft diese zunehmende Konkurrenz nationaler Bestrebungen mit der persönlichen „Lerngeschichte“ des Protagonisten: Libelt erkannte, dass die angestrebte deutsche Einheit auch die Gefahr deutscher Expansionsbestrebungen in sich barg, und forderte als Gegenbewegung einen Zusammenschluss der slawischen Völker. Diese Darstellung der Verflechtungen zwischen historischen und biografischen Entwicklungen macht den Beitrag besonders wertvoll.
Der Einsatz der im Band enthaltenen Biografien im schulischen Bildungskontext birgt großes Potenzial. Sie bieten greifbare Anknüpfungspunkte für eine multiperspektivische Geschichtsbetrachtung und veranschaulichen politische, soziale und kulturelle Entwicklungen anhand individueller Lebensgeschichten. Die Biografien können in höheren Klassenstufen als Grundlage verschiedener Unterrichtsmethoden – wie etwa Projektarbeiten, Debattenrunden oder historische Rollenspiele – dienen. In vermittelter Form können sie auch in unteren Jahrgängen Lehrkräfte dabei unterstützen, neue Akteur:innen der Revolution vorzustellen. Zuletzt gibt der Band auch Hinweise für weitere, aufschlussreiche Quellen.
Auf didaktischer Ebene fördern die unterschiedlichen sozialen Hintergründe und Formen des Engagements der vorgestellten Akteur:innen das Verständnis für die Heterogenität der Revolutionsbewegung. Besonders die europäische Dimension des Bandes lädt dazu ein, nationale und internationale Perspektiven miteinander zu verknüpfen und die transnationale Verflechtung von Revolutionen zu thematisieren. Diese Dimension kann als Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit der Revolution von 1848/49 sowie den sich in ihr verstärkenden nationalstaatlichen und nationalistischen Bestrebungen dienen, die auch im schulischen Unterricht von Bedeutung wäre.
Die Herausgeber erreichen ihr Ziel, ein breites Spektrum von Akteur:innen und Einstellungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig muss von einer begrenzten Vielfalt gesprochen werden: Es fehlen Protagonist:innen aus der frühen Arbeiterbewegung sowie national-kritische Stimmen. Diese Lücken werden von den Herausgebern vor allem methodisch begründet. Doch auch in Beiträgen, die in der Erinnerung an die Revolution stärker marginalisierte Akteur:innen ins Zentrum rücken – zum Beispiel Frauen –, könnte der Gewinn durch diese neuen Blickwinkel genauer reflektiert werden.
Die europäischen Verflechtungen der Märzrevolutionen hingegen werden aufschlussreich veranschaulicht, ebenso wie die Herausforderungen, die mit der Verwendung autobiografischer Quellen verbunden sind. Auch aufgrund der breiten, bisher teilweise unerschlossenen Quellenbasis leistet der Band einen wichtigen Beitrag zur Revolutionsforschung. Er berücksichtigt bekannte und unbekannte Persönlichkeiten gleichermaßen und bindet ihre individuellen Geschichten in die historische Dynamik der Revolution von 1848/49 ein. Dabei wird die angestrebte psychologische Tiefe – die Reflexion von Verhaltensmustern und „‚Gefühlswelten‘“ (S. 12) – jedoch teilweise durch den starken Fokus auf die historischen Ereignisse verstellt. Insgesamt lädt der Band dazu ein, die selektive Erinnerung an bestimmte Akteur:innen und so das eigene Verständnis der Revolution von 1848/49 zu erweitern.
Hachtmann, Rüdiger/Hofmann, Jürgen (Hrsg.): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49, Band 7, Berlin 2025.