Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Der als Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg geplante Feldzug führte zu einer beispiellosen Brutalität in der Kriegsführung und der Besatzungspolitik. Der Überfall markierte zugleich den Beginn des Holocaust – die Ermordung der Jüdinnen und Juden in allen von Deutschland eroberten und besetzten Ländern.
Auch an der sogenannten Heimatfront wurde der Krieg geführt: Mehrere Millionen sowjetischer Kriegsgefangener und zivile Zwangsarbeiter*innen mussten unter menschenunwürdigen und todbringenden Bedingungen leben und arbeiten.
Es dauerte länger als drei Jahre, bis Deutschland diesen Angriffskrieg verloren hatte. Er kostete nach unterschiedlichen Schätzungen fast 30 Millionen Menschen oder mehr aus der Sowjetunion das Leben.
Die Vortragsreihe nimmt den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls zum Anlass, verschiedene Aspekte dieses „Krieges im Krieg“ zu beleuchten. Er bestimmt heute das Bild vom Zweiten Weltkrieg. Trotzdem ist das Wissen über ihn, vor allem seine Bedeutung für das Zentralverbrechen des Nationalsozialismus, den Judenmord, nur unzureichend präsent im öffentlichen Bewusstsein.
Termine
Mittwoch, 2. Juni 2021, 19:00 Uhr
Der deutsch-sowjetische Krieg 1941-1945 im Kontext.
Vortrag von Prof. Dr. Dieter Pohl, Universität Klagenfurt
Der Verlauf des deutsch-sowjetischen Krieges und die Verbrechen der deutschen Besatzungsherrschaft sind inzwischen weithin bekannt. Freilich ist es notwendig, diesen epochalen Konflikt auch in größerer Perspektive zu sehen, als Versuch des Deutschen Reiches, eine globale Hegemonie zu erreichen, als Teil des globalen Zweiten Weltkriegs, aber auch als zentrales Kapitel der Vernichtungspolitik NS-Deutschlands und der Gewalt der „Achsenstaaten“.
Dieter Pohl ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Klagenfurth und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themenfeldern Holocaust und Vernichtungskrieg. Seine Forschungsschwerpunkte sind nationalsozialistische Besatzungsherrschaft und Gewaltverbrechen, der Zweite Weltkrieg in Europa und Asien, die Geschichte der Sowjetunion, die Kriegsfolgenforschung, die Geschichte kommunistischer Systeme nach 1945, Massengewalt im 20. Jahrhundert sowie die Zeitgeschichte Polens und der Ukraine.
Mittwoch, 9. Juni 2021, 19:00 Uhr
Der Holocaust in der besetzten Sowjetunion und die Spurensuche heute.
Vortrag von Dr. Andrej Umansky, Köln.
Gemeinsam mit dem französischen Verein Yahad - In Unum widmet sich Andrej Umansky seit 2004 der systematischen Ermittlung und Dokumentation der Stätten von Massenexekutionen an Juden und Roma während des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet der Sowjetunion. Dabei werden Augenzeugen - häufig Nachbarn - der während des Zweiten Weltkriegs begangenen Massenerschießungen interviewt. Die Zeugen sprechen dabei zum ersten Mal über die Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn. Yahad - In Unum dokumentiert auch Erschießungsorte, die sich auf dem Territorium dieser Länder befinden. Bis heute wurden mehr als 7.000 Augenzeugen befragt und über 2.000 Erschießungsorte von Juden und Roma ausfindig gemacht.
Dr. Andrej Umansky ist Strafverteidiger, Historiker und Vorstandsmitglied von Yahad - In Unum.
Mittwoch, 16. Juni 2021, 19:00 Uhr
Sowjetische Kriegsgefangene zwischen Vernichtung und Zwangsarbeit.
Vortrag von Dr. Christian Streit, Heidelberg.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen waren nach den Juden die größte Opfergruppe nationalsozialistischer Politik. Über drei Millionen, mehr als die Hälfte der etwa 5,7 Millionen starben als Opfer einer verbrecherischen Politik. Der Völkerrechtsgrundsatz, dass Kriegsgefangene menschlich zu behandeln sind, wurde verworfen. Ein entscheidender Faktor für das Massensterben war das Ziel, die Nahrungsressourcen des Ostens gnadenlos zugunsten der deutschen Bevölkerung auszubeuten. Die geringfügigen Verbesserungen ihrer Behandlung waren ausschließlich von der Erkenntnis bestimmt, dass man ihre Arbeitskraft dringendst für die deutsche Rüstungsindustrie brauchte. Das Schicksal dieser Gefangenen war bis in die 1970er Jahre ein Tabuthema. Erst in den 1980er Jahren und vor allem in den 1990er Jahre durch die „Wehrmachtausstellung“ wurde es bekannter. Bei der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen ausgeschlossen. Erst 2015, als nur noch weniger als 2000 Überlebende lebten, entschied der Bundestag, sie mit jeweils 2500 Euro symbolisch zu entschädigen.
Die Doktorarbeit von Christian Streit, Oberstudienrat a.D., „Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945“ gilt als Standardwerk zur Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen. 1999/2000 war er Mitglied der Kommission zur Überprüfung der sogenannten Wehrmachtausstellung und 2015 Sachverständiger in der Bundestagsdiskussion über die Anerkennung und Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener als NS-Opfer.
