Der Zweite Weltkrieg ruft auch nach einem Dreivierteljahrhundert sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Geschichtsdidaktik immer wieder neue Diskussionen hervor. Diese Diskussionen erhalten eine besondere Spezifik durch die Tatsache, dass aufgrund des demographischen Wandels die Erinnerung an den Zweite Weltkrieg vom kommunikativen Gedächtnis, das auf der Unmittelbarkeit von Erfahrungen beruht, ins kulturelle Gedächtnis überführt wird. Dies ist vor allem dem Verschwinden der
letzten Zeitzeugen geschuldet. Damit einher geht eine Kanonbildung, in deren Zuge historische Wissensbestände neu gewichtet werden und Verlust- und Verdrängungsprozesse darauf hinweisen, wie sich Gesellschaften in ihren Erinnerungen repräsentiert sehen möchten.
Die Lehrpläne machen eine didaktische Reduktion der Unterrichtsthemen erforderlich. Diese Situation stellt LehrerInnen und LehrbuchautorInnen vor die Frage, in welcher Weise der Zweite Weltkrieg für die nachfolgenden Generationen aufbereitet werden soll. Welche Inhalte sollen problematisiert werden? Welche Themen und Aspekte historischen Lernens sind in diesem Kontext bedeutend? Stellt der Fokus auf die großen politischen Ereignisse und Kriegshandlungen eine geeignete Herangehensweise dar, um den Zweiten Weltkrieg im Unterricht angemessen zu behandeln? Welche Methoden sollten in der Schulpraxis eingesetzt werden?
Die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, ausgehend von aktuellen Arbeiten am gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsbuchprojekt "Europa. Nasza historia / Europa. Unsere Geschichte" Antworten auf diese Fragen zu suchen. Das Geschichtsschulbuch kann in der jeweiligen Landesprache an allen deutschen und polnischen Schulen eingesetzt werden. Zur Zeit entsteht - neben dem dritten (19. Jahrhundert) - der vierte abschließende Band, der das 20. Jahrhundert und somit auch den Zweiten Weltkrieg behandelt.
Das Ziel der Konferenz ist es, wissenschaftliche und didaktische Ergebnisse der gegenwärtigen Forschung zum Zweiten Weltkrieg zur Diskussion zu stellen. Als Leitthema haben wir, inspiriert durch den Tagungsort Zamosc, das Leben unter der Besatzung gewählt: Schicksale der Zivilbevölkerung, Terror durch die Besatzungsmächte, Widerstandsbewegungen sowie Beziehungen zwischen Besetzten und Besatzern. FachwissenschaftlerInnen und FachdidaktikerInnen gehen
gemeinsam der Frage nach, in welchem Umfang das Thema Eingang in die aktuelle Schuldidaktik gefunden hat und wie der Zusammenhang zwischen konkreten biografischen Bezügen und einem erweiterten politischen Kontext hergestellt werden kann, um einerseits Kriegserfahrungen nicht zu relativieren und andererseits einer nationalistischen Vereinnahmung entgegenzutreten.
Zudem soll in deutsch-polnischer Zusammenarbeit diskutiert werden, auf welche Weise Kinder und Jugendliche mit den Gräueltaten des Krieges vertraut gemacht werden sollen. Welchen Stellenwert soll der Mord an der Zivilbevölkerung und insbesondere an den Juden einnehmen? Sollte diese Darstellung den Unterricht zum Zweiten Weltkrieg dominieren? Wie soll mit widersprüchlichen Überlieferungen in Polen und Deutschland umgegangen werden, die z.B. einerseits die Verbrechen der
Wehrmachtssoldaten betonen und andererseits das Schicksal der Familien bei Flucht und Vertreibung in den Vordergrund rücken? Oder: Wie sollen die "Gerechten unter den Völkern" präsentiert und gleichzeitig über kollaborierende "szmalcownicy" gesprochen werden? Das sind nur einige, in der Öffentlichkeit oft lebhafte Emotionen hervorrufende Beispiele, über die wir ausgehend vom aktuellen Forschungsstand diskutieren wollen.
