Der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik fielen im Zweiten Weltkrieg sechs Millionen Juden zum Opfer, die in einem systematischen Genozid vernichtet wurden. Bevor jedoch die Massenmorde begannen, wurden die europäischen Juden in insgesamt über 1100 Ghettos in Osteuropa eingesperrt, um sie von der Außenwelt abzuschneiden und ihre Kontrolle zu erleichtern. Diese Ghettos sollten sich selbst versorgen und den deutschen Besatzern möglichst keine Kosten und Mühen verursachen, sondern ganz im Gegenteil kostendeckend wirtschaften. Wie die neueste Forschung gezeigt hat, ist von einer flächendeckenden Entlohnung der Ghettoarbeiter und -arbeiterinnen in Form von Bargeld oder Lebensmitteln auszugehen.
Zwar war dieses Entgelt weder angemessen noch ausreichend, aber es half doch zu überleben. Die historischen Erkenntnisse im Rahmen der Wiedergutmachung in Folge des „Ghettorentengesetzes“ ZRBG zeigen auch, dass die meisten Arbeiten zwar unter allgemeinen Zwangsumständen ausgeübt, aber eben doch aus eigenem Entschluss angetreten wurden. Das Bild einer monolithischen Terrorherrschaft erfährt so Differenzierungen, denn trotz allem blieben individuelle Spielräume des Ghettolebens bestehen. Die bisherige Begriffsbildung der Historiker, die mehr oder weniger alle Arbeitsformen als Zwangsarbeit apostrophiert hat, muss dementsprechend nuanciert werden; Zwang beschreibt als Begriff zwar die allgemeinen Umstände in den Ghettos, stellt aber kaum eine trennscharfe, erklärende Kategorie dar.
Die gemeinsam vom Deutschen Historischen Institut und dem Żydowski Instytut Historyczny veranstaltete Konferenz will die Ergebnisse aus der Beschäftigung mit „Ghettorenten“ in einem interdisziplinären Ansatz bündeln und in den wissenschaftlichen Diskurs einordnen. Sie geht davon aus, dass es eben nicht „das“ Ghetto gab, sondern viele unterschiedliche. Mit der Tagung sollen die Bedingungen der Ghettoarbeit und -wirtschaft näher in den Blick genommen und der immer noch geringe Forschungsstand zu den Ghettos vergrößert werden. Untersucht werden etwa
- das Verhältnis von wirtschaftlichem Kalkül und Vernichtungsideologie,
- der Beitrag der Ghettos zur Besatzungs- bzw. Rüstungsökonomie,
- die verschiedenen Absichten der lokalen Machthaber und Institutionen in Bezug auf "ihre" Juden,
- Fragen nach der Arbeitsmotivation, den verschiedenen Arbeitsformen und
deren Organisation (aus der Opferperspektive),
- die Bedeutung "freiwilliger" Aspekte für die Lebenskonstruktionen bzw.
Verfolgungsnarrative der Überlebenden, aber auch für die Rechtfertigung
der Besatzer,
- kollektive wie individuelle Überlebensstrategien angesichts von
Ausplünderung und Unterversorgung.
Das Programm finden Sie hier. Deutsches Historisches Institut Warschau; in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Historischen Institut, Warschau
Ort
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