Dienstag, 22. Juni 2021, 19:00 Uhr
„… unsere Sendung, die europäische Kultur zu retten vor dem Vordringen der asiatischen Barbaren.“
Ausgewählte Texte, gelesen von Julia Wolff und Gregor Henze.
Aus den überlieferten Quellen zum Überfall auf die Sowjetunion kommt der verbrecherische Charakter des als „Unternehmen Barbarossa“ getarnten Krieges erschreckend deutlich zum Vorschein. Die Lesung ausgewählter Quellentexte beleuchtet ihn aus unterschiedlichen
Perspektiven: aus der Sicht der Angreifer und aus dem Blick der Überfallenen. Den ideologischen Eifer und die mörderische Praxis des „Ostfeldzugs“ dokumentieren nicht nur die berüchtigten „Ereignismeldungen“ der Sicherheitspolizei, sondern auch einschlägige Befehle der Wehrmachtsführung sowie zahllose Feldpostbriefe deutscher Soldaten. Aus der Sicht der Opfer bezeugen unter anderem Tagebücher aus den Ghettos und aus dem besetzten Leningrad oder Aussagen jüdischer Zeugen in NS-Prozessen nach 1945 und Berichte von Überlebenden der Massenerschießungen das Verbrechen dieses Krieges. Diese Berichte sind auch heute noch schwer auszuhalten.
Gregor Henze war lange Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen und arbeitet heute als freier Schauspieler an verschiedenen Theatern in NRW, u.a. am Schauspiel Essen. Julia Wolff gehörte von 2004 bis 2014 zum festen Ensemble der Wuppertaler Bühnen. Heute tritt sie dort und am Schauspiel Bochum als Gast auf und ist Schauspieldozentin an der Essener Folkwang Hochschule und Sprecherin für den WDR.
Mittwoch, 30. Juni 2021, 18:00 Uhr
„Deutsche Herrschaft in der besetzten Sowjetunion. Von Hunger, Zwangsarbeit und Alltagsgewalt in den Jahren des Zweiten Weltkriegs“.
Vortrag von Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer, Bergische Universität Wuppertal.
Der Vortrag widmet sich der Frage, welche Konsequenzen die deutsche Herrschaft für die einheimische, jüdische wie nichtjüdische Bevölkerung der Sowjetunion hatte. In besonderer Weise werden dabei Aspekte beleuchtet, die bisher weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden haben, vor allem: Was bedeutete Besatzung für das Alltagsleben? An ausgewählten Beispielen aus dem Kontext der Versorgung, der Arbeit, aber auch der alltäglichen Gewalt wird der Vortrag zeigen, dass „Vorkriegsnormalitäten“ sich tiefgreifend veränderten. – In ihren Ausführungen wird Tatjana Tönsmeyer auch auf die Befunde des von ihr geleiteten Forschungs- und Editionsprojekt „Societies under German Occupation. Experiences and Everyday Life in World War II“ eingehen.
Tatjana Tönsmeyer ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal, Leiterin des internationalen Netzwerks „Besatzungsgesellschaften“,
Mitglied in verschiedenen Beiräten und Autorin zahlreicher Publikationen zur europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Zu den jüngsten Publikationen gehören u.a. Coping with Hunger and Shortage under German Occupation in World War II, hrsg. v. Tatjana Tönsmeyer, Peter Haslinger und Agnes Laba (London 2018) oder Besatzungsgesellschaften. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Erfahrungsgeschichte des Alltags unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg, Version: 1.0, in: Docupedia‐Zeitgeschichte (veröffentlicht 18.12.2015).
Mittwoch, 7. Juli 2021, 19:00 Uhr
„Aktion 1005“ – Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen in der Sowjetunion.
Vortrag von Dr. Andrej Angrick, Berlin.
Hinter der Tarnbezeichnung »Aktion 1005« verbirgt sich einer der ungeheuerlichsten und geheimsten Vorgänge des »Dritten Reichs«: Im Jahr 1942 gab die oberste Führung an das »Reichssicherheitshauptamt« die Order aus, sämtliche Massengräber im deutsch besetzten Europa unkenntlich zu machen. Ebenso wurde versucht, alle verfänglichen Schriftunterlagen und sonstigen Informationen zu vernichten, die den Völkermord an den europäischen Juden, die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die Vernichtung der Roma und die Hinrichtungen polnischer Nationalisten dokumentiert hätten.
Andrej Angrick ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Er wirkte maßgeblich an der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941–1944“ mit und fungierte als Gutachter in den bundesdeutschen Ghettorentenverfahren.
Einwahldaten zum Zoom-Vortrag bitte anfordern unter:
Email: info [at] alte-synagoge-wuppertal [dot] deDie Einwahldaten werden Ihnen am Nachmittag des Vortragstermins zugesandt.
Informationen
Markus GünnewigMahn- und Gedenkstätte Steinwache, Dortmund
T 0231 - 5027685
E mguennewig [at] stadtdo [dot] de Dr. Ulrike Schrader Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
T 0202-5632843
E info [at] alte-synagoge-wuppertal [dot] de
Veranstalterinnen
Eine gemeinsame digitale Vortragsreihe der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal und der Gedenkstätte Steinwache Dortmund.