Datum
23.05.2018 - 26.05.2018
Anmeldefrist
10.04.2018
Kontakt
Dominik PickZentrum für Historische Forschung Berlin
Majakowskiring 47
13156 Berlin
E-Mail: dominik [dot] pick [at] cbh [dot] pan [dot] pl
Homepage: http://deutsch-polnische.schulbuchkommission.de/aktuelles/einladung-zur-konferenz/einladung-zur-konferenz.html
Ort
Zamosc/Polen
Programm
Mittwoch, 23. Mai 2018
10.00-15.00: Workshop für Lehrerinnen und Lehrer aus Zamosc und Umgebung in
polnischer Sprache: Europäische Geschichte unterrichten in internationaler Perspektive Deutsch-polnisches Schulbuch für Geschichte: Europa. Nasza historia /
Europa. Unsere Geschichte
15.00-16.00: Mittagessen
18.00: Konferenzeröffnung, Rathaus in Zamosc
Begrüßung: Andrzej Wnuk, Präsident von Zamosc
Prof. Dr. Robert Traba, Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg, Co-Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission
18.20: Verleihung des Maria-Wawrykowa-Preises
Einführung, Prof. Dr. Robert Traba
Laudatio, Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg
Laudatio, Prof. Dr. Sebastian Kinder
Feierlichkeiten zur Preisverleihung
19.00: Eröffnungsvortrag: Prof. Jie-Hyun Lim, Ph.D. (Sogang Universität, Seoul)
20.00: Empfang und Abendessen im Rathaus
Donnerstag, 24. Mai 2018
9.00-11.00: Plenarsitzung: Alltagsleben unter der Besatzung
Prof. Dr. Jerzy Kochanowski
Dr. Christine Glauning
Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt
Moderation: Prof. Dr. Robert Traba
11.00-17.00: Das Lesen der Landschaft, Teil 2: Zamosc-Szczebrzeszyn-Zwierzyniec-Bilgoraj-Zamosc
Agnieszka Jaczynska, Robert Traba
17.00-18.30: Diskussion: "Sonderlaboratorium" Zamojszczyzna. Ort der Vertreibung.
Agnieszka Jaczynska
Prof. Dr. Robert Traba
Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper
Moderation: Dr. Dominik Pick
Abendessen
Freitag, 25. Mai 2018
9.00-10.30: Diskussion: Das Verschwinden der Zeitzeugen und der historischen Orte -
wie sollte der Zweite Weltkrieg im Unterricht behandelt werden?
Impulsreferat: Dr. Katarzyna Woniak
Wieslawa Araszkiewicz
Dr. Markus Roth
Moderation: Prof. Dr. Claudia Kraft
Parallel stattfindende Veranstaltungen
11.00-13.00 Workshop: Der Zweite Weltkrieg im Schulbuch Europa. Unsere Geschichte,
Band 4 für polnische und deutsche LehrerInnen, Teil 1
Einführung von Prof. Dr. Wlodzimierz Borodziej
Durchführung: Dr. Marcin Wiatr, Dr. Dominik Pick
11.00-13.00: Geographie und der Unterricht zum Zweiten Weltkrieg
13.00-14.00: Mittagessen
14.00-16.00: Workshop: Der Zweite Weltkrieg im Schulbuch Europa. Unsere Geschichte, Band 4 für polnische und deutsche LehrerInnen, Teil 2
14.00-16.00: Geographie und der Unterricht zum Zweiten Weltkrieg
16.30-18.00: Plenumsdiskussion: Ergebnisse der Workshops - Der Zweite Weltkrieg in
Schulbüchern
Prof. Dr. Eckhardt Fuchs
am Workshop teilnehmende/r polnische/r Lehrer/in
am Workshop teilnehmende/r deutsche/r Lehrer/in
Moderation: Prof. Dr. Wlodzimierz Borodziej
18.15-19.00: Das Lesen der Landschaften, Teil 1 Altstadt von Zamosc
19.00 :Abendessen
Samstag, 26. Mai 2018
8.30-10.00 :Sitzung des Präsidiums der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission
10.15: Besuch in Belzec
11.30-13.30: Diskussion: Außerschulische Lernorte über Genozid, Vernichtung und
Zerstörung in der Geschichtsunterricht - Chancen und Grenzen
Dr. Tomasz Kranz
Dr. Raphael Utz
Prof. Dr. hab. Violetta Julkowska
Moderation: Prof. Dr. hab. Izabela Surynt
13.30-14.15: Mittagessen
14.15-16.00: Das Lesen der Landschaften, Teil 3: Konzentrationslager in Belzec
16.30-18.00 Diskussion: Die Zukunft der Erinnerung in transnationalen und
deutsch-polnischen Kontexten
Prof. Dr. Sebastian Kinder
Prof. Dr. Robert Traba
Moderation: Prof. Dr. Michael G. Müller
20.00: Abendessen in Zamosc
Sonntag, 27. Mai 2018
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